Europa - Tragödie eines Mondes. Uwe Roth
er und war sehr stolz auf sie. Es war die richtige Entscheidung von ihm, Zeru diesen Posten anzubieten. Seine Hartnäckigkeit gegenüber dem Vorstand hatte sich voll bezahlt gemacht. Er nickte ihr zustimmend zu.
„Und wenn wir uns die nachfolgenden ansehen“, folgerte der Professor weiter, “dann stellen wir fest, dass es sich wieder um den ersten Sprecher handelt.“ Zutreffender konnte der Professor das nicht sagen, überlegte Zeru und ließ den Professor weiterreden.
„Es handelt sich also um zwei Teilnehmer, die miteinander kommunizieren.“ Urplötzlich schlug er kurz kräftig mit seinen Flossenbeinen und schwamm nachdenkend in dem großen Raum herum.
„Nein, nein, das kann nicht sein“, sagte er und wiegte dabei seinen großen, nicht mehr so stromlinienförmigen Kopf, hin und her. „Es sind bis dort oben unvorstellbare Weiten, die überbrückt werden müssen. Und ich rede da noch nicht mal von dem ungeheuerlichen Minusdruck, den diese Wesen ausgesetzt sind.“ Er schwamm wieder zu dem Monitor, der die unwiderlegbaren Daten anzeigte. Zeru und die anderen machten ihm ausreichend Platz, damit er ungehindert zum Monitor gelangen konnte. Diese plötzlichen Ausbrüche kannten die Mitarbeiter schon zu genüge. Dann durfte man ihm nicht in die Quere kommen. Er schwamm unaufhörlich in dem großen Raum herum. Das Wasser wurde so sehr aufgewirbelt, dass Zeru und die anderen Mitarbeiter sich nur durch leichte Flossenbewegungen an ihren Plätzen halten konnten.
Sie alle arbeiteten hier am Rande der Legalität. Von der Regierung wurden sie nur geduldet, weil sie sich von den Forschungen Hinweise auf die Kältekatastrophen der letzten Zeit erhofften. Im Allgemeinen vertraten die Behörden der Regierung sowie die alteingesessenen Gremien die Meinung, dass nur ihre Welt, hier am Grund des Wassers, intelligentes Leben hervorbrachte, sonst nirgendwo. Das in dem Oben, in dem Schleier, keine Art von Leben, geschweige denn intelligentes Leben, existieren könnte. Andere Behauptungen galten als Ketzerei. Aber als es vor einem Zeitzyklus schließlich zu der Befallskatastrophe kam und nun die Kälte auf dem Vormarsch war, billigte man solche Forschungen wie die um Professor Bereu. Als die Situation immer bedrohlicher wurde, hatte man sogar in Erwägung gezogen, eine bemannte Expedition in den Schleier zu entsenden, an der sogar eine Mitarbeiterin ihrer Forschungseinheit teilnehmen sollte. Die Teilnehmerin hieß Zeru. Ich werde Zeru sehr vermissen, stellte Professor Bereu fest, als er mit dieser Erkenntnis daran erinnert wurde. Die Zyklen vergingen. Die analysierten Daten wurden noch ausgiebiger untersucht. Jede noch so kleine Nuance in der Tonfolge schaute sich Zeru daraufhin immer wieder an. Sie wollte keine Einzelheit überhören, die eventuell wichtige Ergebnisse liefern könnte. Diese Entdeckung bestärkte sie noch mehr in ihrem Glauben an die Intelligenzen im Schleier. Umso mehr fieberte sie dem Start der Expedition entgegen. Schon bald würde es soweit sein, dachte sie. Dann endlich könnte sie in Erfahrung bringen, um was es sich bei dem Artefakt handelte, das sie bei sich trug. Während sie wieder über den Analysen der Daten hing, schwamm der Professor in ihr kleines Labor. Die kahlen Muschelwände schimmerten in verschiedenen Perlmuttfarben, an denen sich in den Ecken ein leichter Algenbefall befand. Die beiden Monitore, die Zeru zur Analyse ihrer Daten benutze, hingen an vier Korallenstangen, die in der Decke verankert waren. Schwebend verharrte sie vor den Monitoren, deren Tastatur sich in einer kleinen Muschelplatte befand, die mit samt dem dazugehörigen Unterbau in einem Gewirr von Korallengeäst befestigt war, das sich wiederum mit den Korallenstangen der Monitore verband. Mit den flinken Fingern ihrer Flossenhand tippte sie über mehrere winzige in Kristallen eingebettete Symbole, die nacheinander auf dem Monitor erschienen.
Sie bemerkte sofort, dass irgendetwas nicht stimmte. So aufgelöst hatte sie den Professor das letzte Mal gesehen, als sie die seltsamen fremden Töne aus dem Schallgeber hörten. Irgendetwas Unvorhersehbares musste geschehen sein, vermutete Zeru. Langsam ließ sich der Professor vor Zerus Monitor sinken und blickte ihr ernst in die Augen.
