Wyatt Earp Paket 2 – Western. William Mark D.
Sie nur hinein!«
Damned, wie konnte der Mann wissen, daß er noch nicht im Zimmer war, daß er noch hier im Flur stand.
Er war doch blind!
Aber es war so stockdunkel, daß auch ein völlig Gesunder, ein Mensch, der über die volle Sehkraft verfügte, hier in dieser Dunkelheit nicht das mindeste hätte erkennen können.
Der Alte mußte seinen Standort also anderswie festgestellt haben.
»Gehen Sie nur hinein!« wiederholte er.
Der Marshal blieb stehen.
Braddock schlurfte noch einen Schritt weiter vor, blieb dann in der Flurmitte stehen.
»Kommen Sie bitte, Mister Stapp, wir wollen hineingehen.«
Wyatt hielt sich neben ihm.
Der Alte stieß die Tür weiter auf.
Ein düsterer Raum lag vor dem Marshal. Das diffuse Licht, das durch die Straßenfenster hereinkam, vermochte das Zimmer nur so weit aufzuhellen, daß man die weiße Tischdecke und die weißen Tüchlein auf den vier Polsterstühlen sehen konnte.
»Bitte, setzen Sie sich, Mister Stapp!«
Wyatt ließ sich auf einem der Sessel nieder.
Der Alte ging mit seinem typischen harten Stockaufstoßen ans Fenster und kam dann zurück.
Dicht hinter Wyatts Stuhl blieb er stehen.
Das heißt, der Missourier saß nicht mehr auf dem Stuhl. Er hatte das Geräusch, das der Greis mit seinen Schritten und seinem Stockaufstampfen verursacht hatte, dazu ausgenutzt, seinen Platz unbemerkt zu verlas-
sen.
»Sie leben also noch«, sagte der alte Braddock. »Hm – das ist nicht gut. Sie sind tot. Die ganze Stadt hält Sie für tot. Sie müssen tot sein.«
Da Wyatt jetzt hinter ihm stand, konnte er seine Silhouette deutlich gegen das Fenster erkennen.
Da sah er, wie der Greis die Linke ausstreckte, um nach der hohen Lehne des Polsterstuhls zu tasten.
»Nehmen Sie nur Platz, Mister«, sagte Wyatt da von der Wand her.
Der Greis zuckte zusammen. Ganz steif stand er da.
»Saßen Sie nicht gerade noch hier auf dem Stuhl?«
»Ich stehe lieber«, wich der Marshal aus. »Aber ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir erklären würden, wieso es schlecht ist, daß ich nicht tot bin.«
Joe Braddock stampfte den Stock so hart auf die Dielen auf, daß man es auf der Straße hören mußte.
»Verstehen Sie denn nicht? Wenn Sie tot gewesen wären, hätte die ganze Geschichte ein Ende gehabt. Jetzt aber fängt sie wieder von vorn an.«
»Richtig – welche Geschichte übrigens, Mister Braddock?«
»Die Sache mit den Kaktusfeldern. Ich… ich habe das alles gar nicht richtig begriffen, muß ich Ihnen sagen. Sie sagten, daß die Kaktusfelder abgeschnitten worden seien. Wo hat es denn so etwas schon gegeben? Ich lebe nun schon fast ein halbes Jahrhundert in diesem Land und siebzehn Jahre hier auf diesem Fleck. Damals, als ich noch sehen konnte, bin ich oft weit in den Llano hineingekommen, mit Leuten, die hinüber nach Roswell wollten. Ich habe sie bis zu den Feldern gebracht, von dort aus hatten sie genau westlich zu reiten…« Er brach ab und fuhr sich mit der knorrigen Linken über den Schädel.
»Sprechen Sie nur weiter«, sagte der Marshal.
»Was gibt’s da noch zu sprechen? Sie sagen, die Kakteen sind alle weggeschnitten. Was soll das? Keine Sonne, kein Wind und kein Wetter konnte diese grünen Türme umwerfen. Und nun sollen sie weggeschnitten sein! Das ist nahezu unglaublich. Wissen Sie, gerade diese Kakteengruppe war ja so etwas wie ein Wegweiser in der Wüste…«
»Eben. Ich bin den Weg schon einmal geritten, und diesmal habe ich die Kakteen vergeblich gesucht.«
»Und wie sind Sie trotzdem hierhergekommen?«
Der Missourier lauschte dieser Frage einen Augenblick nach.
