Killer in Texas: Western Sammelband 7 Romane und eine Kurzgeschichte. Pete Hackett
Als sie oben waren, rasselten seine Bronchien. Die Flanken des Tieres zitterten. Es prustete mit geblähten Nüstern.
Oben passte Kathy auf.
Harrison überwand den steilen Abbruch zur zweiten Terrasse. Als er die dritte Terrasse anging, bockte und scheute das Pferd. In einer Rinne, die schräg zum Hang verlief, zerrte er es gewaltsam nach oben. In der Schlucht schlichen wieder Dexter und sein Kumpan an. Sie schossen auf Harrison, dann nahm sie Kathy unter Feuer und trieb sie zurück.
Als Harrison nach über einer Stunde oben ankam, war er fix und fertig. Schweiß rann ihm in Bächen über das Gesicht, brannte in seinen Augen, ließ ihm Hemd und Hose wie eine zweite Haut am Körper kleben.
Wie ein riesiges, steinernes Grab lag die Fortsetzung des Canyons vor ihm. Er schaute nach oben. Gerade trieb Kathy ihr Pferd zwischen zwei haushohen Felsen hindurch auf den natürlichen Pfad, der vom Canyonrand in die Tiefe führte.
Dieser Weg, dem Kathy folgte, soweit man ihn überhaupt als solchen bezeichnen konnte, senkte sich immer steiler nach unten. Das Pferd musste sich gegen das Gefälle stemmen. Hin und wieder schlitterte es ein Stück hangabwärts. Die Hufe hinterließen auf dem Gestein helle Kratzspuren. Kathy hielt die Zügel kurz und bewies, dass sie eine hervorragende Reiterin war.
Der Weg gabelte sich. Nach rechts stieg er an und verschwand im Gewirr der Felsen, nach links führte er über eine schmale Felsleiste ebenfalls zwischen die Felsen und weiter in die Tiefe. Noch konnte sie nicht in den Abgrund hinunterblicken. Ihr schauderte davor, denn sie befand sich in schwindelerregender Höhe, und wenn die Felsen zu ihrer Linken aufhörten, fiel die Wand fünfzig Yards steil zur Sohle des Canyons ab. Der Blick zurück war ihr verbaut.
Aber dann traten die Felsen linker Hand zurück, der Abgrund fiel senkrecht ab. Das Pferd scheute und Kathy saß ab. Vorsichtig führte sie das Tier in die Tiefe, immer darauf bedacht, festen Stand zu haben und keinen Blick hinunter zu werfen. Steine lösten sich und rollten über den Felsrand, zerschellten unten auf Felsbrocken und das scharfe Geräusch des Aufpralls stieg nach oben.
Kathy schaffte es. Mit zitternden Beinen kam sie unten an. Sie fiel erschöpft in Harrisons Arme und der hielt sie fest, als er merkte, dass sie vor Kraftlosigkeit schwankte.
Die Berührung elektrisierte ihn. Sie lehnte sich an ihn. Tränen rannen über ihre von Staub und Schweiß verklebten Wangen und hinterließen helle Spuren. Harrison verdrängte die Gedanken, die auf ihn einstürmten. Ben war sein Freund gewesen. Und jetzt etwas anderes für Kathy zu empfinden als Freundschaft und Dankbarkeit wäre ihm wie ein Verrat an Ben vorgekommen.
Fürs erste hatten sie ihre Verfolger abgeschüttelt.
Und als die Pferde einigermaßen ausgeruht und sie selbst wieder Energien gesammelt hatten, setzten sie ihre Flucht fort.
Sie waren Verfemte, Ausgestoßene. Und nur der Gedanke, eines Tages doch noch seine Unschuld zu beweisen, trieb Harrison und ließ ihn nicht resignieren. Kathy aber beseelte der Gedanke an Rache. Sie lechzte geradezu nach blutiger Vergeltung.
*
Als Sheriff Jim Hickock und das Aufgebot auf die Brazos River-Mannschaft stießen, wurde allen klar, dass ihnen Harrison McQuinn entkommen war.
Ein Mann von der Brazos River Ranch war gestorben. Sein Tod wurde dem Konto Harrisons gutgeschrieben. Sein Schuldkonto war gewachsen.
Flint Dexter knirschte mit hassgetränkter Stimme: „Kath Walker hat ihm geholfen. Ich sah sie ganz deutlich oben auf dem Rand des Canyons.“ Er hielt kurz inne und ließ seine Worte wirken. Er war sich der Wirkung bewusst, die er mit seiner Eröffnung beim Sheriff und den Reitern des Aufgebotes erzielte. Bedeutungsvoll, jedem Wort eine besondere Bedeutung verleihend, endete er: „Und sicherlich spielte ihr Mann auch irgendeine Rolle bei der Befreiung McQuinns. Das ganze Small Rancher-Gesindel steckt unter einer Decke. Man...“
Cole Faithfull, der im Aufgebot ritt, rief grollend: „Hüte dein loses Mundwerk, Dexter. Oder müssen wir Small Rancher dich auf deine richtige Größe zurechtstutzen?“
Flint Dexter zog den Kopf zwischen die Schultern. Er biss sich auf die Zunge. In dem Aufgebot ritten viele Männer, die am California River Ranches besaßen oder für einen der Kleinrancher arbeiteten. Und der Sheriff sowie die Männer aus der Stadt waren alles andere als Freunde Big Johns und seiner Handlanger. Sich mit dem Aufgebot anzulegen war Dexter eine Nummer zu groß.
