H. G. Wells – Gesammelte Werke. Herbert George Wells

H. G. Wells – Gesammelte Werke - Herbert George Wells


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schloss. Mei­ne Glie­der wur­den glas­ar­tig, die Kno­chen und Ar­te­ri­en ver­schwan­den lang­sam und zum Schluss end­lich auch die klei­nen, wei­ßen Ner­ven­strän­ge. Ich knirsch­te mit den Zäh­nen und hielt bis zum Ende aus … End­lich blie­ben nur die Spit­zen der Fin­ger­nä­gel und der brau­ne Fleck von ir­gend­ei­ner Säu­re auf mei­nen Fin­gern sicht­bar.

      Ich rich­te­te mich müh­sam auf. Erst war ich zum Ge­hen so un­fä­hig wie ein Wi­ckel­kind – ich ging auf Bei­nen, die ich nicht sah. Ich fühl­te mich schwach und sehr hung­rig. Als ich zum Spie­gel trat, er­blick­te ich nichts – nichts, bis auf ein dün­nes Stück­chen Netz­haut, das noch wie ein ganz fei­ner Ne­bel sicht­bar war. Ich muss­te mich auf den Tisch stüt­zen und den Kopf an das Glas pres­sen.

      Nur mit Auf­ge­bot mei­ner gan­zen Wil­lens­kraft schlepp­te ich mich zum Ap­pa­rat zu­rück und vollen­de­te den Pro­zess.

      Ich schlief den Vor­mit­tag durch, nach­dem ich mir ein Tuch über die Au­gen ge­legt hat­te, um das Licht aus­zu­schlie­ßen. Ge­gen Mit­tag wur­de ich durch ein Klop­fen ge­weckt. Mei­ne Kraft war zu­rück­ge­kehrt. Ich setz­te mich auf, horch­te und ver­nahm ein Flüs­tern. Da sprang ich auf und be­gann so ge­räusch­los als mög­lich mei­nen Ap­pa­rat zu zer­le­gen und die ein­zel­nen Tei­le im Zim­mer zu zer­streu­en, um die Mög­lich­keit sei­ner Re­kon­struk­ti­on noch zu ver­rin­gern. Bald dar­auf er­neu­er­te sich das Klop­fen, und Stim­men er­tön­ten, erst die­je­ni­ge mei­nes Haus­wir­tes und dann zwei an­de­re. Um Zeit zu ge­win­nen, be­ant­wor­te­te ich das Ru­fen. Das un­sicht­ba­re Kis­sen und der Woll­stoff fie­len mir in die Hand; ich öff­ne­te das Fens­ter und warf sie hin­aus. In die­sem Au­gen­blick wur­de ein hef­ti­ger Schlag ge­gen die Tür ge­führt. Je­mand muss­te sich dar­auf ge­wor­fen ha­ben, in der Ab­sicht, sie ein­zu­ren­nen. Aber die star­ken Rie­gel, mit wel­chen ich die Tür vor ei­ni­gen Ta­gen ver­se­hen hat­te, wi­der­stan­den dem An­sturm. Das ver­setz­te mich in Auf­re­gung – in Wut. Ein Zit­tern über­fiel mich und ich fuhr mit mei­nen wei­te­ren Zu­rüs­tun­gen eilends fort.

      Ich häuf­te lose Pa­pier­blät­ter, Stroh, Pack­pa­pier und an­de­re ent­zünd­li­che Sa­chen in der Mit­te des Zim­mers zu­sam­men und dreh­te den Gas­hahn auf. Schwe­re Schlä­ge fie­len auf die Tür nie­der. Ich konn­te die Zünd­hölz­chen nicht fin­den und stieß vor Wut mit den Fäus­ten ge­gen die Wän­de. Dann dreh­te ich das Gas wie­der ab, stieg aus dem Fens­ter auf den De­ckel des Re­gen­was­ser­be­häl­ters und setz­te mich, heil und un­sicht­bar, aber vor Er­re­gung zit­ternd, nie­der, um die wei­te­ren Er­eig­nis­se ab­zu­war­ten. Ich sah, wie sie die Tür­fül­lung ein­schlu­gen, im nächs­ten Au­gen­blick die Rie­gel zu­rück­scho­ben und nun auf der Schwel­le stan­den. Es wa­ren der Haus­wirt und sei­ne bei­den Stiefsöh­ne, kräf­ti­ge jun­ge Män­ner von drei- oder vier­und­zwan­zig Jah­ren. Hin­ter ih­nen be­weg­te sich das alte Frau­en­zim­mer vom un­te­ren Stock­werk un­ru­hig hin und her.

      Den­ken Sie sich das Er­stau­nen, als sie das Zim­mer leer fan­den. Ei­ner der jun­gen Leu­te stürz­te so­fort ans Fens­ter, riss es auf und starr­te hin­aus. Er war kaum einen Fuß von mir ent­fernt und ich war ver­sucht, ihm einen Schlag in sein dum­mes Ge­sicht zu ver­set­zen, aber ich hielt mei­ne ge­ball­te Faust zu­rück.

      Er blick­te ge­ra­de durch mich hin­durch. So auch die an­de­ren, wel­che sich zu ihm ge­sell­ten. Der Alte späh­te un­ter das Bett, und dann stürz­ten sich alle auf den Spei­se­schrank. Sie ver­mu­te­ten schließ­lich, dass ich ih­nen frü­her aus dem Zim­mer gar nicht geant­wor­tet habe, dass ihre Sin­ne sie ge­täuscht hät­ten. Ein Ge­fühl selt­sa­mer Er­he­bung ver­dräng­te mei­nen Zorn, wäh­rend ich drau­ßen vor dem Fens­ter saß und be­ob­ach­te­te, wie die­se vier Leu­te – denn die alte Frau von un­ten war jetzt auch in das Zim­mer ge­tre­ten und späh­te arg­wöh­nisch um­her – das Rät­sel mei­nes Da­seins zu er­grün­den trach­te­ten.

