Der falsche Friese. Martina Aden
»Bislang deutet nichts auf ein Verbrechen hin«, sagte ich.
»Ich meine ja nur, weil Sie doch letztes Jahr auch schon einen Mord aufklären konnten. Sie wissen schon, die Leiche im Hafenbecken …«
Daran musste sie mich bestimmt nicht erinnern.
Fürs Erste hatte ich erfahren, was ich wissen wollte. Ich beschloss, lieber das Weite zu suchen, und warf Diana einen hilfesuchenden Blick zu.
»Nichts für ungut, aber wir müssen jetzt los. Elli hat noch einen wichtigen Termin. Schriftsteller, Sie wissen schon.«
Wir verabschiedeten uns und kehrten zum Wagen zurück.
»Kaum zu glauben, dass der früher so ein Schnittchen war.« Diana angelte nach dem Gurt und schnallte sich an. »Seine Frau bereut es jetzt bestimmt, dass sie ihren Jugendschwarm geheiratet hat, der ist inzwischen garantiert klötenlahm. Kriegt seinen kleinen Freund ja auch gar nicht mehr zu Gesicht, höchstens im Spiegel.«
»Dafür wirkte sie aber ganz zufrieden.«
»Findest du? Ich sag dir was: Wenn mein Mann so aus dem Leim gegangen wäre, würde ich mir auch mal was gönnen. Aber die sieht aus, als würde sie jede Kalorie dreimal umdrehen. Die hat bestimmt was mit ’nem anderen Kerl am Laufen, sonst würde sie sich nicht so herausputzen.«
»Oder ihr Mann gehört zu der Sorte, die im Glashaus sitzt, aber mit Steinen wirft. Vielleicht krittelt er ja ständig an ihr rum, weil er sich mit ihr schmücken will.«
»Dann hätte sie keine Selbstachtung, das wäre noch schlimmer. Ich hoffe für sie, dass ich mit dem Lover richtigliege. Wer steht denn als Nächstes auf deiner Liste?«
»Ich reiße mich zwar nicht darum, aber ich muss noch mal mit Violetta Kalski sprechen. Sie war die letzte Person, die ihren Sohn lebend gesehen hat.«
»Soll ich dich begleiten?«
»Lieber nicht. Wenn sie so freundlich und zuvorkommend ist wie beim letzten Mal, setzt sie mich ohnehin nach ein paar Minuten vor die Tür.«
8
Diana setzte mich vor meiner Wohnung ab. Auf meinem Weg nach Norddeich machte ich einen Zwischenstopp auf dem Auricher Stadtfriedhof. Ich habe keinen grünen Daumen, und bislang habe ich es geschafft, jede Zimmerpflanze einem frühzeitigen Ende zuzuführen, aber aus unerfindlichen Gründen gelingt es mir, das Grab meines Freundes Karl in Schuss zu halten. Wie so oft in den vergangenen Monaten stand ich eine Weile vor dem marmorierten Grabstein und erzählte ihm Döntjes aus O’Malleys Katzenalltag, denn schließlich war mein haariger Mitbewohner zuvor Karls Begleiter gewesen.
In der Seniorenresidenz tat die Empfangsblondine vom letzten Mal so, als hätte sie mich noch nie gesehen. Ich plapperte mein Vorstellungssprüchlein herunter, und sie wählte Violetta Kalskis Nummer. Ich war mir fast sicher, dass die alte Dame mich nicht sehen wollen würde, aber wider Erwarten wurde ich zu ihr durchgelassen.
Violetta Kalski sah noch hagerer aus als bei meinem letzten Besuch. Mit einem verkniffenen Gesichtsausdruck bat sie mich herein.
»Danke, dass Sie mich erneut empfangen«, sagte ich.
»Vermutlich werde ich es bereuen.« Sie wies mir einen Stuhl zu.
