H. G. Wells – Gesammelte Werke. Herbert George Wells

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Kemps Wort nicht, dass sei­ne Frei­heit ge­wahrt blei­ben soll­te. Er un­ter­such­te die bei­den Fens­ter des Schlaf­zim­mers und öff­ne­te die Lä­den, um sich da­von zu über­zeu­gen, dass ein Rück­zug auf die­sem Wege, wie Kemp be­haup­te­te, mög­lich sei. Die Nacht war ru­hig und still, und der neue Mond stand hoch über der Düne. Dann un­ter­such­te er die Sch­lös­ser der Schlaf­zim­mer­tü­ren und ver­ge­wis­ser­te sich, dass auch die­se ihm und sei­ner Frei­heit Schutz bo­ten. End­lich er­klär­te er sich be­frie­digt. Er stand am Ka­min, und Kemp hör­te ihn gäh­nen.

      »Es tut mir leid«, sag­te der Un­sicht­ba­re, »dass ich Ih­nen heu­te nicht al­les er­zäh­len kann, was ich ge­tan habe. Aber ich bin er­schöpft. Es ist fan­tas­tisch, ge­wiss. Es ist so­gar ent­setz­lich! Aber glau­ben Sie mir, Kemp, trotz Ih­rer Be­weis­füh­rung von heu­te Mor­gen ist es mög­lich. Ich habe eine Ent­de­ckung ge­macht. Ich woll­te sie für mich be­hal­ten. Es geht aber nicht. Ich muss einen Hel­fer ha­ben. Und Sie – wir wer­den Din­ge aus­füh­ren –. Aber mor­gen. Jetzt, Kemp, habe ich das Ge­fühl, als ob ich schla­fen müs­se – – oder ster­ben.«

      Kemp stand in der Mit­te des Zim­mers und starr­te auf das kopf­lo­se Ge­wand. »Ich muss Sie wohl ver­las­sen«, sag­te er. »Es ist – un­glaub­lich. Noch ein sol­ches Er­leb­nis, das mei­ne Be­rech­nun­gen so über den Hau­fen wirft – und ich wür­de ver­rückt wer­den. Aber es ist Wirk­lich­keit! Kann ich sonst noch et­was für Sie tun?«

      »Nur mir ›Gu­te Nacht!‹ sa­gen«, er­wi­der­te Grif­fin. »Gute Nacht!«, sag­te Kemp und schüt­tel­te eine un­sicht­ba­re Hand. Dann ging er seit­wärts zur Tür.

      Plötz­lich folg­te ihm der Schlaf­rock has­tig. »Ver­ste­hen Sie mich wohl«, sag­te der Schlaf­rock, »ma­chen Sie kei­nen Ver­such, mich zu be­läs­ti­gen oder zu fan­gen – sonst –«

      Kemp wech­sel­te ein we­nig die Far­be. »Ich den­ke, Sie ha­ben mein Wort!«, sag­te er.

      Er schloss die Tür lei­se hin­ter sich und so­fort wur­de der Schlüs­sel hin­ter ihm um­ge­dreht. Wäh­rend er dann noch mit dem Aus­druck dump­fer Ver­blüf­fung ste­hen­blieb, hör­te er, wie sich ra­sche Schrit­te der Tür zum An­klei­de­zim­mer nä­her­ten, und wie auch die­se ver­schlos­sen wur­de. Er strich sich mit der Hand über die Brau­en. »Träu­me ich? Ist die Welt ver­rückt ge­wor­den, oder bin ich es?«

      Er lach­te und leg­te die Hand an die ver­rie­gel­te Tür. »Durch eine lä­cher­li­che Sin­ne­stäu­schung aus mei­nem ei­ge­nen Schlaf­zim­mer ver­trie­ben!«, mur­mel­te er.

      Er ging zur Trep­pe, wand­te sich um und starr­te auf die ver­schlos­se­ne Tür. »Es ist Tat­sa­che«, sprach er zu sich. Dann leg­te er die Hand an sei­nen leicht ver­letz­ten Na­cken. »Un­leug­ba­re Tat­sa­che!«

      Er schüt­tel­te hoff­nungs­los den Kopf, wen­de­te sich um und ging hin­un­ter.

      Im Spei­se­zim­mer zün­de­te er die Lam­pe an, nahm eine Zi­gar­re und be­gann im Zim­mer auf und ab zu ge­hen. Von Zeit zu Zeit sprach er mit sich selbst.

      »Un­sicht­bar!«, sag­te er.

      »Gibt es ein un­sicht­ba­res Tier? … Im Meer – ge­wiss. Tau­sen­de – Mil­lio­nen. Alle Lar­vae, alle die klei­nen Nau­plii und Tor­na­ri­as, alle die mi­kro­sko­pi­schen Din­ge. Im Mee­re gibt es mehr un­sicht­ba­re als sicht­ba­re Din­ge. Ich habe frü­her nie­mals dar­an ge­dacht … Und auch in den Tei­chen! All die klei­nen In­fu­so­ri­en, die dar­in le­ben – farb­lo­se, durch­sich­ti­ge Gal­ler­te! … Aber in der Luft! Nein!

