Führerin. Gregor Eisenhauer

Führerin - Gregor Eisenhauer


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Autor das Thema vor: Verschwörungstheorie. Zweiter Schritt: Sie richten Nutzerforen zu diesem Thema im Internet ein. Ermuntern andere Verschwörungstheoretiker, ihre Vermutungen ins Netz zu stellen, über Mittelsmänner versteht sich, und heizen so eine Debatte im Netz an, die wiederum, im dritten Schritt, den Erfolg des Buchs garantiert.»

      «Und in der Folge andere animiert, zum gleichen Thema ein ähnliches Buch zu schreiben, das wiederum heftig diskutiert wird und sich wahnsinnig gut verkauft, was wiederum …»

      «Genau, das Perpetuum mobile des Verlagswesens. Von mir erfunden. Erste Nutznießerin war übrigens Jane Rowling.»

      «Sehr witzig.»

      Sie sah ihn mit leicht schräg gelegtem Kopf an, was bei ihr immer ein Zeichen war, dass sie eine Idee faszinierend fand. Das hatte er sofort wahrgenommen und ruckte geschmeichelt auf seinem Platz hin und her. Er war wie ein kleiner Junge. Vermutlich war was dran an seiner Waisen-Biografie. So etwas konnte man unmöglich schauspielern.

      «Einen ähnlichen Hype sollen Sie jetzt bei Klimt auslösen?»

      «Auch das, und ein wenig mehr! Klimt geht es ja nicht nur um den Verkauf seiner Bücher, Geld hat er nicht mehr nötig, wird er auch vermutlich nicht mehr ausgeben können, ihm geht es um Publicity für seine Ideen.»

      «Aus reiner Sorge um die Welt und ihren Fortbestand?»

      «So in etwa …»

      «Warum wechselte Klimt dann als Wissenschaftler ins Romanfach?» Sie unterbrach ihn aus Angst, er könnte dieses ‹etwa› ausformulieren zu einem brillanten Vortrag über Gott und die Welt und Klimts Rolle als alternder Messias. Wilson holte tief Luft, es passierte ihm nicht oft, dass er einfach so unterbrochen wurde. Es machte ihn nicht ärgerlich, eher neugierig. Er hatte in Martina eine ebenbürtige Gegnerin, das gefiel ihm, das gefiel ihm sogar außerordentlich. «Weil man ihm als Wissenschaftler kaum Gehör schenken würde. Zudem: Er ist eitel. Er braucht Publikum, das große Publikum!»

      ‹Da habt ihr etwas gemeinsam›, dachte sie. ‹Du hörst dich auch gern reden, wie alle Männer deiner Generation.› Martina schätzte Wilson auf Mitte dreißig. Er trug einen dezent gestreiften Anzug, eine sehr teure Armbanduhr, zumindest dem Anschein nach, und ließ seine Hände sehr dekorativ auf dem Tisch ruhen, wohl wissend, dass sie das Anziehendste an ihm waren. Denn während sein Blick immer ein wenig zu musternd wirkte, strahlten seine Hände die Ruhe eines Menschen aus, der sich selbst und seiner Talente absolut gewiss war.

      «Darüber hinaus gibt es durchaus persönliche Motive, mit ihm zusammenzuarbeiten …»

      «Wann wird das Buch erscheinen?»

      «In absehbarer Zeit, aber ich will auf etwas anderes hinaus …»

      Allmählich fand sie Gefallen daran, ihn barsch zu unterbrechen.

      «Wie ist der Betreuungs-, oder besser gefragt, der Überwachungsplan?»

      «Löchrig, da Klimt sich beharrlich weigert, unter meinem persönlichen Arrest zu stehen, wie er das nennt.»

      «Er will sterben?»

      «Er inszeniert seinen Tod. Die vierzehn Stationen des Kreuzweges … sagt Ihnen das etwas? Wenn nicht, lesen Sie es nach. Die Bibel, ein sehr interessantes Buch. Denn mich müssen Sie jetzt entschuldigen, sosehr ich Ihre inquisitorische Art auch schätze, es wird eine Protestaktion vor Klimts Hotel erwartet. Ein kleiner Marketingspaß unseres Verlags, über den wir bitte beide Stillschweigen bewahren. Aber wollen wir unser Gespräch nicht heute Abend fortsetzen … Ein kleiner Bummel entlang der Spree? Dann können wir ein wenig ausführlicher über die Privatperson Klimt sprechen. Das kam mir doch gerade ein wenig zu kurz. Überlegen Sie in Ruhe, welche Fragen Sie wirklich stellen wollen, welche Fragen wirklich wichtig sind!» Er lächelte auf eine so bedeutsame Art, dass sie versucht war, ihm den Zuckerstreuer an den Kopf zu werfen. Er sah ihre verhaltene Wut und lächelte noch eine Spur maliziöser.

