Der falsche Friese. Martina Aden

Der falsche Friese - Martina Aden


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in meine Tasse, kippte Milch dazu und rührte um, während ich darauf wartete, dass meine Mutter ihre Sprache wiederfand.

      »Und was hast du von ihm erfahren?« Sie sah mich nicht direkt an, sondern hielt den Blick auf ihre Kaffeetasse gerichtet.

      Statt einer Antwort legte ich den Schnappschuss auf den Tisch, der sie mit Andreas Kalski zeigte.

      Sie schloss die Augen. »Ich habe geahnt, dass du es herausfinden würdest.« Sie presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen, als sie das Foto musterte.

      »Warum hast du mir nicht gesagt, dass du ihn kanntest?« Ich griff nach meiner Kaffeetasse und trank einen Schluck.

      »Wir waren nicht einfach nur Bekannte.« Sie hob den Blick und sah mir direkt in die Augen. »Wir waren verlobt.«

      Ich verschluckte mich, der heiße Kaffee brannte in meiner Kehle. »Verlobt?«, keuchte ich.

      Mein Vater hatte meiner Mutter im Laufe der Jahre so viele vergebliche Heiratsanträge gemacht, dass er davon Arthrose in den Kniegelenken bekam. Erst als ich im vergangenen November beinahe ermordet worden wäre, hatte sie ihre Einstellung zur Ehe geändert. Es überraschte mich, dass sie sich als junge Frau schon so früh hatte binden wollen.

      Die Augen meiner Mutter glänzten feucht. Sie rührte ihren Kaffee um, obwohl sie weder Milch noch Zucker hineingetan hatte. »Ich hätte ihn gern geheiratet, wir waren sehr glücklich miteinander.«

      »Aber … was war mit seinen ganzen Affären?«

      Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Das war vor meiner Zeit, den Ruf ist er bloß nie wieder losgeworden.«

      »Wie habt ihr euch kennengelernt? Wenn ich richtig rechne, war er ein paar Jahre älter als du.«

      »Vier Jahre. Andreas hatte das Abitur nicht bestanden und musste die Dreizehnte wiederholen. Übrigens nicht das einzige Mal, dass er sitzen geblieben ist, er war ein unglaublich fauler Hund. Wir hatten die gleichen Leistungskurse, und so saß er auf einmal bei uns im Unterricht.«

      »Und da war es Liebe auf den ersten Blick?«

      »Von wegen, ich kannte ja seinen Ruf. Er bemühte sich zwar von Anfang an sehr um mich, aber ich wollte keine seiner Eroberungen werden. Irgendwann hat er sich dann richtig reingehängt und für die Schule gebüffelt, da haben wir dann auch mal miteinander gelernt.« Sie lächelte bei der Erinnerung. »Und uns letztlich doch verliebt.«

      »Erinnerst du dich, wann du ihn zum letzten Mal gesehen hast?«

      »Das war am Tag vor seinem Verschwinden. Wir haben den Nachmittag zusammen in der Stadt verbracht, abends hat er sich noch mit seinem Freund Frank getroffen. Wir waren auch für den nächsten Tag verabredet, aber da war er dann fort.«

      »Was, glaubst du, ist aus ihm geworden?«

      »Es deutet alles darauf hin, dass er ins Ausland gegangen ist.« Sie zuckte mit den Schultern. »Es muss wohl so sein, schließlich führten alle Spuren in diese Richtung.«

      »Hat die Polizei damals nicht ermittelt? Er war doch mit dir verabredet und führte ein geordnetes Leben. Da haut man doch nicht einfach grundlos ab.«

      »Das ist es ja. Die Polizei wurde zwar hinzugezogen, und natürlich habe ich auch eine Aussage gemacht, aber die Ermittlungen wurden schon nach kurzer Zeit eingestellt. Sein Ruf hat Andreas eingeholt, man ging davon aus, dass er sich hier Ärger eingebrockt hatte oder einfach seinen Horizont erweitern wollte. Er hat immer davon gesprochen, Ostfriesland verlassen zu wollen, um in einer Großstadt zu leben, am liebsten im Ausland, auch wenn es noch keine konkreten Pläne gab. Er ist auch oft mit dem Zug nach Hamburg oder München gefahren, aber es hat ihn wohl weiter in die Ferne gezogen.«

      »Einfach so, ohne jemandem von seinem konkreten Vorhaben zu berichten? Hätte er denn einen Grund gehabt, sich abzusetzen?«

      »Du meinst, ob es eine Art Flucht gewesen ist? Das kann ich mir nicht vorstellen. Aber was weiß ich schon? Er hat mir ganz offensichtlich nicht alles erzählt. Irgendeinen Grund muss er ja gehabt haben.«

      »Wärst du mitgegangen, wenn er dich gefragt hätte?« Meine Mutter hatte während ihres Studiums eine Zeit lang in Wien gelebt, wäre einem Leben im Ausland also bestimmt nicht abgeneigt gewesen.

