Wyatt Earp Paket 2 – Western. William Mark D.
hätte ihn jeder Mann im County auf eine dreiviertel Meile erkannt. Er benahm sich ganz so, als ob er allein wäre. Aber er war nicht allein; hinter ihm hielten sieben Männer auf ihren Pferden und blickten wortlos auf seinen breiten Rücken.
Und hinter den Reitern kam eine Viehherde, die von wild schreienden Treibern nur mühsam in die Straße gezwängt werden konnte.
Die sieben Reiter hinter ihm ritten nebeneinander, und zwar so, daß sie die ganze Breite der Straße ausfüllten.
Die Tombstoner waren an dieses Bild längst gewöhnt. Und der Mann, der oben an der dritten Straße im Sheriffs Office saß, schien um diese Stunde immer zu schlafen. Und es gab auch niemanden in der Stadt, der den Hilfs-Sheriff Jonny Behan gerufen hätte, um ihn darauf hinzuweisen, daß eine Rinderherde durch die Stadt getrieben wurde, was ja verboten war. Vor allem gab es niemanden, der Behan darauf aufmerksam gemacht hätte, daß es Ike Clanton war, der die Herde durch die Stadt trieb; daß es also eine gestohlene Herde war, die da ganz offen mitten am hellichten Tag durch die Hauptstraße der Stadt getrieben wurde.
Ike Clanton hatte schon fast hundert Yards hinter sich, als plötzlich ein Mann aus einer Seitengasse kam und mitten auf der Straße stehenblieb.
Es war ein großer, breitschultriger Mann, der etwas an sich hatte, daß sogar den ›König von Arizona‹ zwang, sein Pferd anzuhalten: Der Mann hielt ein großes Schrotgewehr im Anschlag.
Sonst war eigentlich nichts Besonderes an ihm. Er war vielleicht einsfünfund-achtzig hoch, hatte dunkles Haar, ein kantiges wetterbraunes Gesicht und helle blaue Augen. Sein Hut war schwarz, ebenso seine Hose. Das graue Kattunhemd war am Hals offen, und auf der linken Seite der kurzen schwarzen Weste trug er einen fünfzackigen Stern im Kreis.
Ach ja, richtig. Es gab ja noch einen U.S. Deputy Marshal in Tombstone. Da das von der Regierung so seit langem angeordnet war, hatte man sich in Tomb-
stone mit der Tatsache abgefunden.
Der Mann mit dem Stern war Virgil Earp, der älteste der fünf Earp-Brüder.
Ike stützte sich aufs Sattelhorn, senkte den Kopf und fixierte den Sternträger.
Eine lange Minute des Schweigens kroch durch die Tombstoner Hauptstraße.
Da sprangen die schmalen Lippen des Desperados auseinander. »Was soll das werden, Earp?«
Der U.S. Deputy Marshal stand reglos da. »Treib die Herde zurück, Ike!« Virgil hatte es nicht sehr laut gesagt, und er erinnerte in seiner nervenlosen Ruhe den Banditen plötzlich unangenehm an den berühmtesten der Earp-Brüder: an den Dodger Marshal Wyatt.
»Es ist ganz sicher besser für dich, Earp, wenn du nach Hause gehst, deinen Gaul holst und ein bißchen um die Stadt reitest, um nach Leuten Ausschau zu halten, die die Bundesgesetze übertreten.«
Virgil entgegnete gelassen: »Damit bin ich eben beschäftigt, Ike.«
In den Augen des Outlaws blitzte es auf. Mit einem Ruck richtete er sich hoch. Seine rechte Hand schwebte vom steifangewinkelten Arm dicht über dem Revolverkolben.
Da fuhr das knackende Gräusch des Gewehrhahns über die Straße.
Kein Muskel zuckte in Virgil Earps Gesicht. »Du treibst die Rinder zurück, Ike.«
Langsam rutschte der Desperado aus dem Sattel und machte fünf Schritte nach vorn. »Wir werden das gleich hier klarstellen, Earp.« Damit schnallte er den Waffengurt ab und ließ ihn neben sich in den Straßenstaub fallen.
Virgils Augen durchforschten das Gesicht des Verbrechers einen Herzschlag lang, dann entspannte er das Schrotgewehr, brachte es hinüber und lehnte es an die Vorbaukante des Crystal Palaces. Dann schnallte auch er seinen Waffengurt ab und kam langsam auf die Straßenmitte zurück.
Drei Yards der Tombstoner Mainstreet trennten den Gesetzesmann jetzt noch von dem Banditen.
