Täterland. Binga Hydman
Grundstellung eingenommen. „Danke Herr Oberfeldmeister.“ Als er etwas später in seine Stube zurückgekehrt war, beglückwünschten ihn seine Kameraden und freuten sich mit ihm. Nur Kurt Knutzen schien die Neuigkeit kaum zur Kenntnis zu nehmen. Wie so häufig in der Vergangenheit, hatte es sich der Hamburger auf seiner Koje bequem gemacht und band aus einem Stück Tau die unterschiedlichsten Seemannsknoten. Martin vermutete, dass der Hafenarbeiter an Politik kein Interesse hatte und seine Zeit beim RAD nur ohne anzuecken hinter sich bringen wollte. Nie verlor er ein Wort über den Nationalsozialismus oder den Führer. Er schwieg und galt bei seinen Kameraden deshalb schon bald als politisch unzuverlässig. Martin und seine Kameraden konnten zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen, dass der schweigsame Knutzen ein paar Jahre später durch ein Urteil des Volksgerichtshofes zum Tode verurteilt werden würde, weil er mehreren Hamburger Juden in seinem Keller Unterschlupf gewährt hatte.
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3. Kapitel
Die Wege trennen sich
„Der Führer eröffnet die Olympischen Spiele“. Paul Gerhard von Amsfeld legte die Zeitung auf den Tisch zurück und betrachtete das Bild, das fast die ganze erste Seite ausfüllte. Das Foto zeigte Hitler, umgeben von seinen Lakaien, während der Eröffnungsfeier im Berliner Olympiastadion. Das kleine gemütliche Cafe, das in einer kleinen Seitenstraße in der Rummelsburger Innenstadt lag, war gut besucht. An den Tischen um ihn herum saßen einige Pärchen und genossen bei einem Stück Kuchen die wärmenden Sonnenstrahlen dieses sommerlichen August 1936. Er blickte auf seine Uhr und steckte sich eine seiner dicken Zigarren an. „Guten Tag Herr von Amsfeld“ Der Angesprochene erhob sich lächelnd. „Guten Tag Herr Empbusch“. Nachdem sie sich die Hände geschüttelt hatten, setzten sich die beiden Männer, und ein Kellner eilte herbei, um ihre Bestellung anzunehmen. „Bringen Sie uns doch bitte zwei kleine Bier.“ Der Kellner nickt und verschwand im Inneren des kleinen Cafes. Eine Weile saßen die beiden Männer schweigend nebeneinander und beobachteten die Szenerie, des alltäglichen Lebens der vielbelebten Straße. Auf der anderen Straßenseite marschierte eine Gruppe Hitlerjungen vorbei, um in dem kleinen Stadtpark neben der Kirche Fußball zu spielen. Direkt vor ihnen schoben zwei Mütter ihre Kinderwagen vor sich her, während die beiden dazugehörigen Männer, in ein Gespräch vertieft zu sein schienen und ihren Frauen in einigem Abstand folgten. „Wie geht es Ihrem Vater?“ Walter Empbusch antwortete ohne den Blick von den beiden Frauen abzuwenden. „Dem geht es den Umständen entsprechend gut. Er hat die Gicht und ihm fällt es schwer mehr als fünf Schritte zu gehen. Die Schmiede musste wir deshalb schließen. Im Kopf ist der alte Herr allerdings noch sehr rege.“ Der Vater von Walter Empbusch war bis vor kurzem der Hufschmied des Örtchen Treblin gewesen, und Paul Gerhard kannte den Mann praktisch schon sein ganzes Leben. „Das tut mir leid. Ich hoffe er kommt bald wieder auf die Beine.“
„Das wird wohl nichts mehr. Trotzdem danke für die ausgesprochen aufmunternden Worte.“ Empbusch, ein hagerer und schmächtiger Mann in den Dreißigern, der auf Grund seiner starken Kurzsichtigkeit eine dicke Brille trug, hatte bereits eine bewegte Vergangenheit vorzuweisen. Da er zwar ausgesprochen intelligent war, aber nur über eine geringe Schulbildung verfügte, hielt er sich als Bürobote, Landarbeiter oder Gärtner finanziell über Wasser. Als aktives Mitglied der SPD hatte er sich 1933 an der Erstellung eines Flugblattes, das zum Widerstand gegen die Nazis aufrief, beteiligt. Er wurde erwischt und für sieben Monate in sogenannte „Schutzhaft“ genommen und in das KZ Sonnenburg bei Küstrin überstellt. Im August des darauffolgenden Jahres wurde er erneut verhaftet, weil er zwei polizeilich gesuchten ehemaligen SPD-Funktionäre bei sich im Stall ein Versteck angeboten hatte. Erneut wurde er durch die Gestapo verhaftet und in das Zuchthaus eingeliefert, in dem er für neun Monate einsaß. „Wie lange sind Sie schon raus?“ „Genau seit 16 Tagen.“ „Kann ich irgendetwas für Sie tun?“ Empbusch schüttelte den Kopf. „Nein, für mich persönlich nicht. Für unsere gemeinsamen Freunde schon!“ Der Kellner stellte zwei Gläser Bier auf den Tisch und die beiden Männer prosteten sich zu. Paul Gerhard von Amsfeld nickte verstehend. „Was brauchen Sie?“ Der ehemalige Sozialdemokrat und Bürobote warf dem alten Rittmeister und Gutsbesitzer einen kurzen Blick zu. Die Wege des Herrn sind wirklich unergründlich, dachte er, während er an seinem Bier nippte. In der Vergangenheit hatte er alles, wofür der Adel in Deutschland stand, abgelehnt und politisch bekämpft.