      Es kann nicht sein.

      Aber schließ­lich – warum nicht?

      Wenn ein Mensch aus Glas wäre, blie­be er doch noch sicht­bar.«

      Er dach­te an­ge­strengt nach. Drei Zi­gar­ren hat­ten sich als wei­ße Asche auf den Tep­pich ge­la­gert, be­vor er wie­der sprach. Und dann war es nur ein Aus­ruf. Er wand­te sich ab, schritt aus dem Zim­mer und ging in sein klei­nes Sprech­zim­mer, wo er das Gas an­zün­de­te. Es war ein klei­ner Raum, denn Dr. Kemp leb­te nicht von sei­ner Pra­xis, und die Ta­ges­zei­tun­gen wa­ren dort auf­be­wahrt. Das Mor­gen­blatt war nach­läs­sig ge­öff­net und bei­sei­te ge­wor­fen wor­den. Er hob es auf, blät­ter­te um und las den Be­richt über die »selt­sa­men Er­eig­nis­se in Iping«, wel­che der Ma­tro­se in Port Sto­we Mar­vel so müh­sam vor­buch­sta­biert hat­te. Kemp über­flog rasch den Ar­ti­kel.

      »Ver­mummt!«, sag­te er. »Mas­kiert!« »Er ver­barg es!« »Nie­mand scheint eine Ah­nung von sei­nem Un­glück ge­habt zu ha­ben!« »Was zum Teu­fel hat er ei­gent­lich vor?«

      Er ließ die Zei­tung sin­ken und sein Auge schweif­te su­chend um­her. »Ah!«, sag­te er und nahm die »St. Ja­mes-Ga­zet­te« auf, die noch zu­sam­men­ge­fal­tet dalag, wie man sie am Abend ge­bracht hat­te. »Jetzt wer­den wir die Wahr­heit er­fah­ren.« Er riss das Blatt auf. Ein paar Spal­ten fie­len ihm in die Au­gen. »Ein gan­zes Dorf in Sus­sex ver­rückt ge­wor­den!«, war die Auf­schrift.

      »Gro­ßer Gott!«, sag­te Kemp, eif­rig einen un­glaub­li­chen Be­richt über die Er­eig­nis­se des denk­wür­di­gen Nach­mit­tags in Iping, wie sie schon ge­schil­dert wur­den, durch­flie­gend. Auf der zwei­ten Sei­te war der Be­richt aus dem Mor­gen­blat­te ab­ge­druckt.

      Er ließ das Blatt sin­ken und starr­te vor sich ins Lee­re. »Wahr­schein­lich eine Ente!«

      Er griff wie­der nach dem Blatt und las die gan­ze Ge­schich­te noch ein­mal.

      »Aber, was ist das mit dem Land­strei­cher? Wa­rum zum Teu­fel jag­te er ei­nem Land­strei­cher nach?«

      Plötz­lich ließ er sich auf den Ope­ra­ti­ons­di­van nie­der­fal­len.

      »Er ist nicht nur un­sicht­bar«, sag­te er, »son­dern ver­rückt. Mord­ma­nie! …«

      Als die Mor­gen­däm­me­rung ihre blei­chen Schat­ten mit dem Lam­pen­licht und dem Zi­gar­ren­dampf ver­misch­te, ging Kemp noch im­mer im Ess­zim­mer auf und ab und such­te das Un­glaub­li­che zu fas­sen.

      Er war zu er­regt, um zu schla­fen. Die Dienst­bo­ten, wel­che schläf­rig her­un­ter­ka­men und ihn un­ten über­rasch­ten, wa­ren der An­sicht, dass er sich über­ar­bei­tet habe. Er gab ih­nen den au­ßer­ge­wöhn­li­chen, aber nicht miss­zu­ver­ste­hen­den Be­fehl, ein Früh­stück für zwei Per­so­nen in sein Stu­dier­zim­mer zu brin­gen und das Erd­ge­schoss dann nicht mehr zu ver­las­sen. Dann fuhr er fort, das Spei­se­zim­mer zu durch­mes­sen, bis das Mor­gen­blatt kam. Das hat­te viel zu sa­gen und we­nig zu be­rich­ten; nur eine Be­stä­ti­gung der am Abend vor­her ge­brach­ten Neu­ig­kei­ten und einen sehr schlecht ge­schrie­be­nen Ar­ti­kel über ein an­de­res merk­wür­di­ges Er­eig­nis in Port Bur­dock. Dies gab Kemp einen Be­griff von den Vor­gän­gen in ›den lus­ti­gen Cricke­tern‹ und den Na­men Mar­vels. »Vier­und­zwan­zig Stun­den lang hat er mich bei sich be­hal­ten«, be­zeug­te Mar­vel. Ge­wis­se


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