H. G. Wells – Gesammelte Werke. Herbert George Wells

H. G. Wells – Gesammelte Werke - Herbert George Wells


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Be­gräb­nis­se zu­rück und zu dem ver­las­se­nen, kah­len Hü­gel, un­ter dem mein Va­ter die letz­te Ruhe ge­fun­den hat­te. So ging es un­un­ter­bro­chen fort, bis end­lich die Däm­me­rung an­brach. Ich fühl­te, dass ich doch nicht schla­fen konn­te, so ver­schloss ich die Türe hin­ter mir und wan­der­te in die mor­gen­fri­schen Stra­ßen hin­aus.«

      »Wol­len Sie da­mit sa­gen, dass eine un­sicht­ba­re Kat­ze in der Welt frei her­um­läuft?«, frag­te Kemp.

      »Wenn sie nicht ge­tö­tet wor­den ist«, sag­te der Un­sicht­ba­re. »Wa­rum nicht?«

      »Al­ler­dings warum nicht?«, wie­der­hol­te Kemp. »Ich woll­te Sie nicht un­ter­bre­chen.«

      »Sie ist wahr­schein­lich ge­tö­tet wor­den«, sag­te der Un­sicht­ba­re. »Dass sie vier Tage spä­ter noch leb­te, weiß ich, denn in der Gre­at Tich­field Street kam ich da­mals zu­fäl­lig an ei­ner großen Men­schen­men­ge vor­bei, die sich an ei­nem Ab­zugs­ka­nal an­ge­sam­melt hat­te, weil man dort lau­tes Mi­au­en hör­te, ohne sich er­klä­ren zu kön­nen, wo­her es kam.«

      Wohl eine Mi­nu­te schwieg er still. Dann fuhr er un­ver­mit­telt fort:

      »Des Ta­ges vor der großen Ver­wand­lung ent­sin­ne ich mich deut­lich. Ich muss die Gre­at Port­land Street hin­auf­ge­gan­gen sein. Denn ich er­in­ne­re mich an die Ka­ser­ne in Al­ba­ny Street, aus der eben Sol­da­ten her­aus­rit­ten. End­lich fand ich mich in der Son­ne auf dem Gip­fel von Prim­ro­se Hill und fühl­te mich sehr krank und son­der­bar er­regt. Es war ein son­ni­ger Ja­nu­ar­tag – ei­ner je­ner son­nig kal­ten Tage, die den Schnee­fäl­len die­ses Jah­res vor­an­gin­gen. Mit bren­nen­dem Kop­fe such­te ich mir mei­ne Lage klarzu­ma­chen und einen Plan für die Zu­kunft zu fas­sen.

      Jetzt, da ich den Preis mit Hän­den grei­fen konn­te, sah ich mit Er­stau­nen, wie we­nig Vor­tei­le ich mir von dem Er­folg ver­sprach. Tat­säch­lich war ich über­ar­bei­tet. Die An­span­nung ei­ner fast vier­jäh­ri­gen an­ge­streng­ten Ar­beit hat­te mich geis­tig und kör­per­lich her­un­ter­ge­bracht. Ver­geb­lich trach­te­te ich den En­thu­si­as­mus über mei­ne ers­ten Ver­su­che, mei­ne Lei­den­schaft für neue Ent­de­ckun­gen, die mich in den Stand ge­setzt hät­ten, selbst den Tod mei­nes grei­sen Va­ters mit Gleich­mut zu er­tra­gen, wie­der­zu­ge­win­nen. An nichts war mir ge­le­gen. Ich sah ziem­lich klar, dass dies eine vor­über­ge­hen­de Stim­mung war, die von Übe­r­an­stren­gung und Man­gel an Schlaf her­rühr­te, und dass es mir ent­we­der durch ärzt­li­che Be­hand­lung oder voll­stän­di­ge Ruhe leicht ge­lin­gen wür­de, mei­ne frü­he­re Ener­gie wie­der­zu­fin­den. Nur ein Ge­dan­ke schweb­te mir klar vor: dass die Sa­che durch­ge­führt wer­den muss­te. Die­ser fixe Ge­dan­ke be­herrsch­te mich noch im­mer. Und zwar muss­te sie bald durch­ge­führt wer­den, denn mein Geld ging zur Nei­ge. Ich ver­such­te an die mär­chen­haf­te Macht zu den­ken, über die ein un­sicht­ba­rer Mensch auf der Welt ver­fü­gen wür­de.

      End­lich schlepp­te ich mich nach Hau­se, nahm et­was Nah­rung zu mir, dann eine star­ke Do­sis Strych­nin und leg­te mich an­ge­klei­det auf mein zer­wühl­tes Bett … Strych­nin ist ein groß­ar­ti­ges Mit­tel, Kemp, um einen Men­schen auf­zu­rüt­teln.«

      »Es ist ein teuf­li­sches Mit­tel«, sag­te Kemp.

