Täterland. Binga Hydman

Täterland - Binga Hydman


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der Unterkunft. Nach einigen Tagen hatte Martin sich an die Schleiferei und die Lautstärke seines Kompaniechefs gewöhnt. Die Ausbildung war hart. Die jungen Rekruten wurden von morgens bis abends gedrillt und durch das morastige Gelände getrieben. Formaldienst, Waffenkunde, Gefechtsdienst im Gelände und Sport wurden durch Unterrichte in Rassenlehre, Weltanschauung abgelöst. Martin, dem der militärische Drill irgendwann sogar anfing Spaß zu machen, fiel seinem Kompaniechef bald positiv auf.

      Eines Morgens wurde Alarm gegeben. Die SS-Rekruten sprangen aus ihren Betten und zogen, so schnell sie es konnten, den auf einem Stuhl neben dem Bett stets vorbereiteten Gefechtsanzug an. Nur wenige Minuten später stand der 7. Sturm abmarschbereit auf dem Kasernenhof. Es dämmerte bereits und hinter dem nahegelegenen Wäldchen machte sich die blutrote Sonne daran, über das Firmament zu kriechen. Marin überprüfte seinen mit Platzpatronen geladenen Karabiner K98. Untersturmführer Maaßen, der ebenfalls in Gefechtsuniform gekleidet war, trat vor die Front der angetretenen Männer.

      „Guten Morgen meine Herren.“ „Guten Morgen Herr Untersturmführer“, antworteten die Rekruten im Chor. Der Vorgesetzte lächelte zufrieden. „Männer, heute werden wir ins Manöver ziehen. Wir werden die nächsten drei Tage auf dem Truppenübungsplatz verbringen. Nach einer Marschzeit von höchstens 5 Stunden sollten Sie unser Biwak erreichen. Danach beginnen wir mit der Stationsausbildung.“ Er machte eine kurze Pause. Dann ließ er seinen prüfenden Blick über die vor ihm angetretenen Männer schweifen. „Soweit alles klar?“ „Jawohl Herr Untersturmführer!“, donnerte es ihm entgegen. „Gut, die eingeteilten Gruppenführer zu mir!“ Vier Rekruten schlugen die Hacken zusammen und traten an den Vorgesetzten heran. Martin war ebenfalls als einer der Unterführer eingeteilt worden. „Also meine Herren. Sie wissen was zu tun ist. Führen Sie ihre Gruppen auf dem kürzesten Weg zu diesem Wäldchen. Dort erhalten Sie dann neue Befehle.“ Die vier Männer blickten auf die vor ihn ausgebreitete Geländekarte. Nach dem sie sich die Strecke eingeprägt hatten, gingen sie zurück zu ihren Gruppen und ließen Marschbereitschaft herstellen. Martins Gruppe wurde als letzte in Marsch gesetzt. In Abständen von fünfzehn Minuten verließen die vier Abteilungen die Kaserne. Jede Gruppe trug neben der persönlichen Ausrüstung jeweils zwei große Munitionskisten bei sich. In eine der beiden Kisten hatte man vor ihren Augen nassen Sand hineingefüllt und sie anschließend verplombt. Die Kiste wog ungefähr 80 kg und die Männer trugen sie zu zweit. Martin war mit seiner Gruppe gerade fünf Kilometer weit gekommen, als sie auf einem Feldweg plötzlich Gewehrfeuer hörten. „Voll Deckung!“, brüllte Martin. Die Männer warfen sich in den Staub. Aus einem der Maisfelder heraus erkannten sie das Mündungsfeuer eines MG 34. Nach wenigen Feuerstößen trat einer der Ausbilder, ein Hauptscharführer, auf den Weg hinaus und sagte grinsend. „Viel zu langsam! Im Ernstfall wäre die Hälfte von Euch Warmduschern bereits tot!“ Martin erhob sich und klopfe den Staub von seiner Uniform. „Alles auf!“, schrie er. Die Männer nahmen ihre Marschformation wieder ein und trotteten hinter ihrem Gruppenführer her. Wenige Kilometer später musste die Gruppe das kleine Dörfchen Labuhn passieren. Am Dorfeingang erwartete sie ein „Juden sind her unerwünscht“ – Schild, dass man direkt unter dem Ortsnamen montiert hatte. In Amsfeld hatte der Ortsgruppenleiter Matuchek ebenfalls ein solches Schild anbringen lassen. Paul Gerhard von Amsfeld hatte daraufhin allerdings sofort angeordnet, dass es wieder zu entfernen sei. „Solange das Dorf meinen Namen trägt, wird hier kein solches Schild aufgestellt“, ließ er den verdutzten Ortsgruppenleiter wissen. Der fügte sich zwar zunächst dem Umstand, war sich aber sicher, dass er es diesem eingebildeten Freiherrn irgendwann schon zeigen würde. Martin war mit seinem Vater daraufhin in Streit geraten, denn er selbst hätte es gut gefunden dieses Schild als ein Zeichen der nationalsozialistischen Gesinnung des Dorfes anzubringen. Sein Vater hatte ihn während dieser Auseinandersetzung nur stumm gemustert und war dann wortlos zu den Ställen herübergegangen.

