Wyatt Earp Paket 2 – Western. William Mark D.
alte Posthalter schob seinen grünen Marineglasschirm aus der Stirn und musterte die Frau mit sorgenvollem Gesicht. »Sie kommen wegen Virgil, Ma-dame, nicht wahr?«
Die Frau nickte.
»Wollen Sie eine Nachricht an das Militär in Prescott aufgeben?«
Dora Earp schüttelte den Kopf. Sie wußte ja, daß das wenig Sinn gehabt hätte. Bis der Gouverneur einen Staatenreiter herschickte, konnte ein Monat vergehen. Und vielleicht noch längere Zeit. Virgil hatte das ja vor einem Jahr schon einmal versucht und sich dann doch an Wyatt gewandt.
Wyatt, der von ihr so gehaßte Wyatt, wo war er? In Dodge? Das war keineswegs sicher. Ein Trader hatte vor einer Woche unten im General Store erzählt, daß Wyatt Earp irgendwo in Texas sei. Er behauptete, ihn bei Norfolk drüben im Panhandle vorm Sheriff Office mit dem dortigen Sheriff gesehen zu haben. Aber ein paar Tage darauf brachte John Clum eine Zeitung aus Colorado, in der eine Notiz von einem Bandenüberfall in der Nähe von Denver stand, bei dem der bekannte Dodger Marshal Earp den Bandenchief gestellt hätte.
Es war also hoffnungslos, an den Schwager zu schreiben. Oh, wie sie ihn haßte! Ihrer Ansicht nach hatte Virgil sich nur so an den Stern geklammert, weil der jüngere Bruder so berühmt durch ihn geworden war. Aber er war doch ein ganz anderer Mensch, dieser Wyatt Earp. Ein härterer, stärkerer Mann, der für diesen Teufelsjob weitaus besser geeignet war als ihr Mann Virgil.
So jedenfalls dachte die Frau.
Als sie niedergeschlagen im grellen Sonnenlicht stand, das durch die Tür in das Post Bureau fiel, meinte der alte Jesse Malcolm: »Ich hätte da noch einen anderen Gedanken, aber…«
Die Frau sah auf. Ein Hoffnungsschimmer huschte über ihr verhärmtes Gesicht. »So sprechen Sie doch, Mister Malcolm!«
»Hm – ich weiß, daß Sie ihn nicht mögen…«
»Wen, Wyatt? Well, ich mag ihn nicht, weil Virgil so vernarrt in ihn ist. Aber schließlich ist er mein Schwager. Und wenn einer Virgil finden kann, dann ist nur er es.«
»Ich meinte Wyatt gar nicht«, versetzte der Posthalter leise und kramte auf seinem Pult herum.
»Wen denn?« fragte die Frau hastig.
»Den Doktor.« Malcolm hatte es fast noch leiser gesagt.
»Den…?« Dora Earp starrte ihn fast böse an. »Meinen Sie etwa Doc Holliday?«
Malcolm nickte und kramte eifrig in seinen Papieren herum, als suche er etwas.
»Nein, nie! Nie werde ich ihn um Hilfe bitten!« Die Frau hatte es fast geschrien. Wenn sie Wyatt auch haßte, so war das doch mehr eine gewisse Art von Eifersucht – aber den Georgier haßte sie, weil er ein so durch und durch eisiger Mensch war. Weil niemand mit ihm warm werden konnte, weil er so unansprechbar war, weil er – yeah, weil er der Freund Wyatt Earps war.
»Doc Holliday! Nie! Nie!«
Sie wollte hinaus, war schon auf dem Vorbau, als sie den Posthalter sagen hörte:
»Vielleicht ist er aber Ihre einzige wirkliche Chance, Madame. Ich weiß übrigens zufällig, daß er sich in Santa Fé aufhält. Wir haben eine gute Verbindung nach Santa Fé…«
Dora Earp war bereits auf der Vorbautreppe, blieb jetzt stehen und kam langsam und mit müden Schritten zurück.
Es war ganz sicher die schwerste Bitte ihres Lebens, die sie jetzt zu Papier bringen ließ. Eine Drahtnachricht an das Sheriffs Bureau in Santa Fé. Mister James Brocks, County Sheriff.
Sir, falls Sie Aufenthalt von Doktor John Henry Holliday ermitteln können, bitte benachrichtigen, daß Wyatt Earp dringend in Tombstone erwartet wird. Virgil seit neun Tagen vermißt.
