Sind denn alle guten Männer schon vergeben?. Silvia Aeschbach
stressen, aber eine große Auswahl ist doch besser, als keine Auswahl zu haben.
Unsere Welt ist in den vergangenen Jahren immer komplizierter geworden. Wie lerne ich, unter zwanzig Augencremen jene herauszufinden, die für mich am besten ist? Aus hundert Büchern jenes zu wählen, das mich am meisten fesselt? Beim riesigen Fernsehprogramm jenen Film zu schauen, der die Zeit auch wert ist?
Sicher ist: Das Ziel kann nicht sein, die Vielfalt zu verringern, wie radikale Kritiker der Konsumgesellschaft dies fordern. Menschen müssen lernen, wie man die richtige Wahl trifft, indem sie sich vermehrt informieren, abwägen und lernen, auf ihre Bedürfnisse zu hören. Fragen wie »Was brauche ich?«, »Was macht mich glücklich?« und »Auf was kann ich verzichten?« werden immer wichtiger. Eine solche Innenschau kann helfen, das Selbstbewusstsein zu stärken, denn wenn ich weiß, was mir guttut, bin ich auch besser gegen die vielfältigen Verführungen gefeit. »Wo fühlst du dich denn am glücklichsten?«, fragte ich meine Kollegin, die nicht wusste, wo sie ihre Ferien verbringen möchte. »Am liebsten würde ich mal zu Hause bleiben und richtig faulenzen«, meinte sie nachdenklich. Manchmal ist es so einfach, die richtige Entscheidung zu treffen.
Leben von A bis Z
Manchmal habe ich das Gefühl, ich stehe im Wald, oder konkreter gesagt, ich lebe manchmal etwas antizyklisch. Zum Beispiel, wenn in Mode und Design grad mal wieder schwarz-weißer Minimalismus angesagt ist, während ich von üppigen Hüllen in Samt und Seide träume, natürlich in Regenbogenfarben. Oder wenn ich auf dem Teller beim Sternekoch die Erbsen und Zwiebelchen zählen muss, während vor meinem geistigen Auge eine richtig schön verbrannte Bratwurst und ein Bürli (Achtung: Weißbrot!) vorbeiziehen. Und vielleicht noch eine klitzekleine Mousse au Chocolat. Und ja, ich weiß, die japanische Aufräumfee Marie Kondo predigt in ihren Büchern äußerst erfolgreich den minimalen Besitz: »Behalte nur, was dir Freude macht. Besitze nur, was du brauchst.« Und das dürfen, ihrer Philosophie nach, etwas zugespitzt gesagt, höchstens hundert Dinge sein. Ich bewundere Menschen, die sich so beschränken können. Mir fällt das Spartanische schwer, ich schöpfe lieber aus der Fülle. Nicht zu verwechseln übrigens mit dem sinnlosen Überfluss, der ein schlechtes Lebensgefühl kompensieren muss.
»Zu viel von einer guten Sache kann wunderbar sein«, sagte einst Mae West. 1893 geboren, war Mae ein ziemlich patentes Mädchen, das im Hollywood der 1930er-Jahre zu den bestbezahlten Filmstars zählte, aber auch als Drehbuchautorin arbeitete; eine Seltenheit in der damaligen Zeit. Heute könnte man West vielleicht mit Madonna vergleichen. Jedenfalls bevor diese zur knallharten Geschäftsfrau mutierte. Als Mae West mit siebenundachtzig Jahren starb, konnte sie auf ein erfülltes Leben zurückblicken. Eine Frau, die aus dem Vollen geschöpft und selten etwas bereut hatte. Und die, im Gegensatz zu anderen berühmten Hollywood-Film-Blondinen wie Marilyn Monroe nie das Opfer war, sondern ihr Leben stets selber in der Hand hatte.
»Wer nicht genießt, wird ungenießbar«, wusste übrigens ein paar Jahrhunderte zuvor schon der Dichter Friedrich von Schiller. Man muss es ja nicht dem Sänger Konstantin Wecker nachmachen, der den Genuss mit fast den gleichen Worten pries, bei dem der zügellose Genuss allerdings in reine Maßlosigkeit und eine schwere Drogensucht mündete.
»Mit zunehmendem Alter sollte man sich beschränken«, höre ich immer wieder. Ich frage: Warum bloß? Sollte man, wenn die verbleibende Lebenszeit kürzer wird, nicht noch einmal aus dem Vollen schöpfen? Etwas Außergewöhnliches wagen und darauf pfeifen, was die Leute sagen? Sich über Konventionen hinwegsetzen und nur den eigenen Gefühlen folgen? Einfach mal unvernünftig sein und in den Tag hineinleben? Der Spruch »Man bereut im Leben nur die Dinge, die man nicht gemacht hat« stammt zwar nicht von Mae West, aber er passt perfekt zu ihrer Persönlichkeit. Und manchmal, so hoffe ich jedenfalls, auch zu meiner.
