TO DIE FOR - Gnadenlose Jagd. Phillip Hunter
aufzumischen. Andererseits … Simpson wurde zu Tode geprügelt. Und vielleicht waren die Fünfhundert für jeden nur die Anzahlung gewesen. Trotzdem war es nicht Coles Art, die Sache auf diese Art anzugehen. Er hatte Schläger für so was auf der Gehaltsliste, daher bestand kein Grund, Fremde anzuheuern. Erst recht keine Amateure wie diese hier.
Ich hörte ein Krächzen und erstarrte. Der Junge versuchte zu atmen. Ich beobachtete ihn eine Weile, dann ging ich ins Wohnzimmer, wo ich die Sockelleiste am Boden zurückzog und in die kleine Vertiefung dahinter griff. Dort hatte ich einen Führerschein und einen britischen Pass versteckt, beide waren auf einen anderen Namen ausgestellt. Der Pass war okay, solange ich damit nicht versuchen würde, das Land zu verlassen, aber der Führerschein war einer dieser alten aus Papier. Ich war nicht sicher, ob die noch gültig waren. Von einem Kleiderhaken im Flur schnappte ich mir einen langen Mantel und eine Balaklava.
Da erst bemerkte ich die Segeltuchtasche. Die Art, wie sie Sportler oft benutzten. Ich öffnete sie. Sie war leer. Die beiden Männer würden keine leere Tasche in meine Wohnung bringen. Entweder wollten sie etwas mitnehmen oder sie hatten etwas hier gelassen. Ich lief zurück zu dem Jungen im Flur. Seine Augen standen jetzt offen. Sie rollten herum und sahen zu mir hinauf. Er zuckte zurück und das ließ ihn vor Schmerz laut aufschreien.
»Wer hat dich geschickt?«, fragte ich.
»Ich kann mein Bein nicht bewegen.« Er fing an zu heulen. Seine Lippen bebten, Rotz lief ihm aus der Nase. »Hilf mir.«
»Wer hat dich geschickt?«
»Weiß ich nicht. Bryan kennt ihn.«
Seine Augenlider zuckten, dann fielen sie zu. Ich tastete nach seinem Puls. Schwach, aber vorhanden. Ich schlug ihn ein paar Mal ins Gesicht, um ihn zurückzuholen. Nach einer Weile öffnete er wieder die Augen. Als er mich sah, geriet er in Panik und zuckte krampfartig.
»Bitte, nicht …«, sagte er mit brüchiger Stimme.
»Was war in der Tasche.«
Der Junge formte mit dem Mund das Wort, bevor er seine Stimme fand.
»Geld.«
»Welches Geld? Warum?«
»Keine Ahnung.«
»Wo ist es?«
»Ba…«
»Badezimmer?«
Er versuchte zu nicken und verzog schmerzerfüllt sein Gesicht.
Ich ging ins Bad, sah im Wandschrank und unter dem Waschbecken nach. Dann öffnete ich den Wasserkasten an der Toilette, und da war es. Ein durchsichtiger Plastikbeutel, mit Klebeband umwickelt. Ich holte den Beutel heraus und riss ihn auf. Wasser tropfte auf den Boden und Bündel aus gerollten Fünfzig- und Zwanzigpfundnoten fielen heraus. Jede Rolle bestand aus tausend Pfund. Die Geldscheine sahen neu aus. Ich zählte die Röllchen. Vierundzwanzig Stück. Ich dachte darüber nach und kam zu dem Schluss, dass die beiden Tausender, die ich den Männern abgenommen hatte, ebenfalls aus diesem Paket stammten. Wahrscheinlich hatte man den beiden jeweils Hundert bezahlt, und dann hatten sie beschlossen, einen Tausender abzuzweigen und unter sich aufzuteilen. Demnach hatte man sie auch nicht angeheuert, um mir was zu tun, sondern um das Geld zu deponieren. Die Baseballschläger dienten nur der Absicherung. Darauf waren sie wahrscheinlich selber gekommen. Als ich heimkam, gerieten sie in Panik. Es gab keinen anderen Fluchtweg als zu Vordertür raus. Also entschieden sie, mich zusammenzuschlagen und dann das Weite zu suchen. War geraten, aber so passte alles zusammen. Ich entschied, das Geld vorerst zu behalten. Damit konnte man mir zwar nachweisen, dass ich bei dem Casino-Job dabei war, aber andererseits … wenn man mich schnappte, würden sie mich wegen weit mehr drankriegen.
