RUN - Sein letzter Deal. Douglas E. Winter
irgendwer bahnt sich seinen Weg durch die Menge hindurch. Dann sagt Mackie:
Das ist Doby.
Der Typ spaziert in die Lobby, sucht wahrscheinlich nach einem freien Tisch, wer weiß. Man kann Auffahrunfälle nicht gebrauchen, oder Telegramme, die dir vom Tod deiner Großmutter berichten, und am allerwenigsten kann man diesen Doby-Mathers-Typen gebrauchen.
Von daher trifft Scheiße das ziemlich gut. Ich überlege, ob ich mich umdrehen und nach dem Hinterausgang suchen soll. Aber Doby ist so drüber, wahrscheinlich Koks, dass man ihm nicht entkommen kann. Das ist Schicksal, ein Unfall. Immerhin ist meine rechte Hand noch in meiner Jackentasche, und dort befindet sich auch meine Glock.
Hey, Mann, begrüßt er CK, erntet nur Schweigen und dann sieht er zu mir. Sag hey, Ray.
Der zugedröhnte Pisser kann sich noch nicht mal meinen Namen merken. Trotzdem:
Hey, Doby, sage ich. Wie geht's?
'ns gut, Ray. Alles bestens.
CK beobachtet die Mittagsgäste und weiß so gut wie ich, dass niemand in der Lobby, der darauf wartet, dass sein Name aufgerufen wird, sich verdammt noch mal auch nur einen Scheiß für uns interessiert. Der Typ ist schwach. Er ist zu schwach, um einen fahren zu lassen. CK nickt, und ich grinse übertrieben breit.
Muss los, Doby.
Cool. Er bewegt sich keinen Zentimeter und bleibt mitten im Weg stehen.
Ich sage noch einmal, etwas lauter: Ich muss los, Doby.
Er starrt einfach durch mich durch, und die Worte hallen von seinen Ohren zu seinem Gehirn. Er muss sich den Stoff wohl schon seit dem Frühstück reinziehen. Dann, Pling!, geht ihm ein Licht auf.
Oh, Mann. Ja klar, Ray, du musst los.
Achselzuckend schiebe ich mich an ihm vorbei und auf den Ausgang zu. Aber dieser Typ ist noch nicht fertig. Jetzt hat er CK am Wickel.
Lässt dich nicht mehr so oft hier blicken, CK. Warum kommst du nicht mal wieder öfter vorbei?
CK drängt sich an ihm vorüber, aber der Typ will nicht lockerlassen.
Hey, CK, sagt er. Hey, Mann. Du lässt dich nicht mehr blicken. Hast du was für mich oder nich'?
CK dreht sich zu ihm um und bohrt ihm einen Finger in die Brust: Lass mich in Ruhe.
Hey, sachte, Mann. Doby hebt die Hände. Hastes irgendwie eilig? Wir sollten uns mal unterhalten. Ein paar Geschäfte machen. Spaß haben.
Und dann überspannt er den Bogen, sagt: Mikey.
Er sagt: Hey, CK. Ihr Jungs, wisst ihr was? Ihr solltet mal wieder runter zum Fluss kommen. No business like show business. Ich zeig euch ein paar meiner Mädels. Und hey, bringt Mikey mit. Was ist eigentlich aus dem Typen geworden? 'n netter Kerl, echt ein netter Kerl. Bringt Mikey mit und wir …
Das ist der Moment, wo CK ihn mit durch die Tür zur Herrentoilette nimmt. Packt den Typen einfach am Jackenkragen und schiebt ihn rückwärts durch die Tür.
Wartet hier, sage ich zu Mackie und Two Hand, und dann bin ich hinter den beiden her.
Irgend so ein Typ zieht sich am Pissoir gerade den Reißverschluss zu, und ich sage zu ihm: Hey, Entschuldigung, aber unserem Kumpel hier ist schlecht, müssen wohl die Krabbenpuffer gewesen sein. Und schon ist der Typ zur Tür raus. Da hat CK Doby bereits gegen die gegenüberliegende Wand geschoben und ihm die erste eingeschenkt, ein harter Schlag mit der Linken in die Nieren, und Doby krümmt sich zusammen. Darauf folgt ein Knie in die Magengrube, und ich höre dieses Geräusch, das sich wie eine Babyrassel anhört.
Zwei Minuten, sage ich zu CK. Zwei Minuten und dann sind wir hier raus.
Du hältst die Klappe, was Mikey angeht, sagt CK, so als wäre ich nicht da, und vielleicht bin ich das auch gar nicht. Ich lehne in der Tür und halte sie zu. Hast du mich verstanden, Teflonnase? Hast du mich verstanden, du kleiner Scheißer?
CK kann ihn nicht loslassen, denn sonst würde er auf den Boden fallen. Ich frage mich, ob der Mistkerl anfangen wird, wie ein Baby zu wimmern. Seine Lippen bewegen sich, aber es kommen keine Worte heraus, noch nicht mal Töne, nur dieser komische Versuch eines Wimmerns.
