Der falsche Friese. Martina Aden

Der falsche Friese - Martina Aden


Скачать книгу
durchquerten Wittmund und Jever, bis wir nach einer Dreiviertelstunde schließlich in Wilhelmshaven bei Frank Heykes’ Adresse ankamen.

      Diana öffnete die Autotür und schüttelte den Kopf beim Anblick des Schottergartens, der sich vor Frank Heykes’ Haus erstreckte. »In Aurich ist’s traurig, in Leer noch viel mehr«, zitierte sie einen bekannten ostfriesischen Spruch. »Doch wen Gott will strafen, den schickt er nach Wilhelmshaven.«

      »Oder er pflanzt ihm die Idee für einen vermeintlich pflegeleichten Kiesgarten in den Kopf.« Ich grinste und nickte in Richtung der Garage, neben der ein beleibter Mann vor einem der Kiesbeete hockte und die Steinchen mit einem Staubsauger reinigte. Aus seiner heruntergerutschten Hose lächelte uns ein Maurerdekolleté entgegen.

      Ich räusperte mich, kam aber gegen das Heulen des Saugers nicht an. Schließlich machte Diana kurzen Prozess und schaltete das Gerät aus.

      Frank Heykes sah zu uns auf, kämpfte sich auf die Füße und reichte uns die Hände, nachdem ich Diana und mich vorgestellt hatte. Er hatte nichts mehr von dem »schneidigen Kerl« an sich, von dem Günther Fabricius gesprochen hatte. Ein imposanter Bierbauch wölbte sich über dem Hosenbund, und anstelle der einst so üppigen Haarpracht glänzte eine verschwitzte Glatze im Sonnenlicht.

      »Sie sind Maria Vogels Tochter? Und Sie wollen mit mir über Andreas sprechen? Da haben Sie aber Glück, dass Sie mich gerade angetroffen haben, ich muss heute noch weiter.« Er deutete auf einen weißen Lieferwagen, der auf der Auffahrt stand und in verschnörkelten Buchstaben für eine Gartenbaufirma warb.

      »Ist das Ihre Firma?«, fragte ich.

      »Nein, ich bin dort angestellt. War vorher auf dem Bau, aber ich wollte mal was Kreatives machen.«

      Ich betrachtete die grauen Kiesbeete, in denen vereinzelt in perfekte Form gestutzte Büsche standen. Besonders kreativ sah das nicht aus, es erinnerte mich eher an einen Friedhof.

      »Kommen Sie, wir holen uns was zu trinken.« Er bedeutete uns, ihm zu folgen.

      Wir gingen zwischen Garage und Haus hindurch in den hinteren Teil des Gartens. Rasen in Golfplatzqualität, in den Beeten wiederholte sich das Trauerspiel aus verschiedenfarbigem Schotter, neben der Terrasse plätscherte ein Wasserspiel vor sich hin. Sofort zwickte der Kaffee von heute Mittag in meiner Blase.

      Frank Heykes ging die paar Schritte zur Hintertür und öffnete sie einen Spalt. »Kannst du uns drei Kaffee bringen, Bine?«, rief er ins Innere.

      Er zeigte auf zwei der Stühle am Tisch, setzte sich, und wir tauschten ein paar Belanglosigkeiten aus. Er fragte, was meine Mutter so trieb, also erzählte ich ihm von ihrem Job beim Archäologischen Dienst der Ostfriesischen Landschaft.

      Eine hübsche Frau mittleren Alters trat aus der Hintertür, in den Händen ein Tablett mit Kaffee, Milch, Zucker und Keksen. Das, was Frank Heykes über die Jahre an Attraktivität eingebüßt hatte, glich seine Frau locker aus. Sie war jünger als er, hatte lange Haare, die in einem natürlichen Blondton gefärbt waren. Sie unterstrich ihr jugendliches Aussehen durch eine helle Jeans, über der sie eine weiße Bluse trug, die nur vorne in den Bund gesteckt war und ihre sportliche Figur betonte.

      Ich beneide ja Leute, die diesen Vokuhila-Look tragen können. Bei mir sieht es immer so aus, als hätte ich mich nach dem letzten Toilettenbesuch nicht wieder richtig angezogen.

      Sabine Heykes setzte sich zu uns, ihr Mann stellte uns vor.

      »Sind Sie nicht die mit dem Buch?«, fragte sie mich.

      »Ja, ich bin Autorin.« Wenn »die mit dem Buch« das bedeuten sollte.

