RUN - Sein letzter Deal. Douglas E. Winter
heiraten, und Jules hat das große Los gezogen: Sie heiratet den Sohn eines Senators.
Ich werde da sein, sage ich. Das will ich auf keinen Fall verpassen.
Als Jules mich hinausgeleitet, zieht er mich noch einmal für eine ungelenke Umarmung heran und sagt:
Burdon Lane, du bist mein Jagdhund, Sohn. Du würdest niemals den falschen Baum anbellen, oder?
Ich kriege so langsam das Gefühl, dass ich ein Kind bin, das gerade zu seinem ersten Schultag geschickt wird.
Dann fang jetzt auch nicht damit an, sagt er.
SCHWARZMALEREI
Also machen wir jetzt Geschäfte mit Niggern.
Das ist so eine Sache, die einem hin und wieder passiert, und die dich nachts wach liegen lässt, mit der Bettdecke bis ans Kinn gezogen, während alle anderen schlafen und du dich fragst, wie lange du das noch so weitermachen kannst. So wie der Gedanke, dass du bald fünfzig wirst. Und dass du dich wirklich so langsam mal sozial absichern solltest. Eines dieser Dinge, die in dir herumkriechen und irgendwann anfangen, an dir zu nagen, immer mehr und immer mehr, und dich früher oder später wahnsinnig machen.
Die U Street gibt es jetzt seit fünf Jahren, vielleicht auch länger, und kam in der Zeit auf, als diese Gangsterbanden nichts weiter waren als ein paar lausige Nullen, großmäulige Kids, die Koks für die Mafia verscherbelten. Bis zu jenem Tag, an dem die Mafia verschwunden war und das große Hauen und Stechen losging. Es gab ein paar Tote, das Verbrechen schrumpfte sich gesund, und dann war da die U Street Crew.
Tatsache ist: Es gibt die Typen, die du gewählt hast, und dann gibt es die Typen, die wirklich das Sagen haben. Manchmal – nicht oft, aber manchmal – sind das die gleichen Leute. Drüben in Dirty City passiert das häufiger.
Aber Doctor D, den Mann hinter der U Street, hatte niemand gewählt. Geboren als Deacon Bailey. Seine Mutter bekam ihn mit fünfzehn, Vater unbekannt. Er wuchs bei seiner Tante auf, während seine Mutter zu viele Schwänze und an zu viel Crack lutschte und im greisen Alter von zwanzig Jahren verstarb. Er fing als kleiner Straßenbandit in der von Graffiti verschandelten Wüstenei an, die man Montana Terrace nennt, und arbeitete sich nach oben, verschob Drogen, Waffen, Geld, Nutten, und es dauerte nicht lange, bis er seine eigene Clique zusammenhatte. Diese Typen sind Jäger, und denen geht es nicht um die Straße oder ihr Viertel, denen geht es um Lebensraum. Also schwimmen sie flussaufwärts, raus aus den kleinen Gaunereien und rein ins große Geschäft. Eines schönen Tages wird der gute Doctor wegen vier Morden, tätlichem Angriff, vorsätzlicher Gefährdung, Verwenden einer Schusswaffe in Zusammenhang mit einem Gewaltverbrechen, Behinderung der Staatsgewalt und im Prinzip allem außer Falschparken angeklagt. Niemand will gegen ihn aussagen, also bleibt nichts an ihm kleben. Die Zeitungen nennen ihn den Teflon-Mann. Er bestellt Mordaufträge wie andere Pizzen, hauptsächlich für rivalisierende Kokain-Lords, kriegt die Handschellen angelegt und reitet ein paar Monate später wieder aus dem Knast, aus Mangel an Beweisen. Kaum wieder auf freiem Fuß, nimmt er die Low Four Crew aus dem Rennen, wobei er persönlich einem übergelaufenen Dealer vor vielleicht hundert Augenzeugen die Eier abschießt, von denen aber später kein einziger als Zeuge zur Verfügung steht. Nicht schuldig. Jetzt ist er der König der Straße, beschäftigt mindestens so viele Leute wie die Washingtoner Gaswerke und versorgt die halbe Stadt, darunter auch den Bürgermeister, mit Kokain und Heroin.
Wieder ein wahr gewordener amerikanischer Traum.
Aber Geschäftsleuten wie uns macht so was das Leben schwer. Dirty City war mal ein Riesenmarkt für uns, und Aktionen wie diese kappen die Gewinnspanne. Schwer zu sagen, ob man mit oder ohne diesen Typen besser dran wäre. Ich meine, wenn man sich allein mal ansieht, was die Gangster aus dem Strohmann-Spiel gemacht haben.
Irgendwann um Mitternacht herum, am dritten April 1991, übte jemand an der Ecke der 14th und H Streets North West Zielschießen. Das ist wie weit vom Weißen Haus entfernt – zwei Querstraßen? Ein klassisches Drive-By-Shooting. Ein Zuhälter namens Maurice Overby macht mit einem neuen Reißverschluss quer über der Brust und bis hoch zum Hals eine Schwalbe in den Rinnstein. Neben seiner Leiche findet man elf verschossene Patronenhülsen und eine Intratec DC-9 Assault Pistol.