Dora Earp, Tombstone
*
Der grauhaarige County Sheriff James Brocks, der ein schweres Leben hinter sich hatte, der mehrere Jahre unten in Fort Worth unschuldig wegen eines Verbrechens gesessen hatte, das der Raubmörder Jack Hardac begangen hatte, riß die Eilnachricht auf, die ihm der junge Bursche aus dem Post Office eben gebracht hatte.
Brocks hatte die Botschaft kaum überflogen, als sich seine hagere Gestalt straffte. Er nahm seinen grauen Hut vom Wandhaken, schnallte seinen Waffengurt um und ging die Straße hinuner zum Billroy Casino. Er wußte, daß Doc Holliday seit einer Woche etwa in der Stadt war und sich meistens dort aufhielt.
Es war noch früh am Morgen, und der Schankraum war fast leer.
Ein paar Männer lehnten an der Theke, und an einem der zwanzig grünbezogenen Spieltische saßen drei ältere Männer beim Pokerspiel.
Der Sheriff winkte den Keeper zu sich heran. »Wissen Sie, wo Doc Holliday ist?«
Der dicke Keeper wischte sich den Schweiß von der Glatze. »Doc Holliday? Yeah, das kann ich Ihnen sogar genau sagen. Doc Baker hat Zahnschmerzen.«
»Was, unser Zahnarzt?«
»Yeah, und da hat er hier an der Theke so lange auf ihn eingeredet, bis Doc Holliday mit ihm nach Hause gegangen ist. Vorsichtshalber hat sich der Gambler eine Pulle Brandy mitgenommen…«
Der Sheriff war schon draußen.
Das Haus Doktor Bakers lag unten in der Mainstreet, gleich neben der großen Western Bank.
Ein etwa sechzehnjähriges hübsches Mädchen mit langen Zöpfen öffnete. »Hallo, Sheriff! Haben Sie etwa Zahnschmerzen? Mein Vater hat leider…«
»Ist Doc Holliday bei Ihnen, Miß Maud?« forschte Brocks.
»Ja, aber er hat auch keine Zeit, weil er Vater…«
»Lassen Sie mich bitte rein. Ich muß mit Doc Holliday sprechen.«
Das Mädchen zog die Schultern hoch und ließ den Sheriff ins Haus.
Dann stand James Brocks in der halb-offenen Tür des Behandlungszimmers und sah den Zahnarzt Jeremias Baker in seinem eigenen Behandlungszimmer sitzen und schwitzen.
Vor ihm stand hemdsärmelig, ohne jede Spur von Schweiß mit kaltem, ruhigem Gesicht ein hagerer junger Mann mit gutgeschnittenem ernstem Gesicht und eisblauen Augen. Er handhabte gerade einen Tretbohrer und führte ihn mit großer Sorgfalt und Ruhe über einen der Backenzähne seines Kollegen.
»Papa, der Sheriff ist hier«, sagte das Mädchen leise.
Hollidays Hand mit dem Bohrer zuckte sofort zurück, und der alte Baker schnauzte: »Sieht denn der Kerl nicht, daß ich keine Zeit habe, weil ich den teuersten Zahnarzt der Welt in Bewegung gesetzt habe?«
»Nur einen Moment, Doc«, meinte der Sheriff.
»Nichts da!« keuchte der Alte. »Wenn Doc Holliday geht, kommt er so bald nicht wieder. Der Mann hat die sanfteste Hand, die ich je bei einem Menschen gesehen habe.«
Der Georgier warf dem Hüter des Gesetzes einen kurzen Blick zu. »Wir sind gleich soweit, Sheriff. Mund auf, Baker. Es geht weiter.« Und schon wieder surrte der Bohrer. Holliday setzte noch einen Moment aus und winkte Maud herbei. »Wenn Sie das Pedal treten, kann ich besser arbeiten.«
»Yeah!« krächzte der Alte. »Was
stehst du auch wieder so da herum und hältst Maulaffen feil, Maud. Er ist verheiratet.«
»Stimmt nicht«, versetzte Holliday kühl. »Und jetzt: Mund auf!« Wieder surrte der Bohrer.
Brocks trat näher und sah zu. Dann nahm er den Zettel vom Post Office und las ihn vor.
Mit einem Ruck setzte der Bohrer aus. Doc Holliday sah den Sheriff an. »Wann ist das gekommen?«
»Vor zehn Minuten.«
»Thanks«, sagte er dann nur und bohrte weiter an der faulen Backenzahnstelle seines Kollegen herum.
Eine Viertelstunde später stürmte er aus dem Haus, wimmelte den Dank des alten Arztes ab und rannte hinüber zur Post.
Er