      »Elli hat gerade ihren zweiten Roman herausgebracht«, sagte Diana. »Und sie arbeitet jetzt auch als Journalistin für den Ostfriesland-Reporter.«

      »Dann wollen Sie einen Artikel über Andreas schreiben?«, fragte Frank Heykes. »Mir fällt jedenfalls sonst kein Grund ein, warum mich jemand von der Zeitung aufsuchen sollte.«

      »Ich bin eher privat hier«, sagte ich. »Ich habe heute erfahren, dass meine Mutter früher mit ihm verlobt war, und ich möchte ihr helfen, etwas über seinen Verbleib herauszufinden.«

      »Nur zu«, sagte er. »Vielleicht kommt ja tatsächlich eines Tages raus, was aus Andreas geworden ist.«

      »Haben Sie denn eine Vermutung?«

      Er zuckte die Achseln. »Vielleicht hat er eine neue Frau kennengelernt und ist mit ihr durchgebrannt. Das hätte zu ihm gepasst.«

      »Aber er war doch verlobt«, sagte ich. »Er hatte sich festgelegt und wollte meine Mutter heiraten.«

      Frank Heykes lächelte mild. »Das stimmt, aber ich könnte mir vorstellen, dass er seine Meinung geändert hat. Ich glaube nicht, dass sich Menschen so grundlegend ändern können. Bestimmt hat er es versucht, aber es widersprach einfach seinem Wesen. Er und Maria waren völlig verschieden. Sie war viel zu intelligent für ihn, unabhängig und ehrgeizig. Keiner von uns hat der Sache eine Zukunft gegeben. Zu ihr hätte jemand Solideres gepasst.«

      »Meine Mutter sagte, Andreas habe sich im letzten Jahr in der Schule sehr reingehängt. Klingt, als wollte er ihr beweisen, dass ihm die Sache mit ihr sehr ernst war.«

      »Ich glaube, es ging ihm hauptsächlich um die Eroberung, auch wenn er das in dem Moment vielleicht nicht so sah. Andreas war ein Jäger. Wenn er ein Mädchen ins Auge gefasst hatte, bekam er es und nahm dafür auch einiges an Anstrengungen in Kauf.«

      »Haben Sie noch Kontakt zur damaligen Clique?«

      »Nein, schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Wie es aussieht, war Andreas die einzige Verbindung zwischen uns. Als er fort war, gingen wir getrennte Wege. Kürzlich habe ich Norbert Coordes noch mal zufällig getroffen, als er in ein Fitnessstudio ging, vor dem ich gerade ein neues Kiesbeet anlegte. Wir sprachen kurz über die alte Zeit, aber das war’s auch schon.«

      Sabine Heykes lauschte unserem Gespräch, ohne etwas zu ergänzen.

      »Gehörten Sie damals auch zur Clique?«, fragte ich sie.

      »Nein, ich habe zu der Zeit zwar schon heftig für Frank geschwärmt, aber ich war noch zu jung und außerdem ein schüchternes Pummelchen. Er hatte keinen Blick für mich übrig.« Sie sah ihren Mann mit gespielter Strenge an. »Inzwischen sind wir seit fast zehn Jahren verheiratet.«

      »Erinnern Sie sich, wann Sie Andreas zuletzt gesehen haben?«, fragte ich Frank Heykes.

      »Wir hatten uns am Abend vor seinem Verschwinden getroffen. Bei mir, weil die Villa, in der er mit seiner Mutter lebte, gerade umgebaut wurde.«

      »Kam Ihnen an seinem Verhalten irgendetwas seltsam vor? Hat er sich anders benommen als sonst?«

      »Ich glaube nicht, aber er hatte sich in der Zeit davor schon um hundertachtzig Grad gedreht, als er mit Ihrer Mutter zusammenkam. Daher habe ich nicht so darauf geachtet. Unsere Freundschaft war nicht mehr so innig wie zuvor.«

      »Gab es einen Grund dafür?«

      »Wir haben uns einfach in verschiedene Richtungen entwickelt. Zu dem Zeitpunkt arbeitete ich bereits auf dem Bau, Andreas wollte nach dem Abitur Philosophie studieren. Seine neuen Lebensziele hatten ihn sehr verändert. Mit dem Draufgänger, mit dem ich mich einst angefreundet hatte, hatte er jedenfalls nicht mehr viel gemein.«

      »Waren Sie der Letzte, der ihn gesehen hat?«

      »Nein, seine Mutter hat noch am darauffolgenden Morgen mit ihm gesprochen.«

      »Gab es etwas, um das er sich besonders Gedanken gemacht und das ihn beschäftigt hat? Etwas, in das nur Sie als sein bester Freund eingeweiht waren?«

      »Die Verlobung wurde nicht an die große Glocke gehängt, falls Sie das meinen, es war ja alles noch recht frisch. Ich war, glaube ich, der Einzige im Freundeskreis, der davon wusste.«

      »Vielleicht klären Sie ja sein Verschwinden auf.« Sabine Heykes setzte sich aufrecht hin. »Wie die Schriftstellerin in dieser alten Fernsehserie, die immer wieder in Verbrechen hineingezogen wird. Wie heißt die


Скачать книгу