      «Dann könnten wir auch ein wenig über Sie reden! Ich hoffe, Sie haben die Therapien gut überstanden und fühlen sich fit für die anstehenden Aufgaben?! Also abgemacht? Neunzehn Uhr vor dem Bode-Museum? Ach ja, eine kleine Bitte noch. Kontaktieren Sie morgen diese Frau hier, Klimts Tochter. Er legt großen Wert darauf. Und es wird, wie es so schön heißt, Ihr Schaden nicht sein. Die Kontaktdaten finden Sie auf der Rückseite des Fotos. Ein schönen Tag noch!»

      Martina war so überwältigt von einem Gefühl der tiefen Abneigung gegen Wilson, dass sie instinktiv den Kopf schüttelte – und zustimmte. Wilson nickte ihr höflich zu und ging, natürlich nicht ohne vorher dezent die Rechnung beglichen zu haben. Ein Heranwinken, ein diskretes Hinüberreichen eines viel zu großen Scheins, ganz schlechtes Hollywood. Fehlte nur noch, dass der Kellner an ihren Tisch trat und nach weiteren Wünschen fragte.

      «Nein, danke, keinen Appetit!»

      Er war tatsächlich gekommen und hatte ihr die Speisekarte vorlegen wollen. Was für eine gute Show, schade nur, dass sie wirklich nicht ihre beste Leistung abgerufen hatte. Wilson war ihr überlegen, noch. Mit dem Hinweis auf Klimt als Privatmann hatte er ihr den Kopf ganz schön zurechtgestutzt. Es war klar, dass es hier nicht nur um eine Marketingkampagne für ein neues Buch ging. Klimt hatte ein Anliegen, etwas, was ihm sehr wichtig war, eine Herzenssache. Um das Wohl der Menschheit sorgte der sich nicht, aber auch nicht um Geld oder Ruhm. Es musste irgendetwas anderes sein, aber was? Sie hatte einfach zu wenig Infos. Sie zog das Dossier aus ihrer Tasche, das ihr Kehrtmann in die Hand gedrückt hatte. Zwanzig magere Seiten über Klimts Karriere als Wissenschaftler und gefeierter Buchautor. Kaum drei Zeilen über ihn als Privatmann. Verheiratet, geschieden, ein Kind. ‹Das arme Kind›, dachte sie unwillkürlich. Seine Frau war bereits vor zehn Jahren gestorben, kein Wort über die Todesursache. Wahrscheinlich beschäftigte Klimt eine Heerschar von Anwälten, um sein Privatleben zu schützen – aber warum dann die Anfrage an sie?!

      Martina rieb sich die Fäuste gegen die Stirn. Da war sie wieder, die Angst, dass sie ihr Talent einfach so verloren hatte. Mit dem Krebs war auch ihre Intuition verschwunden, verstrahlt, vergiftet durch die Chemo, sie fühlte sich krank und schwach.

      «Verdammt, ich brauch einen guten Kaffee!»

      Die Kellner drehten sich zu ihr um, als hätten sie den stummen Aufschrei tatsächlich gehört. Eigentlich wollten sie ihr nur in den Mantel helfen, zu dritt. Sie wehrte lachend ab und machte sich auf den Weg in Andrews Café.

      Das Café war in den letzten Monaten so etwas wie ihr ganz privater Schutzraum geworden. Andrew war Australier. Sie hatte keine Ahnung, wie er es schaffte, aber wann immer er sie anlächelte, fühlte sie sich wie ein Bondi-Beach-Girl.

      Mit zwanzig war sie dort gewesen. Damals hatte sie die Australier überhaupt nicht gemocht. Sie erinnerte sich an jede Menge tote Kängurus, die in unterschiedlichen Verwesungsgraden die Fernstraßen säumten. An schrecklich heiße Tage, an feuchte Regenwälder, träge Koalas und natürlich an die Wasserwunder des Great-Barrier-Riffs. Aber sie war kein Fan geworden. Seit Andrew sein kleines Café direkt an der Spree aufgemacht hatte, war alles anderes. Sie mochte seinen Akzent, seine beharrliche Weigerung, deutsch zu sprechen, und seinen Espresso. Den anderen Gästen erging es ähnlich. Es war immer viel zu eng, aber die Leute drängten sich gern herein, auch wenn selten ein Platz auf den kleinen harten Stühlen frei war. An dem kleineren der zwei Tische saß wie immer Tom und starrte angestrengt auf den Bildschirm seines Laptops.

      «Hey, Babe!» Er sah kaum hoch, sondern tänzelte weiter über die Tastatur. Eigentlich hatte er Musiker werden wollen, aber der eklatante Mangel an Talent war selbst ihm nicht entgangen. Das wenige Geld, das er brauchte, verdiente er durch Kellnern, ansonsten multiplizierte er seine Existenz in Dutzenden Chatrooms und seinem privaten Blog.

      Das Erfreulichste an Tom war seine absolute Asexualität. Das machte den Umgang mit ihm so entspannt. Zudem hatte Martina in den Monaten ihrer Krankheit selbst eine Art multiple Persönlichkeit entwickelt, sodass sie sich an Toms beharrlichen Schizophrenien nicht weiter störte. Für ihn gab es keine feste Zeit mehr, keinen festen Raum, er surfte im Universum wie ein Zeitreisender ohne Kilometerlimit.

      «Master of the Universe, ich hab ein Problem!»

      «Süße,


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