      So­weit ich das Kau­der­welsch ver­ste­hen konn­te, schie­nen der alte Mann und die alte Frau ei­nig dar­über zu sein, dass ich Vi­vi­sek­tio­nen vor­ge­nom­men habe. Die Söh­ne be­haup­te­ten in ver­dor­be­nem Eng­lisch, dass ich ein Elek­tro­tech­ni­ker sei, und wie­sen zur Be­grün­dung ih­rer An­sicht auf mei­ne Dy­na­mo­ma­schi­nen und die Strah­len­wer­fer hin. Alle aber fürch­te­ten mei­ne Wie­der­kehr, ob­wohl sie, wie ich in der Fol­ge fand, die Haus­tür ver­rie­gelt hat­ten. Noch­mals un­ter­such­te die Alte den Spei­se­schrank und das Bett. Ein an­de­rer Mie­ter, ein Obst­händ­ler, der das Zim­mer ne­ben dem mei­ni­gen mit ei­nem Fleisch­hau­er teil­te, er­schi­en auf der Schwel­le; er wur­de hin­ein­ge­ru­fen und muss­te eine un­zu­sam­men­hän­gen­de Schil­de­rung der Er­eig­nis­se über sich er­ge­hen las­sen.

      Nun fiel mir ein, dass die ei­gen­tüm­li­chen Strah­len­wer­fer, wel­che ich be­saß, wenn sie in die Hän­de ei­nes scharf­sin­ni­gen Fach­man­nes fie­len, zu viel von mei­nem Ge­heim­nis ver­ra­ten könn­ten. Ich nahm da­her eine Ge­le­gen­heit wahr, stieg durch das Fens­ter wie­der ins Zim­mer, warf eine der bei­den Dy­na­mo­ma­schi­nen von ih­rem Auf­satz her­ab und zer­brach bei­de Ap­pa­ra­te. Wie sie zu­sam­men­fuh­ren! … Dann schlüpf­te ich, wäh­rend sie sich die­ses neue Er­eig­nis zu er­klä­ren such­ten, aus dem Zim­mer und stieg sach­te hin­un­ter.

      Ich ging in ei­nes der Wohn­zim­mer und war­te­te bis sie her­un­ter­ka­men. Sie wa­ren alle nach­denk­lich ge­stimmt und et­was ent­täuscht, in mei­nem Zim­mer nichts ›Schreck­li­ches‹ ge­fun­den zu ha­ben. Auch wa­ren sie in Sor­ge, ob sie sich nicht eine un­ge­setz­li­che Hand­lung ge­gen mich hat­ten zu­schul­den kom­men las­sen. So­bald sie ins Erd­ge­schoss hin­un­ter­ge­gan­gen wa­ren, schlüpf­te ich mit ei­ner Schach­tel Streich­höl­zer wie­der hin­auf, zün­de­te mei­nen Pa­pier­hau­fen an, leg­te die Stüh­le und das Bett­zeug dar­auf, lei­te­te mit­tels ei­nes Gum­mischlau­ches das Gas hin …«

      »Sie setz­ten das Haus in Brand?«, rief Kemp aus.

      »Ich setz­te das Haus in Brand! Es war der ein­zi­ge Weg, mei­ne Spur zu ver­nich­ten, und es war zwei­fel­los ver­si­chert. Lei­se schob ich die Rie­gel des Hau­sto­res zu­rück und ging auf die Stra­ße hin­aus. Ich war un­sicht­bar und fing eben an, mir der au­ßer­or­dent­li­chen Vor­tei­le mei­ner Un­sicht­bar­keit be­wusst zu wer­den. In mei­nem Kop­fe kreuz­ten sich schon die Plä­ne zu den wil­den und wun­der­ba­ren Ta­ten, die ich jetzt un­ge­straft aus­füh­ren konn­te.

      21. Kapitel – In Oxford Street

      Als ich zum ers­ten Mal hin­un­ter­stieg, traf ich auf un­ver­mu­te­te Schwie­rig­kei­ten, weil ich mei­ne Füße nicht sah. Ich stol­per­te zwei­mal und fand das Trep­pen­ge­län­der nur mit Mühe. Auf ebe­nem Bo­den kam ich je­doch, wenn ich nicht zu Bo­den sah, ganz gut vor­wärts. Ich be­fand mich in ei­nem Zu­stand höchs­ter Er­re­gung. Ich hat­te das Ge­fühl, wel­ches ein Se­hen­der ha­ben mag, der mit Klei­dern, die kein Geräusch ver­ur­sa­chen, und mit Lap­pen an den Fü­ßen eine nur von Blin­den be­wohn­te Stadt be­tritt. Ich emp­fand ein wil­des Ver­lan­gen, Un­fug zu trei­ben, Leu­te zu er­schre­cken, sie auf den Rücken zu klop­fen, ih­nen die Hüte vom Kop­fe zu schla­gen und über­haupt aus mei­ner be­son­ders vor­teil­haf­ten Lage al­len mög­li­chen Nut­zen zu zie­hen.

      Aber kaum war ich in die Gre­at Port­land Street ge­langt, als ich lau­tes Zu­sam­menk­lir­ren hör­te und von rück­wärts einen hef­ti­gen Stoß er­hielt. Als ich


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