      »Ich er­wach­te neu­ge­stärkt und sehr er­reg­bar. Sie ken­nen den Zu­stand?«

      »Ich ken­ne die Wir­kung sehr gut.«

      »Da klopf­te es an die Tür. Es war der Haus­herr. Er kam mit Dro­hun­gen; ich hät­te in der Nacht eine Kat­ze ge­quält, er wüss­te es be­stimmt – die Zun­ge der al­ten Frau war also ge­schäf­tig ge­we­sen – und be­ste­he dar­auf, al­les dar­über zu er­fah­ren. Die Ge­set­ze des Lan­des ge­gen die Vi­vi­sek­ti­on sei­en streng und er kön­ne des­halb zur Verant­wor­tung ge­zo­gen wer­den. Ich ver­leug­ne­te die Kat­ze. Dann mach­te er mir zum Vor­wurf, dass das Ar­bei­ten des Gas­mo­tors im gan­zen Haus un­an­ge­nehm be­merk­bar sei. Das war al­ler­dings rich­tig. Da­bei späh­te er über sei­ne sil­ber­ne Bril­le hin­weg im gan­zen Zim­mer um­her. Ich be­kam plötz­lich Angst, dass er et­was von mei­nem Ge­heim­nis er­ra­ten könn­te, und such­te mich zwi­schen ihn und mei­ne Ap­pa­ra­te zu stel­len. Das mach­te ihn nur noch neu­gie­ri­ger. Wo­mit ich mich be­schäf­ti­ge? Wa­rum ich im­mer al­lein sei, und bei ver­schlos­se­ner Tür ar­bei­te? Sei mei­ne Be­schäf­ti­gung nicht etwa un­ge­setz­lich oder ge­fähr­lich? Ich zah­le nur den ge­wöhn­li­chen Miet­zins. Sein Haus sei im­mer ein sehr an­stän­di­ges ge­we­sen – trotz der ver­ru­fe­nen Nach­bar­schaft. End­lich ver­lor ich die Ge­duld. Ich for­der­te ihn auf, das Zim­mer zu ver­las­sen. Er be­gann zu pro­tes­tie­ren und mit großem Wort­schwall auf sei­ne Rech­te als Haus­ei­gen­tü­mer zu po­chen. Im nächs­ten Au­gen­blick hat­te ich ihn am Kra­gen – et­was krach­te – und er flog in den Gang hin­aus. Ich schlug die Tür zu, ver­rie­gel­te sie und setz­te mich be­bend nie­der.

      Er mach­te drau­ßen großen Lärm, um den ich mich aber nicht küm­mer­te, und nach ei­ni­ger Zeit ging er fort.

      Aber das führ­te in mei­nen An­ge­le­gen­hei­ten zur Kri­sis. Ich wuss­te nicht, was er tun wür­de, nicht ein­mal, was er zu tun das recht hat­te. In eine neue Woh­nung zu zie­hen, hät­te einen Auf­schub be­deu­tet, auch fehl­ten mir die Mit­tel dazu, denn ins­ge­samt be­saß ich nur noch zwan­zig Pfund, die auf ei­ner Bank la­gen. Also ver­schwin­den! Der Ge­dan­ke war un­wi­der­steh­lich. Dann wür­de man nach­for­schen, mein Zim­mer durch­su­chen …

      Bei dem Ge­dan­ken an die Mög­lich­keit, dass mein Werk auf sei­nem Hö­he­punkt ver­ei­telt oder un­ter­bro­chen wer­den könn­te, wur­de ich zor­nig und ge­wann mei­ne gan­ze Tat­kraft wie­der. Ich eil­te mit mei­nen drei Ta­ge­bü­chern und mei­nem Scheck­buch – der Land­strei­cher hat sie jetzt – hin­aus und adres­sier­te sie an ein Post­amt in Gre­at Port­land Street. Dann ging ich nach Hau­se, such­te ge­räusch­los mein Zim­mer zu ge­win­nen und ging an die Ar­beit.

      An je­nem Abend und in der dar­auf­fol­gen­den Nacht wur­de es voll­bracht. Wäh­rend ich noch un­ter dem Ein­fluss der übel­er­re­gen­den, be­täu­ben­den Mit­tel, die mein Blut ent­fär­ben soll­ten, stand, er­tön­te wie­der­hol­tes Po­chen an der Tür. Es ver­stumm­te, Fuß­trit­te nä­her­ten und ent­fern­ten sich wie­der, dann poch­te es von neu­em. Je­mand ver­such­te, un­ter der Tür et­was ins Zim­mer zu schie­ben – ein blau­es Pa­pier. In ei­nem An­fall von Wut er­hob ich mich und riss die Tür weit auf. ›Was gibt es?‹ frag­te ich.

      Es war der Haus­be­sit­zer mit ei­nem amt­li­chen Kün­di­gungs­bo­gen oder et­was der­glei­chen. Er reich­te ihn mir, sah, wie ich ver­mu­te, et­was Auf­fal­len­des an mei­nen Hän­den und er­hob die Au­gen zu mei­nem Ge­sicht.

      Ei­nen Au­gen­blick blieb er atem­los ste­hen. Dann stieß er einen un­ar­ti­ku­lier­ten Schrei aus, ließ Licht und Schrift fal­len und tau­mel­te durch den dun­keln Gang ge­gen die Trep­pe zu.

      Ich schloss die Tür, ver­rie­gel­te sie und ging zum Spie­gel. Jetzt be­griff ich sein Ent­set­zen … Mein Ge­sicht war weiß – weiß, wie aus Stein ge­hau­en. Aber es war ent­setz­lich. Auf sol­che Lei­den hat­te ich mich nicht ge­fasst ge­macht. Eine Nacht un­säg­li­cher Schmer­zen, be­glei­tet von Übel­kei­ten und Ohn­machts­an­fäl­len. Ich press­te die Zäh­ne zu­sam­men; ob­wohl mei­ne Haut, mein


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