Dr. Norden Bestseller Paket 1 – Arztroman. Patricia Vandenberg
Und er, der Abstinenzler, der sich viel Neckerei hatte gefallen lassen müssen von seinen Studienfreunden, hatte ganz schön einen in der Krone.
»Maxl«, sagte Daniel staunend, »was ist denn mit dir los?«
»Was soll los sein? Gekippt habe ich einen«, kam die Antwort. »Komm, setz dich zu uns. Der Leitner-Schorsch ist auch da.«
Max Lamprecht war ein richtiger Bayer, ein waschechter, und auch seine akademischen Grade änderten daran nichts. Nur mit dem Bier hatte er es früher nicht so gehabt, doch das schien sich inzwischen doch geändert zu haben.
»Was ist, Daniel?« fragte Sibylle über die Schulter hinweg. »Setzen wir uns hierher?«
»Ach, du bist in Begleitung«, sagte Max, und es klang richtig enttäuscht. »Ist so was jetzt dein Typ?« fragte er.
»Eine alte Bekannte«, gab Daniel zurück. Dann machte er Max mit Sibylle bekannt.
»Sibylle Jensen, die Malerin?« fragte Max konsterniert. »Sie habe ich mir anders vorgestellt.«
Sibylle erwies sich als schlagfertig. »Professor Lamprecht, der Physiker? Sie habe ich mir auch anders vorgestellt.« Dann lachten sie beide, und Sibylle zog es doch vor, sich an den runden Tisch zu setzen, an dem der Leitner-Schorsch, seines Zeichens Chefarzt einer Frauenklinik, Daniel mit großem Hallo begrüßte.
Daniel bereute es nicht, hierher gegangen zu sein. Man hatte sich schon Jahre nicht mehr gesehen und konnte nun in Erinnerungen schwelgen.
Ja, das waren Zeiten gewesen, als sie noch auf der Uni waren. Der Leitner Schorsch zwei Semester weiter als Daniel, der Max von einer anderen Fakultät, und ein paar andere, die heute fehlten, waren auch dabeigewesen, wenn sie im Studentenheim beisammen hockten oder sich in der Mensa zum Essen trafen.
Max hatte seit dieser Zeit schon Haare gelassen, in doppeltem Sinne, wie Daniel erfahren sollte. Im Beruf war er erfolgreich.
Ja, da ging er seinen Weg. Aber privat hatte er kein Glück gehabt. Natürlich erinnerte sich Daniel noch an die kastanienbraune Marlene, mit der er auch mal geflirtet hatte. Max hatte sie geheiratet, aber die Ehe war bald wieder auseinandergegangen.
»Und nun werde ich erst mal richtig leben«, verkündete Max. »Nicht mehr bloß hinter Bücher hocken und sich mit den Studenten herumärgern. Die Burschen wollen die Welt verändern, nichts weiter. Nicht hübsch langsam, sondern am liebsten von einem Tag zum andern.«
»Waren wir denn anders?« warf Schorsch ein, der sich bisher so wenig wie Daniel zu einer Heirat hatte entschließen können. »Du bist doch kein Tattergreis, Maxl. Denk mal dran, was wir alles angestellt haben.«
Sibylle saß staunend dabei. Sie hatte den Block aus der Tasche genommen, den sie immer mit sich trug, und sie zeichnete. Die Männer achteten gar nicht darauf. Es schien, als hätten sie ihre Anwesenheit vergessen.
»Habt ihr etwas von Jochen gehört?« fragte Daniel. Er war der fröhlichste in ihrer Runde gewesen, vielleicht auch der besessenste.
»Er ist doch nach Afrika gegangen in ein Entwicklungsland«, sagte Schorsch, der Frauenarzt. »Der vollkommene Idealist. Hoffentlich kommt er wieder heil zurück. Kinder, ich muß langsam aufbrechen«, fuhr er dann fort, nachdem er erschrocken auf die Uhr geschaut hatte.
»Ich auch«, sagte Daniel. Sibylle schien es gar nicht zu hören.
»Na, wir zwei Hübschen können dann ja noch ein bißchen bummeln«, sagte Max zu ihr. »Mich zieht es nicht in meine triste Bude.«
Es war Mitternacht vorbei, als Daniel und Schorsch, der Gynäkologe Dr. Hans-Georg Leitner, auf der Straße standen. Müde waren sie eigentlich gar nicht, aber plötzlich war es ihnen zuviel geworden.