Nach ein paar weiteren Schlägen fängt der Typ an zu kotzen, und da lässt CK ihn los, lässt ihn wie einen Müllsack auf den Boden fallen. Als ich die Tür aufdrücke und hinausgehe, höre ich, wie CK zu ihm die weisen Worte sagt:
Du hältst die Klappe, was Mikey angeht.
URALTE GESCHICHTEN
Ich bin das mit Mikey nicht gewesen, aber ich habe zugesehen. Was eine gute Sache ist, denn in jeder Nacht, in der ich mit dem brennenden Verlangen nach einem Whiskey und der Erinnerung an diesen Blick in seinen Augen aufwache, sage ich mir, dass das etwas ist, an das ich mich für immer erinnern muss, etwas, das ich niemals vergessen will.
Einmal rief mich Mikey an und fragte: Willst du über Jesus reden? Nein, sagte ich ihm, aber er sagte: Du musst über Jesus reden. Ich fragte ihn, warum, und er sagte: Wenn du erst fragen musst, warum, dann musst du ganz dringend über Jesus reden.
Also sagte ich: Okay, Mikey, dann reden wir über Jesus.
Und er sagte: Okay. Prima. Also, weißt du, ich muss wissen, was passiert, wenn man stirbt.
Mikey hatte eine Frau. Sie hieß Sharon, eine verwaschene Rothaarige mit ganz viel irischem Einschlag. Sie trug gern diese herabhängenden Ohrringe. Zwei Kinder hatten sie auch. Einen Jungen, Kevin, glaube ich, und dieses kleine Mädchen, ein süßes Kind. Am Anfang sind sie meistens süß, und dann werden sie groß. Frage mich, was aus ihnen geworden ist.
Mikey arbeitete draußen in Wilmington, North Carolina, wo Jules ein paar Autoteileläden unterhielt und damit ganz gut Profit machte, soweit ich mich erinnere. Auf seiner Visitenkarte stand wahrscheinlich Manager, aber was er eigentlich managte, war der Handel draußen in Camp Lejeune, wie diesen Marine-Captain mit seiner schlechten Angewohnheit und dem Bedürfnis, Geschütze gegen Bargeld zu tauschen. Riskantes Geschäft, aber Mikey zog alle Register, und für eine Weile hatten wir erstklassige Ware zu Spottpreisen, billig kaufen, teuer verkaufen, nicht nur M-16 und M-60 Maschinengewehre, sondern auch M-203 Granatwerfer, inklusive Granaten zum Abfeuern.
Wir machen nicht viele Privatgeschäfte, nicht mehr. Zu riskant und viel zu schmutzig. Aber damals … damals, als ich anfing, gab es nie Probleme. Nicht mal beim Verkaufen. Wir kauften billig in Virginia oder South Carolina, Sachen wie diesen Billigmist von Davis-Pistolen oder ein paar Dritte-Welt-Imitate, und verkauften sie teuer, vielleicht fünf- oder sechsmal teurer in der Innenstadt. Die Mafia hatte das Sagen, und eines musste man ihnen lassen, die sorgten noch für Ordnung. Es gab die Omertà: den Ehrenkodex, den Schweigekodex, was auch immer. Man verpfiff niemanden, man vermasselte keine Deals. Man spielte nach den Regeln. Man machte Geschäfte.
Oder jemand buddelte dir eine Grube.
Aber das war zur Zeit der Fünf Familien, vor den Kubanern und den Jamaikanern und den Triaden und diesen verdammten Kolumbianern. Und vor den Gangs. Bevor aus Kokain Crack wurde. Bevor der Waffenwahn überhandnahm und sich die Straßen blutig färbten.
Heutzutage hält man sich einfach nur noch den Rücken frei, schaut sich ständig über die Schulter. Aber wenn das ungute Gefühl zunimmt, wenn man noch nicht einmal mehr den Jungs vertrauen kann, die auf deiner Seite stehen, die Jungs, mit denen man auf Tour ist – na ja, dann muss man noch ein wenig mehr tun, als sich hin und wieder nach hinten umzudrehen.
Jemand beobachtete Mikey. Und diesem Jemand gefiel nicht, was er sah. Mikey hatte Dreck am Stecken, wahrscheinlich schon von Anfang an, aber mein Gott, in dem Geschäft kann man sich seine Leute oft nicht aussuchen. All das Gerede von ein paar wenigen guten, vertrauenswürdigen Leuten, ist alles Quatsch. Klar will man Jungs, die sauber sind und einen kühlen Kopf bewahren können, aber so wie eine wirklich gute Waffe sind solche Jungs echte Mangelware. Im Endeffekt braucht man Typen, auf die man sich verlassen kann, echte Soldaten,