Da stürzte plötzlich eine hagere Frau mit blassem Gesicht aus der Seitenstraße, rang die Hände und schrie: »Virgil! Nicht! Das kannst du nicht tun! Du darfst dich nicht mit ihm einlassen! Siehst du nicht, daß er ein Dutzend Leute hinter sich hat?«
Der Sternträger wandte den Kopf. Das Blut schoß ihm bis zum Haaransatz. »Geh nach Haus, Dora«, sagte er rauh.
Die Frau blieb stehen. »Virg, denk an die Kinder!«
Da grub sich eine steile Falte zwischen die Brauen des Mannes, Schroff entgegnete er: »Ich habe gesagt, du sollst nach Hause gehen!«
Da wandte sich die Frau an den Desperado: »Was wollen Sie, Ike? Er ist allein. Sie haben mit Ihren Treibern mehr als ein Dutzend Leute hinter sich!«
»Dora!«
Die Frau sah ihren Mann an. Dann nickte sie müde. »Es ist gut«, kam es heiser von ihren Lippen. »Ich gehe ja schon.« Sie raffte ihren langen grauen Rock, wandte sich um und ging mit gesenktem Kopf davon.
»All right«, krächzte der Bandit. »Wir können anfangen, Earp!« Und ohne ein weiteres Signal warf er sich nach vorn, hieb dem Sternträger einen krachenden Haken an die Kinnlade.
Sie waren aus Eisenholz geschnitzt, die Earp Brothers. Der Schlag hatte ihn zwar durchgeschüttelt, aber er stand aufrecht da. »Well, Ike«, entgegnete er mit eisiger Ruhe, »und den nächsten Hieb kannst du auf der anderen Seite versuchen!«
So einfältig jedoch war der Bandit nicht, dieser Aufforderung Folge zu leisten. Er senkte vielmehr den Kopf und suchte den Gegner mit einem tückischen Kopfstoß zu rammen.
Virgil wich im letzten Bruchteil einer Sekunde zur Seite und hieb dem Outlaw einen knackenden Handkantenschlag ins Genick.
Aber auch der Ranchersohn aus dem Blue Valley war hart im Nehmen. Er stolperte zwar nach vorn, kam aber sofort wieder hoch.
Beide hieben nun wilde Schläge aufeinander los.
Es war ein ausgeglichener Kampf. Keiner gab dem anderen etwas nach. Und obwohl es die härtesten Brocken waren, die sie da auf die Reise schickten – sie verdauten sie beide.
Plötzlich fuhr ein krachender Uppercut Virgils durch die Deckung des Desperados und erwischte fast genau die Kinnspitze.
Ike torkelte zurück und knickte mit dem linken Knie ein.
Ein heiserer Schrei flog aus einem Dutzend von Männerkehlen.
Aber der Cowboy aus dem Blue Valley schien den fürchterlichen Niederschlag schon geschluckt zu haben. Er richtete sich auf und rannte wieder vorwärts.
Mit kalter Ruhe empfing ihn Virgil.
Im Verlauf der nächsten Sekunden zeigte sich, daß Ike den Uppercut doch nicht so ganz heil überstanden hatte. Seinen Schlägen fehlte der Dampf. Aber noch stand er seinen Mann. Doch war es auf einmal allen klar, daß er untergehen würde. Es war nur noch eine Frage von Sekunden.
Da sprang plötzlich ein Mann aus dem Eingang des Crystal Palaces auf die Straße und stürzte sich mit einem wüsten Schrei Virgil in die Flanke.
Der federte zurück, stieß Ike mit einer langen Linken von sich und fing den anderen Mann, der sich da in unfairer Weise eingemischt hatte, mit einem wütenden Cross zum Schädel ab.
Es war Phin, Ikes jüngerer Bruder, der da gleich diesen schweren Schlag einstecken mußte und zurücktorkelte.
Die Männer auf den Pferden waren starr vor Verblüffung über das Stehvermögen des Sternträgers.
Da rutschte Tom McLowery vom Pferd, riß sein schweres Sharpsgewehr aus dem Scabbard, packte es vorn an der Mündung und hieb den Kolben Virgil Earp von hinten auf den Kopf.
Der so niederträchtig von hinten angegriffene Mann brach in die Knie.
Der unfaire Niederschlag schien selbst dem Desperado Ike Clanton zuviel gewesen zu sein.
»Steig in den Sattel«, schnauzte er seinen Gefolgsmann an. »Und sieh zu, daß die Rinder zurückgetrieben werden.«
»Zurückgetrieben?« fragte