»Ich habe mich nach meinem letzten Besuch näher mit dem Verschwinden Ihres Sohnes beschäftigt.«
»Sie sind genauso widerspenstig wie Ihre Mutter.«
»Dann wissen Sie, dass Maria Vogel meine Mutter ist?«
»Natürlich. Ich wusste es sofort, als Sie sich beim letzten Mal vorgestellt haben. Sie haben inzwischen sicherlich herausgefunden, dass mein Sohn der Liebhaber Ihrer Mutter war.«
Sie wollte mich mit dieser Formulierung provozieren, doch ich ging einfach darüber hinweg. »Können Sie sich an den Tag erinnern, an dem Andreas verschwand?«, fragte ich. »Ist Ihnen irgendeine Veränderung an ihm aufgefallen?«
»Wollen Sie mir heute dieselben Fragen stellen wie vor vierzig Jahren die Polizei?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Warum nicht? Ihnen ist doch bestimmt auch daran gelegen, das Schicksal Ihres Sohnes zu klären.«
»Ist das der Grund, warum Sie hier sind? Um herauszufinden, was mit ihm passiert ist? Das hört sich in der Theorie ja ganz nett an, vielleicht sind Sie sogar der Meinung, Sie tun es für Ihre Mutter, aber letztlich beschäftigen Sie sich doch wie alle anderen nur aus einem Grund mit Andreas: weil Sie auf Sensationen aus sind. Ihnen liegt rein gar nichts an meinem Sohn. Nichts von dem, was Sie machen, tun Sie für ihn oder für mich.«
»Aber es könnte Ihnen nutzen, wenn ich eine neue Spur finde.«
Violetta Kalski seufzte und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. »Es war ein ganz normaler Morgen, wir haben gemeinsam gefrühstückt und unsere Pläne für den Tag besprochen. Er hatte nichts Besonderes vor, wollte Musik hören und sich später noch mit Maria treffen. Ich beabsichtigte, tagsüber einiges zu erledigen, weil wir zu der Zeit die Handwerker im Haus hatten. Ich hielt mich wegen des Lärms möglichst nur abends zu Hause auf.«
Ich nickte, da Frank Heykes von Umbaumaßnahmen in der Villa gesprochen hatte. »Welche Firma?«
Wahrscheinlich war diese Info unwichtig, aber ich hatte das Gefühl, dass Violetta Kalski mich nicht endlos oft empfangen würde, also hieß es, in kurzer Zeit so viele Informationen wie möglich zu sammeln.
»Friesen-Bau, eine Firma für Trockenbau und Putzarbeiten aus Aurich. Ich habe einige Änderungen an der Villa vornehmen lassen.«
»Und wie ging es an dem Tag weiter?«
»Er hat sich in seine Wohnung zurückgezogen, und ich verließ das Haus.«
»Andreas hatte eine eigene Wohnung?«
»Nicht ganz. Ich habe den Dachboden für ihn ausbauen lassen, das war der eigentliche Beginn der Bauarbeiten. Dort standen ihm zwei Wohnräume und ein WC zur Verfügung. Alles Weitere befand sich im Erdgeschoss oder im ersten Stock. Küche und Badezimmer halt.«
»Wissen Sie, ob er an dem Tag noch Besuch hatte?«
»Schwer zu sagen, es war damals ein einziges Kommen und Gehen im Haus. Die Handwerker arbeiteten inzwischen im ersten Stock, unter anderem in meinem Atelier, und ständig sind sie die Treppe rauf- und runtergepoltert. Ich konnte später nicht ausmachen, ob sonst noch jemand da war oder wann Andreas das Haus verlassen hat. Angeblich ist er zu dem Treffen mit Ihrer Mutter nicht erschienen.«
»Haben Sie privat etwas unternommen, als die Polizei keine umfangreichen Ermittlungen anstellen wollte?«
Violetta Kalski nickte. »Gleich zu Beginn habe ich einen Privatdetektiv angeheuert.« Sie hielt inne, und ich sah, wie ihr Blick flackerte, als würde ihr auf einmal etwas einfallen. »Moment … die dritte Tür.«
»Was für eine dritte Tür? In Ihrem Haus?«
Die Kalski antwortete nicht sofort, in ihrem Kopf schien es zu arbeiten. Schließlich winkte sie ab. »Vergessen Sie’s, das war gerade nur so ein Gedanke, hat sich erledigt.« Sie sammelte sich kurz und fuhr dann fort. »Der Detektiv ist zum selben Schluss gekommen wie die Polizei. Es haben sich alle auf die einfachste Lösung versteift, und das war nun einmal die, dass Andreas sich ins Ausland abgesetzt hat.«
»Und Sie, was haben Sie gemacht?«
»Den nächsten Privatdetektiv angeheuert.«
»Mit welchem Ergebnis?«
»Mit gar keinem. Er ermittelt immer noch, ich habe ihn nie von dem Auftrag entbunden.«
Obwohl wir nicht gerade auf einer Wellenlänge lagen, tat mir Violetta Kalski in diesem Moment leid. Ich konnte mir nicht einmal annähernd vorstellen, was es für sie bedeuten musste, vierzig Jahre lang nach ihrem Sohn zu suchen, nicht wissend, ob er tot oder lebendig war.
»Wenn dieser zweite Detektiv nach all der Zeit noch immer nichts