»Hoffentlich versumpft Max nicht vollends«, sagte Schorsch. »Er will anscheinend alles ruckzuck nachholen.«
»Dann ist er bei Sibylle in den richtigen Händen«, lachte Daniel. »Sie können sich gegenseitig trösten.«
»Eine ganz interessante Frau«, sagte der andere. »Es hätte mich nur erstaunt, wenn du dich für so eine schon ein bißchen antiquierte interessiert hättest. Was macht die Liebe, Dan? Immer noch wechselhaft bis gewittrig?«
»Sehr beständig und in voller Blüte«, erwiderte Daniel: »Und bei dir?«
»Hoffnungslos«, erwiderte Schorsch heiser. »Ich werde mir jetzt ein Taxi suchen.«
»Bist du nicht mit dem Wagen da?«
»Ich fahre nie, wenn ich etwas trinke. Du bist immer noch standfest?«
»Immer«, erwiderte Daniel lächelnd. »Ich bringe dich nach Hause. Oder kommst du noch mit zu mir?« schlug er aus einer plötzlichen Eingebung heraus vor.
»Wenn es dir nichts ausmacht«, sagte Schorsch. »Mich zieht es nicht heim. Wohne immer noch bei meiner Mutter. Manchmal schafft es mich. Sie sieht in mir immer noch den kleinen Jungen. Bevormundet mich andauernd, und wenn ich nachts mal nicht heimkomme, ist gleich großer Zirkus.«
Waren darin seine Probleme zu suchen? Daß er welche hatte, konnte Daniel nicht entgehen.
Schorsch stand vor dem schnittigen Sportwagen. »Eine wundervolle Maschine«, sagte er. »Dir geht es gut, man sieht es.«
In dem Lichtkreis der Neonlampe sah Daniel sein Gesicht deutlich. Viele Falten hatten sich darin schon eingegraben, und seine Schläfen waren ganz grau.
Guter Gott, lag die Studienzeit wirklich schon so weit zurück? Konnten die Jahre so schnell enteilen?
»Du hast dich gut gehalten«, sagte Schorsch Leitner. »Die Zeit ist an dir spurlos vorübergegangen.« Hatte er Daniels Gedanken geahnt?
»Ganz so auch nicht«, sagte Daniel.
»Es ist wohl ein Unterschied, ob man unabhängig ist oder den ganzen Ballast einer Klinik mit sich herumschleppen muß«, fuhr Schorsch fort. »Hast du überhaupt eine Ahnung, was da alles an einem hängenbleibt? Früher habe ich immer gedacht, daß ein festes Gehalt und die Sicherheit einem Ruhe geben, aber so ist es auch nicht, Dan. Du hast es richtig gemacht.«
Und als er sich dann in Daniels Wohnung umblickte, pfiff er durch die Zähne.
»Beneidenswerter Mensch«, sagte er. Dann blieb sein Blick auf Fees Fotografie ruhen.
»Bezaubernd«, sagte er. »Die Herzkönigin?«
»Genau. Meine zukünftige Frau«, erwiderte Daniel. »Und eine Kollegin dazu.«
»So was gibt es auch?« fragte Schorsch.
»Da würde ich aber nicht lange warten. So etwas muß man festhalten.«
»Das will ich auch.«
Er sah den andern an. Dr. Hans-Georg Leitner war ein ausgesprochen hübscher Junge gewesen. Jetzt war er ein breitschultriger, schon ein bißchen untersetzter Mann. Sein Gesicht hatte strenge Züge, die aber durch ein anziehendes Lächeln gemildert wurden und mehr noch durch die warmen grauen Augen.
»Es freut mich sehr, daß wir uns getroffen haben, Dan«, sagte er. »Die Arbeit frißt einen auf, und wenn man keine Freude hat, wird man trübsinnig.«
»Warum heiratest du nicht?« fragte Daniel. »Du bist doch auch Mitte dreißig.«
»Sechsunddreißig«, brummte der andere.
»Und immerhin schon Chefarzt. Wird doch wohl gut honoriert.«
»Das schon. Aber sie ist verheiratet. Ich habe doch gesagt, daß es hoffnungslos ist. Und dann ist da auch noch meine Mutter. Jeden Tag bekommen, ich vorgehalten, daß sie sich das Geld für mein Studium vom Munde abgespart hat. Das zermürbt. Man fühlt sich verpflichtet, sich dankbar zu erweisen. Ich bin es auch, aber sie hat eben kein Verständnis für meine Situation. Da bleibt es nicht aus, daß man sich hin und wieder besäuft, um alles wenigstens für ein paar Stunden zu vergessen. Manchmal ist das Leben einfach Mist, Dan. Wenn ich im Trott bin, vergesse ich es. Es ist ein schönes Gefühl, wenn sich dankbare