Eine ganz anständige Waffe, die TEC-9. Als Vollautomatik umgebaut, spuckt sie im Handumdrehen zwanzig Schuss aus. Ein paar Jahre später latscht irgend so ein Spinner ins Polizeihauptquartier von D.C. und – man mag es kaum glauben – legt einen Cop und zwei FBI-Agenten um. Und hat am Ende immer noch eine Kugel für sich selbst übrig.
Die TEC-9, mit der Maurice Overby erschossen wurde, war bei der Richmond Police Equipment Company erworben worden. Die Rechnung war auf einen Otis Campbell ausgestellt. Das ATF-Formular Nummer 4473 ebenfalls. Nur dass dieser Otis Campbell die Waffe vielleicht für ganze zwanzig, maximal dreißig Minuten besessen hat.
Man nennt es die Strohkäufer-Masche, und so funktioniert das Ganze:
Wir fahren raus nach Richmond oder Roanoke, werben die üblichen Verdächtigen an – Obdachlose, Drogenabhängige, Typen, die von der Stütze leben – und schicken sie mit einer Einkaufsliste und einer Handvoll Dollar in die nächsten Waffenläden. Eine alte Dame, bestimmt schon um die achtzig, Tante Becka haben wir sie genannt, hat für uns vielleicht sechzig Handfeuerwaffen in drei Monaten gekauft. Sie machte ihre Arbeit und wurde dafür bezahlt: Fünfundzwanzig Dollar pro Waffe. Wahrscheinlich hat sie davon die Miete bezahlt und ihren Enkeln Spielzeug und was zum Anziehen gekauft, was weitaus mehr ist, als George Bush je für sie getan hat.
Die Strohkäufer-Masche konnte nicht lange gut gehen. Erst recht nicht, als die Stanton Terrace Crew und der 1-5 Mob anfingen, aufeinander loszugehen. Und dann trat noch die U Street auf den Plan. Zu viel Wettbewerb.
Aber wie immer wachen die Feds erst auf, wenn es schon zu spät ist, und dann ist auch noch Wahljahr, also greifen sie hart durch. Und wo? Bei den Waffenläden. Machen Richmond Police Equipment dicht, wegen gefälschter Verkaufsberichte. Der Laden gehörte Lennie Skittings. Netter Kerl. Alleinerziehender Vater mit ein paar Kindern, hat wie der Rest von uns auch nichts weiter gewollt, als seine Hypothek abzuzahlen. Da kommen ein paar Leute vorbei, zeigen die richtigen Ausweise, füllen die richtigen Formulare aus, bezahlen mit richtigem Geld, was also hätte er denn machen sollen? Aber am Ende bekennt sich Lennie Skittings schuldig, schließt sein Geschäft, und dann, an einem schönen Samstag, macht er eine lange Spritztour raus aufs Land und bläst sich mit einer .38er das Hirn raus.
Die Banden fingen relativ einfach an. Damals sind sie in Häuser eingebrochen, für gewöhnlich von einem der Nachbarn, um deren Kanonen zu klauen. Dann kamen sie auf das Strohmann-Spiel. Jetzt kontrollieren sie die Drogen, deshalb haben sie das nötige Geld und kriegen Mengenrabatt. Kriegen Deals. Kriegen sogar Pauschalreisen nach New York City bezahlt.
Es ist, wie CK sagt, sofern das überhaupt ausgesprochen werden muss: Diesen Kerlen kann man nicht trauen. Die legen ihren Bruder, ach Scheiße, die legen sogar ihre eigene Mutter um, wenn sie ihnen in die Quere kommt. Die bringen sich die ganze Zeit über gegenseitig um. Und wenn die schon sich gegenseitig umbringen, welchen Stand hat dann wohl ein Weißer, wenn er grade um die Ecke biegt?
Deshalb: Man kann mit diesen Jungs was essen gehen, man kann mit denen einen heben, und, wenn Jules Berenger es wünscht, kann man sogar mit den Typen zusammenarbeiten.
Aber man darf ihnen nicht trauen.
Ich hatte schon ein paar schwarze Jungs dabei. Einer von ihnen, ein Kerl namens Abednego Jones, war clever. Ich meine nicht gewieft wie die Typen von der Straße, obwohl er das auch draufhatte. AJ war wirklich clever.
Ich erzähle Ihnen mal, wie clever dieser Abednego Jones war: Er zog sich in den Ruhestand zurück. AJ sparte sein Geld, und vielleicht hat er auch hier und da was abgezweigt, und eines Tages sagte er einfach nur: Danke, aber ich bin raus. Er hatte sich ein kleines Haus in Sarasota gekauft und zog mit seiner Frau hinunter. Und jetzt sitzt er den lieben langen Tag in der Sonne, füttert die Vögel oder geht angeln, wenn ihm danach ist. Ich frage mich, ob er einen Sonnenbrand kriegen kann.
Jetzt hätte ich Abednego Jones