      »Ich denke schon. Aber es ist müßig, jetzt noch darüber nachzudenken. Es hat eben nicht sollen sein.«

      »War das der Grund, warum du Papa all die Jahre nicht heiraten wolltest?«

      Sie nickte. »Hochzeiten stehen für mich unter keinem guten Stern. Mein erster Verlobter hat mich sitzen lassen und ist auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Das hat mich nicht gerade bestärkt. Und schau dir doch an, was jetzt schon wieder alles passiert ist. Seit wir uns zur Heirat entschlossen haben, passiert dauernd irgendein Unglück, und Hans hat sogar einen Herzanfall erlitten.«

      »Ist denn kürzlich schon wieder etwas passiert?«

      »Nein, seit sage und schreibe zwei Tagen nicht mehr. Aber das heißt doch nichts.« Meine Mutter sah auf die Uhr. »Oh, ich muss zur Landschaft zurück, meine Mittagspause ist gleich vorbei.«

      »Kann ich irgendwas für dich tun?«

      Meine Mutter dachte kurz nach und nickte, als habe sie einen Entschluss gefasst. »Du könntest herausfinden, was damals mit Andreas passiert ist.«

      »Ich bin aber keine Privatdetektivin.«

      »Du bist jetzt Journalistin, die stecken ihre Nasen doch ständig überall rein. Vielleicht vergeht dieser Hochzeitsfluch, wenn das Rätsel um Andreas’ Verschwinden endlich aufgeklärt wird.«

      Meine erste Aktion als frischgebackene Detektivin – wenn auch nur durch meine Mutter legitimiert – bestand darin, die gesammelten Unterlagen von Günther Fabricius zu sichten. Diana leistete mir dabei Gesellschaft, da sie ohnehin ihren freien Montag hatte. Wir breiteten die Unterlagen auf meinem Wohnzimmertisch aus.

      Diana sah einen Stapel Fotos durch. »Meine Güte, deine Mutter war aber ein ganz schön heißer Feger. Kein Wunder, dass Andreas Kalski in sie verschossen war. Und bestimmt nicht nur der.« Sie hielt eine Aufnahme hoch, die meine Mutter mit Hotpants und hohen Stiefeln zeigte, das dunkelblonde Haar fiel locker über ihre Schultern.

      Ich widmete mich den vier Notizbüchern, in denen der Reporter seine Gedanken zu den damaligen Ereignissen festgehalten hatte. Jedes war an der Innenseite des Umschlags mit einem kurzen Verzeichnis der enthaltenen Gesprächspartner und Themen versehen, der erste Band befasste sich mit Andreas Kalskis Mutter und seinem Freundeskreis. Violetta Kalski war mir natürlich bekannt, und der Name seines besten Freundes Frank Heykes war von Fabricius erwähnt worden, aber von Rita Janssen, Inge Behrends, Norbert Coordes und Dieter Kuhlmann hatte ich noch nie etwas gehört.

      Ich las mir zuerst die Informationen zu Frank Heykes durch. »Frank Heykes war Andreas Kalskis bester und ältester Freund«, sagte ich zu Diana. »Die beiden kannten sich seit der ersten Klasse, waren aber ab der vierten Klasse keine Klassenkameraden mehr, weil Andreas den Jahrgang wiederholen musste. Der Freundschaft hat das keinen Abbruch getan. Sie galten beide als Frauenhelden.«

      »Wollen wir ihm mal einen Besuch abstatten?«

      Ich sah von meiner Lektüre auf. »Ich dachte, du willst mit mir die Unterlagen sichten?«

      »Mir ist heute doch nicht so danach. Sieh’s mal so: Frank Heykes wird Andreas am ehesten Vertrauliches erzählt haben. Dinge, die Heykes wahrscheinlich nicht an die Zeitung weitergegeben hat, weil sie nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren.«

      »Gutes Argument. Vermutlich wäre es tatsächlich effizienter, ihm direkt einen Besuch abzustatten.«

      »So will ich dich hören. Theorie war noch nie so mein Ding, ich bin mehr für praktische Erfahrungen.«

      Es kostete mich nur eine kurze Internetrecherche, um Frank Heykes’ aktuelle Anschrift in Wilhelmshaven ausfindig zu machen. Wir nahmen Dianas Fiat, denn mein Auto besaß keine Klimaanlage, und schon nach fünf Minuten in der Sonne fühlte man sich wie in einem


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