Dr. Norden Bestseller Paket 1 – Arztroman. Patricia Vandenberg
Er sprach jetzt mehr zu sich selbst, versunken in Gedanken. »Es ist ein süßes kleines Mädchen gewesen. Ist es noch. Drei Jahre ist sie jetzt. Seither kennen wir uns, lieben uns, verstehst du.« Er stöhnte. »Sie hat einen schrecklichen Mann, ein widerlicher, gefühlloser Tyrann ist er.«
»Und warum läßt sie sich nicht scheiden?« sagte Daniel.
»Weil er ihr das Kind wegnehmen würde. Er hat mit seinem Geld die Firma ihres Vaters gerettet. Ich habe noch mit keinem darüber gesprochen. Entschuldige, Dan, wenn ich dir was vorjammere.«
»Red nur weiter«, sagte Daniel. »Auch ein Arzt braucht manchmal einen Arzt.«
»Dieses verfluchte Geld. Wieviel Unheil hat es schon angerichtet, solange die Welt besteht«, fuhr Schorsch fort. »Als Jochen mir damals Adieu gesagt hat, habe ich den Kopf geschüttelt über seinen Entschluß. Jetzt trage ich mich manchmal mit dem Gedanken, es ihm gleichzutun. Es gibt so viel Elend auf der Welt, Dan.«
»Hier auch«, sagte Daniel, »wir leben daran vorbei. Wenn wir nicht direkt damit konfrontiert werden, verschließen wir die Augen davor.«
Dr. Leitner sah ihn nachdenklich an. »Du warst immer der gescheiteste von uns allen. Warum will sich Daniel nur mit all diesen lächerlichen Wehwehchen herumplagen, habe ich manchmal gedacht, aber du hast es erfaßt, daß es am Ende nur die richtige Befriedigung ist, wenn man den Menschen als Ganzes nimmt, mit Herz und Seele. Ich möchte mal meine Mutter zu dir schicken.«
»Tu es, Schorsch«, sagte Daniel aufmunternd. »Vielleicht quält sie sich genauso wie du mit Problemen herum, über die sie mit ihrem Sohn nicht reden mag. Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn man aneinander vorbei schweigt. Glaub nur nicht, daß ich das nicht auch schon mitgemacht habe.«
»Wie läßt es sich eigentlich mit deinem Sanatorium an?« fragte Schorsch nach längerem Schweigen. »Geredet wird ja darüber, aber die lieben Kollegen belächeln deine Vorstellungen. Sei mir nicht böse, wenn ich das sage.«
»Bin ich nicht. Ich weiß es«, sagte Daniel. »In mancher Augen erscheine ich als armer Irrer, aber es war die Idee meines Vaters, und zuerst war ich auch skeptisch. Aber die Erfahrung lehrt, daß es eine gute Idee war.«
»Ich sehe es schon kommen, daß ich mich auch mal dieser Therapie unterziehen werde«, sagte Dr. Leitner nachdenklich. »Nächsten Monat habe ich Urlaub. Ich bin müde, Dan, entsetzlich müde.«
»Wann mußt du in der Klinik sein?« fragte Daniel.
»Punkt acht Uhr. Zwei Operationen.«
»Dann wird es Zeit, daß du schläfst«, meinte Daniel. »Ich kann dir ein Bett anbieten, und morgen früh fahre ich dich rüber.«
»Du warst schon immer ein feiner Kerl«, sagte Dr. Leitner. »Was denkst du von mir? Daß ich ein jämmerlicher Schwätzer bin?«
»Depp«, sagte Daniel lächelnd. »Eine Generalüberholung wäre fällig, und die gibt es unter Freunden und Kollegen kostenlos.«
»Na, dann überhole mich mal«, sagte Schorsch.
*
Am Morgen war er ein anderer. Lenchen zeigte ihre Überraschung nicht, als ein fremder Mann am Frühstückstisch erschien. Einen Mann akzeptierte sie.
»Du bist gut versorgt«, sagte Schorsch zu Daniel, als er den reichgedeckten Tisch sah. »Mutter päppelt mich immer noch mit Haferflocken.«
»Brrr«, machte Daniel. »Sag mal, brauchst du keinen Wecker? Du warst schnell auf den Beinen.«
»Training. So kurz kann die Nacht gar nicht sein, daß ich am Morgen nicht wieder fit wäre. Ich habe dir wohl mächtig die Ohren vollgejammert?«
»Es war nicht so schlimm«, erwiderte Daniel.
