Dr. Norden Bestseller Paket 1 – Arztroman. Patricia Vandenberg
denken nicht schlecht von mir, Herr Doktor?« fragte sie.
»Dummerchen«, erwiderte Daniel freundlich. »Auf bald.«
Nun kam Frau Kießling an die Reihe. Sie hatte es mit der Bandscheibe, aber um nichts in der Welt wollte sie sich in die Behandlung eines Orthopäden begeben.
»Das habe ich früher mal gemacht«, sagte sie, als er es ihr nochmals ans Herz legte. »Geholfen hat es auch nichts.«
»Wie wär’s, wenn wir ein paar Pfund abnehmen würden?« fragte Daniel. »Weniger essen und viel laufen.«
Er wußte schon, woran es bei ihr haperte.
»Wenn ich laufe, kriege ich noch mehr Appetit«, bekannte sie offenherzig. »Ich habe schon überlegt, ob ich nicht auch einmal in Ihr Sanatorium gehen soll. Frau Seidel hat mir nämlich geschrieben. Sie ist ja so begeistert.«
Die gute Frau Seidel meinte wohl, Propaganda machen zu müssen. So, wie damals, als er hier seine Praxis angefangen hatte.
»Da bekommen Sie aber keine Sahnetorten, Frau Kießling«, sagte er schmunzelnd. »Und dort wird man mit Ihnen auch bedeutend strenger sein als ich. Überlegen Sie es sich lieber gut. Sie würden auf strenge Diät gesetzt werden.«
»In Gesellschaft fällt das Hungern vielleicht leichter«, meinte sie. »Na, und ehrlich gesagt, neugierig bin ich auch. Es muß ja ein Paradies sein.«
»Zur Zeit voll belegt«, sagte Daniel, und da machte sie ein enttäuschtes Gesicht.
»Aber wenn es Ihnen ernst ist, kann ich anfragen, wann ein Zimmer frei wird«, meinte Daniel.
»Ich halte mich auf Abruf bereit«, sagte sie rasch. »Ich brauche ja niemanden zu fragen. Und nicht, daß Sie denken, ich könnte es nicht zahlen, Herr Doktor. Ich habe schon immer etwas auf die Seite gelegt für meine Beerdigung, aber wen kümmert das nachher schon. Da ist es doch besser, wenn man noch ein bißchen was vom Leben hat.«
In solchen Situationen, und die waren gar nicht so selten in seiner Praxis, wußte Daniel Norden nicht, was er sagen sollte. Er war einfach gerührt.
»Dann kann ich nur von Herzen hoffen, daß es Ihnen gefällt, Frau Kießling«, sagte er.
»Die Insel wird wachsen müssen, wenn es so weitergeht«, sagte Molly, als Frau Kießling gegangen war.
Ob Vater es sich so vorgestellt hat? dachte Daniel, und dann griff er zum Telefon und wählte Frau Leitners Nummer, aber sie meldete sich wieder nicht.
*
Eine halbe Stunde später stand er vor dem Haus, das verwittert in einem verwilderten Garten stand. So hatte es schon vor zehn Jahren ausgesehen, als er Schorsch einmal besucht hatte. Ja, gute zehn Jahre war es her, und damals war gerade der Vater von Schorsch gestorben. Und jetzt schien die Zeit zusammenzuschmelzen, weil das Gartentor noch genauso knarrte und die Frau, die in der Tür erschien, noch genauso aussah wie damals. Hatte sie nicht auch das gleiche dunkelgraue Kleid getragen?
Ein staunender Ausdruck trat in ihre Augen, als er dicht vor ihr stand. Sie hatte die Hand an die Stirn gelegt, weil das Licht sie wohl blendete.
»Verzeihung, Frau Leitner«, sagte Daniel, »aber ich habe vergeblich versucht, Sie telefonisch zu erreichen, und Schorsch auch.«
»Der Bagger hat die Leitung heruntergerissen«, erwiderte sie. »Daniel Norden, ich täusche mich doch nicht?«
»In Lebensgröße. Nett, daß Sie mich erkannt haben.«
»Wie könnte ich das nicht. Sie haben sich kaum verändert. Sie haben mit Hans-Georg gesprochen?«
Sie hatte ihn immer so genannt. Der Schorsch war er wohl nur für die Kommilitonen gewesen.
»Ich habe ihn gestern abend zufällig getroffen, und er hat der Einfachheit halber bei mir geschlafen«, erwiderte er. »Sie haben sich hoffentlich keine Sorgen gemacht.«
»Er ist doch wohl erwachsen«, erwiderte sie mit einem flüchtigen Lächeln. »Außerdem hatte ich eine Schlaftablette genommen, weil Föhn war. Haben Sie ein paar Minuten Zeit? Ich freue mich sehr, Sie einmal wiederzusehen.«
Schauspielert sie oder ist das ehrlich? fragte er sich. Verkennt Schorsch seine Mutter, oder tut sie nach außen hin nur so, als würde sie ihm alle Freiheiten lassen? Es war ganz interessant für ihn, seine eigene Meinung zu bilden.