Der Freiherr von Amsfeld erwies sich schon in den kurzen Jahren der Weimarer Republik als eine Ausnahme seines Standes, in dem er sich als ein überzeugter Demokrat erwies und nicht wie die meisten ehemaligen Barone und Grafen der wilhelminischen Monarchie nachtrauerten. Nach der Machtergreifung der Nazis am 30. Januar 1933 hatte sich der Großgrundbesitzer auf sein Gut zurückgezogen und Walter Empbusch eine gut bezahlte Anstellung als Landarbeiter angeboten. Irgendwann waren die beiden Männer zu dieser Zeit zusammen bei der Feldarbeit gewesen und fanden dabei schnell heraus, dass sie in der Ablehnung des Nazi-Regimes eine Gemeinsamkeit hatten. Paul Gerhard musste in dieser Zeit die Verhaftung seiner langjährigen jüdischen Haushälterin durch die Gestapo miterleben. Die Hilflosigkeit, die er dabei empfunden hatte, weckte in ihm einen schon längst verloren geglaubten Widerstandswillen. Dieses Regime würde dieses Land in den Untergang führen und dabei tausende Andersdenkende und Andersgläubige einfach auslöschen, dessen war er sich seit diesen Tagen ganz sicher. Er sah es von diesem Moment an, als seine moralische Pflicht an diese Ungeheuer zu bekämpfen.
Nur kurze Zeit später schloss sich der ehemalige DDP-Abgeordnete des preußischen Landtages von Amsfeld einer kleinen Widerstandsgruppe an, die er seitdem aus dem Verborgenen mit Geld oder Naturalien unterstützte. Walter Empbusch war einer der führenden Köpfe dieser Gruppe, der etwa 300 Personen aus allen Schichten der Gesellschaft angehörten.
„Also,was brauchen Sie?“, wiederholte von Amsfeld seine Frage. „Wir benötigen kurzfristig einen sicheren Unterschlupf für drei ehemalige Genossen und einen jüdischen Rechtsanwalt. In Stettin ist es zu gefährlich geworden, bei all den verdammten Spitzeln. Es erscheint uns am sichersten die Männer irgendwo auf dem Land zu verstecken. Es wird nur für ein paar Tage sein und wir dachten da an Ihren Hof.“ Ein Wachtmeister der Ordnungspolizei schlenderte an ihnen vorbei, ohne den beiden Männern irgendeine Beachtung zu schenken. Paul Gerhard von Amsfeld nickte stumm. Dann winkte er den Kellner heran. „Noch einmal das selbe“, sagte er und deutete auf die beiden leeren Biergläser. Der Kellner verstand und wieselte davon. „Also gut. Ich besitze eine kleine Kapelle, die über eine seit langer Zeit unbenutzte Gruft verfügt. Dort könnten Sie die Menschen verstecken.“ Walter Empbusch lächelte zufrieden. „Danke. Sie sind ein guter Mensch.“ Dann erhob er sich und ging ohne ein weiteres Wort davon. Der Kellner trat erneut an den Tisch heran und Paul Gerhard beglich die Rechnung. Wenige Minuten später machte er sich auf den Weg.
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4. Kapitel
Entscheidungen und Erkenntnisse
Die ersten Wochen in der Kaserne empfand Martin von Amsfeld als eine Tortour. Gemäß des Gestellungsbefehls meldete er sich am 1. Oktober bei der 74. SS-Standarte in Greifswald, um von dort aus weiter nach Anklam zu reisen. Dort wurde er dem 2. Sturmbann und 7. Sturm zugeteilt. Ein Sturmbann hatte ungefähr die Größe eines Bataillons und ein Sturm entsprach in der Anzahl seiner Soldaten der Stärke einer üblichen Kompanie. Nachdem er an den ersten beiden Tagen seine Ausrüstung und seine schwarze Uniform erhalten hatte, folgte im Anschluss daran eine medizinische Untersuchung. Alle Wege, die er innerhalb dieser ersten Tage als SS-Anwärter zwischen Kleiderkammer, Sanitätsbereich und Schreibstube zurücklegen musste, wurden im Laufschritt absolviert. Überhaupt war der Ton hier deutlich rauer als er es aus dem RAD-Lager gewohnt war. „Bewegen Sie ihren verdammten Hintern, Mensch. Wo kein Schnee liegt kann gelaufen werden!“ Schon nach wenigen Stunden hatte Martin begriffen, dass er hier nichts zu lachen haben würde. Für einen kurzen Moment verfluchte er den Oberfeldmeister Meinhard und wünschte sich, er hätte sich doch besser von der Wehrmacht zum Wehrdienst einziehen lassen. Der Untersturmführer, der ihm quer über den Exerzierplatz zubrüllte, dass er seine Beine in die Hand nehmen sollte, war sein Kompaniechef und hieß Fritz Maaßen. Der Mann verstand keinerlei Spaß, das war Martin schon nach wenigen Sekunden klar. Maaßen, ein gewichtiger ehemaliger Hauptfeldwebel des Heeres, brüllte eigentlich immer. Es schien fast so, als ob seine Stimmbänder nur eine einzige Lautstärke hervorbrachten. „Sie da! Ich glaube es hackt!“, donnerte