„Schon gut“, murmelte er. „McQuinn ist über alle Berge. Du kannst nur noch veranlassen, dass Steckbriefe von ihm und seinen Helfershelfern im Land verteilt werden, Sheriff. Irgendeinem Gesetzeshüter oder Kopfgeldjäger wird es schon gelingen, sie zur Strecke zu bringen.“
„Wir reiten zurück!“, bestimmte Jim Hickock. „Für eine tagelange Verfolgungsjagd sind wir nicht gerüstet.“
*
Drei Wochen später schon hing überall in Texas Harrisons Steckbrief aus. Auf seinen Kopf waren 1000 Dollar ausgesetzt. Tot oder lebendig...
Aber Harrison und Kathy waren nach New Mexiko geflohen. Harrison hatte sich einen Bart wachsen lassen. In einem Grenzort namens Taegue, nur einen Steinwurf von der Grenze nach Texas entfernt, hatten sie sich niedergelassen. Von Hobbs aus hatten sie die Stagecouch benutzt. Pferde und Sättel hatten sie an den Mietstall in Hobbs verkauft, um sich Geld zu beschaffen. Sie gaben sich als Ehepaar aus und nannten sich Sam und Joan Leigthon.
Sie wohnten im Hotel. Das Geld, das sie für ihren Lebensunterhalt benötigten, verdiente Harrison mit Gelegenheitsjobs und am Spieltisch. Auch Kathy hatte einen Job angenommen. Sie arbeitete im Saloon als Bardame.
Weitere Wochen zogen ins Land. Langsam wurde Harrison ungeduldig. Er sagte sich, dass es an der Zeit sei, nach Texas zurückzukehren und sich vom Vorwurf des Mordes zu rehabilitieren.
Er sprach mit Kathy darüber. Es war später Nachmittag. Es regnete. Der Sommer näherte sich seinem Ende. Windböen peitschten graue Regenschleier durch die Stadt. Heulende Windstöße wirbelten um Häuser und fauchten und stöhnten in den Passagen und Gassen. Es war kalt.
Sie befanden sich im Hotelzimmer. Obwohl sie der Glaubwürdigkeit wegen zusammen ein Zimmer bewohnten, waren sie sich nicht näher gekommen. Der ermordete Ben Walker stand zwischen ihnen. Es war wie eine stumme Absprache. Harrison respektierte Kathys Empfindungen. Anders wäre er sich schäbig vorgekommen. Kathy war als Frau für ihn tabu ...
Harrison sagte: „Ich glaube, wir können es wagen, nach Texas zurückzukehren, Kath. Wir haben uns verändert. Es ist kaum wahrscheinlich, dass man uns erkennt. Ich muss den Mord an Bob Bancroft aufklären. Erst wenn der richtige Mörder überführt ist, finde ich Ruhe. Der Schuft, der Bancroft umbrachte, hat auch deinen Mann auf dem Gewissen. Was meinst du, Kath? Uns hält hier nichts.“
Ernst musterte ihn die Frau. Dann erwiderte sie: „Wir haben gerade noch das Geld, um die Zimmermiete für diese Woche zu bezahlen, Harrison. Bis nach Stamford sind es 200 Meilen. Wir können uns keine Fahrkarte kaufen, wir haben keine Pferde, wir haben kein Geld für die lange Reise. Es ist unmöglich. Falls wir je in Stamford ankämen, dann als Bettler.“
„Ich muss nach Hause“, murmelte er. „Der Gedanke daran, dass ich in Texas als Mörder gelte, bringt mich um den Verstand. Ich will meine Unschuld beweisen. Denn eines Tages – davon bin ich überzeugt -, holt uns die Vergangenheit ein. Und dann ist es wahrscheinlich zu spät. Wir sind hier nicht sicher. Solange mein Steckbrief an den Anschlagtafeln der Sheriff’s Office aushängt, solange Kerle durchs Land ziehen, die für weniger als 1000 Dollar einem Mann ein Stück Blei zwischen die Rippen knallen, solange muß ich tagtäglich befürchten, erkannt zu werden.“
„Sicher“, murmelte Kathy. In ihren Augen blitzte es auf. Es mutete an wie ein Signal. „Auch ich will zurück nach Texas. Denkst du, ich habe vergessen, dass diese gemeinen Schufte Ben ermordet haben?“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein, Harrison. Ich habe es nicht vergessen. Es verfolgt mich bis in meine Träume. Ich habe Rache geschworen. Alles war ich tue, denke und fühle ist darauf ausgerichtet, Flint Dexter und John Steele für den Mord an Ben zur Rechenschaft zu ziehen.“ In ihren ebenmäßigen