Braddock hüstelte spitz.
Da meinte der Marshal:
»Hierhergekommen? Die Frage ist sonderbar, Mister Braddock. Finden Sie nicht?«
»Nein – das heißt, vielleicht mag sie Ihnen sonderbar vorkommen. Ich jedenfalls denke mir, daß es nicht leicht ist, ohne jede Orientierung durch das Llano zu reiten. Und wer nach Whiteface will, der muß auf jeden Fall an den Kaktusfeldern vorbei. Kein Mensch wird es wagen, durch das Llano zu reiten, wenn er nicht ein paar Markierungspunkte kennt. Die Kakteen waren die besten Orientierung, die man sich wünschen konnte. Ich werde nie begreifen, wie sie vernichtet werden konnten.«
»Yeah, es ist schwer zu begreifen – und dennoch nicht unmöglich. Ich habe gehört, daß früher einmal, vor fast zwanzig Jahren, Pfähle durch den Llano aufgestellt worden sind…«
»Yeah, das stimmt, aber viel weiter unten. Zuweilen kann man noch einen der einsamen Pfahlstümpfe im Sand sehen.«
»Diese Pfahlreihe wurde durch die schmalste Stelle der Wüste gezogen. Das war eine gute Sache. Nur ganz schwere Sandstürme vermochten einen Pfahl umzuwerfen und unter sich zu begraben. Eines Tages kamen Banditen ins Land und verstellten die Pfähle. Verstellten sie so, daß die Reiter, die sich nach den Hölzern richten wollten, in die Irre geführt wurden. Nach einem Ort, wo die Banditen sie niederschießen und ausrauben konnten. Eine ziemlich einfache, aber auch ziemlich harte Sache, finden Sie nicht auch?«
Der Greis schwieg und starrte mit seinen toten Augen in den dunklen Raum.
Der Marshal fuhr halblaut fort.
»Das Wegschneiden der Kakteen erinnert mich ziemlich unangenehm an die Stakemen, verstehen Sie?«
Auch jetzt noch schwieg der Alte.
»Es ist schließlich nicht ausgeschlossen, daß es Leute gibt, die sich in den Kopf gesetzt habe, den faulen Trick der Stakemen wieder aufleben zu lassen.«
»Wie meinen Sie das?« krächzte Braddock.
»Ich meine, daß es irgendwo Menschen gibt, die die Absicht haben, auf die gleiche Art Beute zu machen, wie damals die Pfahlbanditen.«
»Wie sollten Sie das…«
»Wer von Roswell über die Grenze kommt, wird mit ziemlicher Sicherheit, sitzt er auf scharf östlicher Route, nach Lubbock wollen. Und da sind die Kakteen eine große Hilfe. Man sieht sie meilenweit in der Wüste und kann sich an ihnen orientieren. Ich beispielsweise hatte auch die Absicht…«
»Aber Sie sind doch trotzdem hergekommen.«
»Yeah, weil mein halbverdursteter Rappe einen kleinen Sandhügel aufscharrte, um an der ziemlich frischen Schnittfläche dieses Kakteenstumpfes zu lecken. Außerdem habe ich mich in meinem Kurs nicht beirren lassen. Wer aber weniger zielstrebig vorwärts nach Osten stampft, dem kann es ebensogut passieren, daß er nach Norden oder gar nach Süden abkommt. Und eben diese Tatsache scheint den Absichten der Kakteenmörder entgegenzukommen.«
Der Alte stieß einen zischenden Laut durch seinen zahnlosen Mund. Dann sagte er schnarrend:
»Lubbock, well, aber Lubbock ist weit. Was soll das mit Whiteface zu tun haben. Hier wohnen wirklich nur wenig Menschen. Knapp fünfhundert.«
»Siebenhundert«, entgegnete der Marshal kühl. »Und außerdem führt der Weg nach Lubbock über White-face, Mister Braddock.«
»Und…?«
»Da fragen Sie noch? Jeder, der nach Lubbock will, muß über Whiteface. Da ist es für Leute mit düsteren Absichten nicht sehr schwer, den Reitern den Weg zu verlegen, die aus dem Kurs kommen. Sie brauchen sich nur hinter einer der Sanddünen zu verbergen und ihre Opfer zu belauern. Sie können ohne allzuviel Mühe hinter den Sanddünen folgen. Ich vermute sogar, daß sie versucht haben werden, weiter