      Vor der im Jahre 1850 erbauten kleinen neugotischen Backsteinkirche legte die Gruppe von Amsfeld eine Pause ein. Das Wäldchen, in dem sie erfahren würden, wie es für sie weitergehen sollte, lag etwa sechs Kilometer südöstlich von Labuhn. Als sie dort ankamen erwartete sie bereits ein bekanntes Gesicht. Untersturmführer Maaßen lehnte an einem Baum und rauchte eine Zigarette. „Wurde ja auch langsam Zeit, dass Sie hier auftauchen“, feixte er, offenbar bestens gelaunt. Martin schlug die Hacken zusammen und hob die Hand zum Hitlergruß. „Heil Hitler, Herr Untersturmführer. Ich melde Gruppe vollzählig angetreten.“ Maaßen schnippte die Zigarettenkippe weg. „Ja,ja. Schon gut. Kommen Sie mit.“ Martin folgte dem Offizier in einen primitiven Unterstand. Dort erwarteten sie die anderen drei Gruppenführer. Maaßen kam gleich zur Sache.

      „Also, wir werden in den nächsten zwei Tagen die Partisanenbekämpfung üben. Das bedeutet Sie werden es mit irregulären Kampfgruppen zu tun haben, die weder Uniform noch Hoheitsabzeichen tragen werden. Der 6. Sturm wird in entsprechendem Räuberanzug agieren und für uns so den Feind darstellen. Ihre Aufgabe wird es sein, diese Partisanen aufzuspüren, festzunehmen, zu verhören und dann die für eine solche Situation richtigen Maßnahmen zu ergreifen. Ich werde ganz in der Nähe sein und Sie bei Ihren Schritten beobachten und bewerten. Fragen?“ Die vier eingeteilten Gruppenführer schauten sich erst gegenseitig und dann ihren Vorgesetzten an. „Nein, Herr Untersturmführer.“ „Gut dann kann es ja losgehen. Die Gruppen Schierhorn und von Amsfeld übernehmen die östliche Seite des Waldes. Die anderen beiden die westliche. Wegtreten!“ Wieder Hakenschlagen, dann kehrten die vier Männer zu ihren jeweiligen Gruppen zurück. Am ersten Tag des Manövers wurden die Rekruten des 7. Sturms bis zur Erschöpfung kreuz und quer durch den Wald gehetzt. Dabei kam es zu diversen Feuerüberfällen durch Partisanen, Sabotageanschlägen und Dauerbeschuss. In der anschließenden Nacht wurden die Übungen fortgesetzt, so dass die erschöpften Männer nicht mehr als ein bis zwei Stunden zur Ruhe kamen. Als Martin seine Gruppe am darauffolgenden Tag erneut ins Gefecht führte, waren sie alle übermüdet. Jeder wünschte das Ende der Übung herbei, doch dieser Wunsch wurde ihnen nicht erfüllt. Es folgten weitere Scharmützel mit kleineren Partisanengruppen, die ganz plötzlich aus dem Nichts auftauchten und genauso schnell wieder im dichten Unterholz des Waldes verschwunden waren. Gegen Mittag waren dann auch viele der Männer völlig entkräftet. Am Nachmittag endete sich die Situation dann zu Gunsten der SS-Rekruten. Die vermeintlichen Partisanen ließen sich nach und nach gefangen nehmen und wurden im Gänsemarsch in das Biwak zurückgeführt. Auch Martins Gruppe hatte Glück gehabt und auf einer Lichtung etwa 30 gefangene Partisanen zusammengetrieben. Nachdem sie den Gegner entwaffnet und andeutungsweise gefesselt hatten, wurden die vermuteten Anführer in ein Zelt geführt und dort verhört. Die Informationen, die sie dabei preisgaben, wurden durch einen Funker weitergeleitet. An diesem Punkt war das eigentliche Manöver vorbei. Martin ließ über Funk bei Maaßen nachfragen, wie jetzt weiter zu verfahren sei. „Verfahren Sie entsprechend!“ Martin schaute seinen Funker für einen Moment nachdenklich an, dann zuckte er mit den Schultern und ging hinüber zu den Gefangenen.

      Etwa vier Stunden später saßen die erschöpften Angehörigen des 7. Sturm im Mannschaftsheim ihrer Kaserne und warteten auf den Kompaniechef. Der war nach der Rückkehr mit seinen Ausbildern in das Stabsgebäude hinübergegangen, um dort eine erste Manöverkritik zu erstellen. „Achtung“, brüllte Martin in den Schankraum des Mannschaftsheims hinein. Die eben noch ins Gespräch vertieften Rekruten sprangen auf und nahmen Haltung an. Maaßen und seine Unteroffiziere betraten den Saal und setzten sich an das Ende eines langen Tisches. „Also, meine Herren. Wir haben soeben ihre Leistungen der letzten drei Tage bewertet und werden Ihnen gleich mitteilen, was Sie richtig und was Sie falsch gemacht haben.“ Er zündete sich eine Zigarette an und blies den Rauch dann genussvoll in Richtung der Zimmerdecke. „Falsch haben Sie so einiges gemacht. Richtig aber nur wenig.“ Er lachte bellend in die Stille des Raumes hinein. Nur die Unteroffiziere schienen diese Feststellung ebenfalls witzig zu finden, denn sie stimmten in sein Lachen ein. Die Rekruten des 7. Sturms allerdings blieben stumm. „Also.

      Militärisch waren ihre Heldentaten in der Tat keine Glanzleistung. Die allermeisten von Euch wären bereits am ersten Abend irgendwo hinter einer Latrine verscharrt worden, weil sie in einem echten Kampfeinsatz bereits eine Kugel im Kopf gehabt hätten. Der Schanz- und Stellungsbau war ebenfalls lausig, so dass den kümmerlichen Rest von Euch, die Artillerie des Gegners in kürzester Zeit in die Hölle geschickt hätte.“ Sein Blick war jetzt starr auf die vor ihm sitzenden Männer gerichtet. „Aber am erbärmlichsten


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