Sie schauspielerte nicht, wie er bald herausfand. »Vielleicht können Sie Hans-Georg ein bißchen aufmöbeln, Dr. Norden«, sagte Frau Leitner, nachdem sie ein Glas wirklich köstlichen Sherry getrunken hatten. »Früher wart ihr doch eine so vergnügte Gesellschaft. Jetzt läßt er sich von der Arbeit aufzehren. Und womöglich meint er auch, daß er ewig an meinem Rockzipfel hängen müßte.«
»Vielleicht sind Sie zu besorgt um ihn, Frau Leitner«, sagte Daniel vorsichtig.
»Mein Gott, welche Mutter ist das nicht, solange der Sohn keine eigene Familie hat«, sagte sie. »Freilich hänge ich an ihm, aber ewig werde ich auch nicht leben. Und Sorgen muß ich mir doch um ihn machen, wenn er schon sein ganzes Herz an eine verheiratete Frau gehängt hat. Ich sollte wohl nicht darüber sprechen, aber heute nacht ist es mir wieder gekommen, bevor ich eingeschlafen bin. Ich habe mich gefragt, was ich falsch gemacht habe.«
»Vielleicht sollten Sie ihm morgens vor allem keine Haferflocken vorsetzen«, sagte Daniel mit einem humorvollen Augenzwinkern.
Ganz verschreckt sah sie ihn an. »Aber ich dachte doch, er mag sie«, sagte sie leise. »Hat er sich darüber beschwert?«
»Wenn Sie mich so direkt fragen, mag ich nicht herumreden. Sie reden oder denken einfach aneinander vorbei«, sagte Daniel. »Sie hängen an ihm, und er hängt an Ihnen. Ich habe vorhin mit ihm telefoniert, und er war ganz aufgeregt, weil er keine Verbindung mit Ihnen bekommen hat. Packen Sie einmal Ihre Sachen, Frau Leitner. Lassen Sie ihn allein, ohne Haferflocken und mütterliche Fürsorge.«
»Würden Sie sich dann ein bißchen um ihn kümmern?« fragte sie leise. »Er hat sich doch völlig verirrt in seinen Gefühlen.«
»Das sagt sich leicht«, meinte Daniel. »Liebe geht oft seltsame Wege, Frau Leitner. Ich will mich nicht weiter dazu äußern und mir auch kein Urteil erlauben, aber was würden Sie denn sagen, wenn er eine geschiedene Frau heiraten würde?«
»Was ich vorhin schon gesagt habe. Er ist erwachsen. Ich möchte nur gern, daß er glücklich wird. Sie werden wohl auch denken, daß sich bei uns gar nichts verändert hat. Das Haus ist noch so wie früher und ich auch, aber wofür soll ich etwas verändern? Das Haus zu renovieren, lohnt sich doch nicht mehr. Wenn Schorsch einmal heiratet«, tatsächlich hatte sie Schorsch gesagt, »dann würde ich in ein nettes Altersheim gehen. Er könnte das Haus niederreißen lassen und ein neues auf dem Grundstück bauen. Mein Gott, warum erzähle ich Ihnen das alles?«
Wie Schorsch, dachte Daniel. Sie hängen aneinander, und sie haben nie miteinander geredet. Warum war das nur so häufig, obgleich doch ein paar offene Worte alle Schranken beseitigen konnten?
Bei ihm und Fee war es ja auch einmal so gewesen. Der Gedanke, daß sie keinen Weg zueinander gefunden hätten, war ihm entsetzlich.
Frau Leitner lächelte, als er sich von ihr verabschiedete.
»Jetzt bin ich ganz froh, daß die Bagger die Telefonleitung zerstört haben«, sagte sie. »So ein persönliches Gespräch ist doch durch nichts zu ersetzen.«
Und so dachte er auch. »Vielleicht kommt Schorsch heute wieder nicht heim«, sagte er. »Dann wissen Sie, wo er steckt.«
Er hatte viel zu denken, als er zurückfuhr. Es mochte wohl möglich sein, daß sie Schorsch manchmal Vorhaltungen gemacht hatte, denn ganz gewiß hatte sie Opfer für sein Studium gebracht. Auch eine gute Mutter wie Frau Leitner war Stimmungen unterworfen, haderte wohl manches Mal mit dem Schicksal, so früh schon Witwe geworden zu sein, und auch damit, daß ihr Sohn ihr nicht eine Schwiegertochter ins Haus brachte, bei der sie ihn glücklich wußte.
Und Schorsch