»Fee hat gestern abend noch angerufen«, sagte Lenchen laut, als sie den Kaffee einschenkte. Schwerhörig, wie sie war, bekam sie die Unterhaltung der beiden Männer nicht mit. Es war ein wahres Wunder, daß sie am Telefon überhaupt etwas verstehen konnte. Aber Fees Stimme kannte sie ja.
»Ich habe gesagt, daß Sie noch Besuche machen«, brüllte ihm Lenchen ins Ohr.
»Danke«, brüllte Daniel zurück.
»Du brauchst mich nicht zur Klinik zu bringen«, sagte Dr. Leitner. »Ich lasse mir ein Taxi kommen. Ich bin dir genug auf den Wecker gefallen.«
»Es war mir ein Vergnügen, Schorsch«, erwiderte Daniel lächelnd. »Du kannst ruhig öfter mal kommen.«
»Hoffentlich bereust du das Angebot nicht, wenn ich davon Gebrauch mache. Ich habe phantastisch geschlafen. So gut, wie schon lange nicht mehr.«
»Da siehst du, was es ausmacht, wenn man den seelischen Müll abwälzen kann.«
»Und Mutter wird sich den Kopf zerbrechen, wo ich wohl die Nacht verbracht habe«, sagte Schorsch.
»Ich werde sie anrufen und beruhigen«, meinte Daniel.
»Würdest du das wirklich tun?«
»Warum nicht? Euch muß doch zu helfen sein.«
Zuerst riefen sie ein Taxi herbei. Es kam schnell. Für Schorsch Leitner war es auch höchste Zeit.
»Ein netter Mensch«, sagte Lenchen, als er sich verabschiedet hatte. »Ich dachte schon, Sie wären versumpft. Das dulde ich nämlich nicht, daß Fee sich Sorgen macht.«
»Brauchst du doch nicht«, sagte Daniel. Und dann rief er ganz schnell Fee an. Sie war gerade erst aufgestanden. Ihre Stimme klang noch ziemlich verschlafen. Aber sie war gleich ganz da, als Daniel »Guten Morgen, Geliebte« sagte.
»So früh am Morgen und schon so munter?« fragte sie.
»Hast du gebummelt oder ich?« fragte er zurück.
»Hast du gebummelt?« fragte Fee. »Mit wem denn?«
»Mit einem alten Studienfreund. Ich habe ihn zufällig getroffen. Er hat bei mir geschlafen.«
»Ein weiblicher oder männlicher Studienfreund?« fragte Fee.
»Ein männlicher natürlich. Lenchen hat mir eben gesagt, daß du gestern abend angerufen hast. Ist alles in Ordnung, Feelein?«
Seine Stimme klang sehr zärtlich.
»Soweit alles in Ordnung«, erwiderte sie. »Einen despotischen Amerikaner haben wir bekommen.«
»Schorsch werde ich auch zu euch schicken«, sagte Daniel.
»Wer ist Schorsch?«
»Der Studienfreund. Dr. Leitner.«
»Der Gynäkologe?« fragte Fee verwundert. »Du hast mir noch gar nicht von ihm erzählt.«
»Du kennst ihn?« fragte er schon wieder mit einer eifersüchtigen Regung.
»Ich kenne eine Patientin von ihm. Katrin Pietsch.«
»Katrin«, sagte Daniel nachdenklich. »Ist so was möglich.«
»Kennst du sie auch?« fragte Fee.
»Nein, er hat mir nur von ihr erzählt. Woher kennst du sie?«
»Von der Schule. Wir haben eine Schulbank gedrückt. Sie hat mir aber auch nie erzählt, daß sie dich kennt, Daniel.«
»Sie kennt mich auch nicht.«
»Aber du kennst ihren Namen.«
»Nun sind wir beide wieder mal eifersüchtig«, sagte Daniel. »Das war nicht der Sinn meines Anrufes, Liebling. Ich wollte deine Stimme hören. Ich wollte dir sagen, daß ich froh bin, daß ich dich habe, daß es bei uns keine Probleme gibt. Es gibt doch keine?«
»Bei mir nicht«, tönte Fees Stimme durch den Draht.
»Ich habe auch keine. Ich liebe dich«, sagte er.
Eine kleine Pause folgte. »So könntest du mich ruhig öfter morgens