„Zeru, es ist so weit. Ich erhielt soeben die Nachricht, dass die Expedition vorverlegt wurde.“
Ihr kleiner, schmaler Kopf erhob sich von dem Monitor und schaute den Professor mit einem leichten Lächeln an. Auch wenn Zeru wusste, dass diese Expedition insbesondere wegen der Eisbarriere stattfand, konnte sie eine leichte Freude nicht unterdrücken.
„Jetzt schon? Aber Professor wieso denn?“, fragte sie den Professor.
„Ich weiß es nicht. Aber ich nehme an, dass es mit dem schnelleren Fortschreiten der Barriere zu tun hat“, erklärte der Professor, der ebenfalls von diesem schnellen Aufbruch überrascht war. Nie hätte er gedacht, dass das Eis so schnell voranschreiten könnte. Aber nun musste er mit Bedauern feststellen, dass es so war.
„Ja, ist gut. Ich werde gleich aufbrechen. Aber zuerst muss ich noch diese Daten analysieren“, erklärte sie ihm. Der Professor wusste, wenn Zeru die Sprache entschlüsseln könnte, dann würde das ein entscheidender Vorteil im Umgang mit den Intelligenzen sein und die Expedition eine ganz andere Gewichtung bekommen.
„Du nimmst die Daten doch sowieso mit an Bord des Aufstiegsschiffs. Dort kannst du in Ruhe deine Forschung weitertreiben. Aber sieh dir erstmal die Nachricht an, die für dich hinterlegt wurde!“, erklärte er ihr.
Sie war sehr aufgeregt. Sie wusste, dass diese Nachricht für ihr weiteres Leben eine Wendung bedeuten würde. Sie war zwar für die Mission angenommen wurden, aber es könnte immer noch eine Absage erfolgen.
Zeru öffnete mehrere Ordner, bis sie auf der Seite der Nachricht für sie angelangte. Sie hoffte auf eine positive Nachricht des Kommandos. Nach den vielen Anträgen und Begutachtungen der Forschungsergebnisse war lange nicht klar, ob die Expedition stattfinden würde. Vor 10 Zyklen war dann endlich das OK gekommen. Sie war so erleichtert. Sie war gespannt, was nun in der Mitteilung stehen würde. Dort las sie, dass der Start auf übermorgen vorverlegt wurde. Sie solle sich morgen in der Kommandozentrale melden, wo anschließend alle Startvorbereitungen getroffen werden sollten. Mit einer unendlichen Genugtuung schaltete sie den Monitor aus. Sie hob ihren Kopf und lächelte den Professor an, der erwartungsvoll versuchte, in ihrem Gesicht zu lesen.
Sie würde nicht unbedingt behaupten, der Professor wäre wie ein Vater für sie. Aber eine sehr freundschaftliche Beziehung hatte sie schon zu ihm. Bei ihm war diese Bindung etwas stärker ausprägt. Ihm lag sehr viel daran, wie Zeru ihr Leben weiterlebte. Daher empfand er tiefste Trauer und doch gleichzeitig freute er sich für sie. Wenn er daran dachte, dass sie auf diese sehr gefährliche Mission ging, schauderte es ihm. Aber wiederum gönnte er ihr diese einmalige Chance, dieses Oben aus der Nähe zu erforschen. Wenn er jünger wäre, würde er selbst auf diese aufregende Mission gehen. Dafür war er aber zu alt.
„Es freut mich für dich. Ich wünsche dir alles Gute auf eurer Fahrt. Und pass mir ja gut auf dich auf. Ich möchte meine beste Mitarbeiterin wieder gesund zurückhaben.“
Der Professor nahm sie in die Arme und drückte sie fest an sich.
Manchmal konnte er so ein Biest sein. dachte sie sich. Und dann war er wieder der gute Freund, der sie so oft gefördert hatte. Sie war unendlich traurig, dass er nicht mitkommen konnte. Aber da ließen die alten den jungen Forschern doch den Vortritt.
„Zeichnet ja alles auf, was dort oben passiert, damit wir hier unten eine Menge Arbeit haben.“
„Das tun wir. Jetzt werden wir endlich erfahren, wie unsere Welt dort oben beschaffen ist, was sich dort oben verbirgt. Ich bin so stolz darauf, mit dabei sein zu dürfen.“
„Ich werde die neuen Daten noch auf einen Datenspeicher übertragen, damit du sie weiter untersuchen kannst“, erklärte er ihr, “vielleicht sind sie hilfreich, dort wo ihr hinschwimmen werdet.“ Er drückte sie nochmals und ließ sie schließlich ziehen. Als sie in ihrem Flitzer die Forschungseinrichtung verließ, schaute ihr auch der Techniker Verkum hinterher. Er hoffte, sie bald wiederzusehen.
2. Das Aufstiegsschiff
Am frühen Morgen des nächsten Zyklusses bestieg Zeru die Vakuumbahn, die sie zum Kontrollzentrum der Mission bringen sollte. Da sich der Bahnhof nicht weit von ihrer Wohnsiedlung entfernt befand, begab sie sich schwimmend dort hin. Sie war froh, nicht ewig nach einer Dockingstation für ihren Flitzer suchen zu müssen. Es war lange her, dass sie auf eine solche geschäftige Flut von Maboriern traf. Das Eingangsportal zu den einzelnen Vakuumbahnen