Dann stutzte ich. Wie waren sie hereingekommen? Am Türschloss hatte sich niemand zu schaffen gemacht, und ohne eine Leiter oder ein Seil wären sie auch nicht durchs Fenster reingekommen, und selbst dann hätten sie das Fenster einschlagen müssen, was sie nicht getan hatten. Werkzeug, mit dem man ein Schloss knacken konnte, hatte ich auch nicht gefunden. Ich holte Dirkins Schlüsselbund hervor und verglich die Schlüssel mit meinen eigenen. Einer der Schlüssel war identisch: gleiche Form, gleiche blassgrüne Farbe, selber Hersteller.
Ich ging hinaus und warf im Vorbeigehen einen Blick auf den Jungen. Seine Augen standen offen, aber er starrte nur in die Luft. Sein Atem ging schnell und stoßweise.
Akram war allein im Laden. Er stand hinter der Theke, vor sich seine Bücher und ein Taschenrechner, und machte ein angestrengtes Gesicht. Es roch schwach nach würzigem Essen, aber der Geruch war abgestanden. Keine Musik. Als sich die Tür öffnete, sah Akram auf.
»Hallo, mein Freund«, rief er, hob kurz grüßend eine Hand und lächelte. »Was kann ich für dich tun? Vielleicht eine Telefonkarte?«
Ich blieb einen Moment stehen und ließ meinen Blick herumwandern. Aus dem Hinterkopf pulsierte ein Schmerz bis in die Stirn. Ich versuchte den Schmerz auszublenden, musste nachdenken.
Am hinteren Ende des Geschäfts, in der Nähe des Perlenvorhangs, fehlte das untere Zeitschriftenregal. Die Magazine waren auf einem Haufen aufgeschichtet, aber die oberen waren heruntergefallen. Akrams Lächeln verschwand, als ich näherkam. Er sah wieder in seine Bücher, ließ einen schmutzigen Finger über die Spalten gleiten und tippte ein paar Zahlen in seinen Taschenrechner.
»Was ist mit dem Regal passiert?«
Er zuckte mit den Achseln, ohne den Blick von seinen Büchern zu nehmen. »Kinder«, sagte er. »Die tollen herum.«
»Wo ist deine Frau?«
»Meine Frau? Die ist krank.«
»Was hat sie?«
Er sah auf. Sein Finger lag noch immer auf seiner Abrechnung. »Sie ist krank.«
»Mh-hm«, machte ich. »Erzähl mir von deiner Großmutter.«
»Meine Großmutter?«
»Ja.«
»Was soll mit ihr sein?«
»Sie war am Dienstag hier. Schien aufgebracht.«
»Sie ist immer aufgebracht.«
»Sie hat dir von ein paar Männern erzählt, die versucht haben, einzubrechen, oder?«
»Hat sie dir das erzählt? Sie ist alt und ein bisschen verrückt. Sie glaubt, dass jeder sie vergewaltigen will.«
»Deine Frau ist krank, deine Großmutter verrückt und Kinder verwüsten deinen Laden. Scheißwoche, was?«
Er versuchte zu lächeln. Es gelang ihm nicht.
»Bitte, kann ich irgendetwas für dich tun? Ich bin gerade beschäftigt.«
»Hatten sie einen Schlüssel?«
»Was?«
»Als sie in meine alte Bude eingestiegen sind, da, wo jetzt deine Großmutter wohnt. Hatten sie da einen Schlüssel?«
»Sie ist durcheinander. Ich sagte ihr bereits, niemand hat einen Schlüssel. Du hast deinen zurückgegeben.«
»Also hat sie dir gesagt, dass sie einen Schlüssel hatten, nicht wahr?«
Jetzt wirkte Akram nervös. Er fuhr sich mit der Hand über seinen dichten Bart und spähte zu dem Perlenvorhang hinüber.
»Wie viele Schlüssel gibt es für meine neue Wohnung?«
»Ich hab einen. Du hast einen.«
Mein Kopf hämmerte, mein rechter Arm schmerzte und fühlte sich schwer an. Aber ich wollte nicht, dass Akram bemerkte, dass mein Arm beinahe taub war. Wollte nicht, dass er bemerkte, dass ich Schmerzen hatte. Ich streckte ihm die Linke hin.
»Zeig mir deinen«, sagte ich.
»Was?«
Ich musste mich zusammenreißen, geduldig bleiben. Es war wichtig, dass Akram ruhig blieb. Hätten die Dinge anders gestanden, hätte ich ihm längst seinen beschissenen verschwitzten Kopf abgerissen.
»Der