In erster Linie Mensch
Manchmal erfahre ich aus der Zeitung Erstaunliches, und ich frage mich: Spinnen eigentlich alle? Neulich passierte das an einem Tag, der mies gelaufen war und an dem mein Kopf trotz Tablette schmerzte. Also beschloss ich, eine Nacht darüber zu schlafen, bevor ich mein endgültiges Urteil fällte. Acht Stunden später ging es mir wieder gut. Und nach weiteren acht Minuten, die ich brauchte, um den Text über die sogenannte Genderisierung bei deutschen Primarschülern noch einmal zu lesen, fiel meine Reaktion wieder gleich aus: Die Welt spinnt! Laut diesem Artikel fällt es Kindern heute zunehmend schwer, zu beurteilen, ob sie sich als Mädchen oder Bub fühlen. Und dies könne im konkreten Fall dazu führen, dass manches Kind verunsichert sei, welche Toilette es nun benutzen solle. Als Lösung sah der Autor »genderfluide« WCs, die von allen benutzt werden könnten.
Die Gender-Politik geht davon aus, dass es naturgemäß keinen Unterschied zwischen Frauen und Männern gibt. Und dass wir aufgrund unserer Erziehung in unsere Rolle gedrängt werden. Dass mich also die rosa Kleider, die ich als Kind geliebt habe, und die Tatsache, dass ich in meiner Mini-Kinderküche begeistert Kuchen buk, zu der machten, die ich heute bin: eine Frau, die nie gut in Mathematik war (Klischee erfüllt), immer noch viel Freude an schönen Kleidern hat (Klischee erfüllt) und – aber, hallo! – trotz früheren Backfreuden heute nicht mehr gern in der Küche steht. Also war der Versuch meiner Eltern, mich als Mädchen zu prägen, doch nicht hundertprozentig erfolgreich. Denn trotz meinen Vorlieben für »Mädchensachen« war ich ein ausgesprochener Wildfang. Hätten Sie mich als Kind gefragt, ob ich mich als Mädchen oder Bub fühle, ich hätte wohl laut aufgelacht und geantwortet: »Ich bin doch einfach Silvia!« Und die Tatsache, dass meine energische Mutter zu Hause das Sagen hatte und mein Vater eher weich und verträumt war, hat auch nie dazu geführt, dass ich punkto Geschlechter verwirrt gewesen wäre. Meine Eltern waren einfach Mami und Papi.
Dass ich mich über diesen Artikel aufgeregt habe, hat nichts damit zu tun, dass ich Menschen, die sich in ihrer Identität nicht wohlfühlen, verurteilen würde. Im Gegenteil, ich stelle es mir als schrecklich vor, im falschen Körper zu leben. Auch die stereotypen Vorstellungen, wie sich Männer und Frauen in unserer Gesellschaft zu fühlen oder zu verhalten haben, finde ich völlig veraltet. Aber die Diskussionen, wo jetzt die Grenze zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit zu ziehen sei, wenn es diese denn überhaupt gebe, halte ich für absurd. Und nebenbei: Genderfluide Menschen gab es schon immer. Denken Sie an Künstler wie David Bowie oder Mick Jagger, die sich gerade in dieser Hinsicht erfolgreich inszenierten. Und sich sicher nie gefragt haben, welche Identität nun die richtige sei.
Ich habe im letzten Dezember die Eltern meines Großneffen gefragt, was sich der Kleine, der noch nicht sprechen kann, wohl auf Weihnachten wünsche. Sie meinten, entweder einen kleinen Baukran oder ein Bäbi. Er bekam beides und spielt jetzt abwechselnd damit. Und wie er sich auch immer entwickeln wird, ich bin sicher, er wird von seinem Umfeld in seinen Neigungen und Interessen unterstützt werden. Denn wie für ihn, so gilt für uns alle: In erster Linie sind wir doch Menschen.
Gebratener Cervelat auf zwei Beinen
Wenn ich in der kalten Jahreszeit um die Mittagszeit aus einem überfüllten Tram aussteige, kann ich anhand der Ausdünstung meiner Kleider sagen, was die Menschen neben, vor und hinter mir gegessen haben. Selbst wenn es nur eine kurze Fahrt war: Mein Wollschal riecht eindeutig nach Curry. Dem Mantel haftet mehr als ein Hauch Kebab (mit einer großen Portion Zwiebeln) an. Und wenn mich meine Hunde bei der Begrüßung am liebsten auffressen würden, weil sie mich ein paar Stunden nicht gesehen haben, passiert dies nicht aus reiner Freude, sondern weil mich eine verführerische Gebratene-Wurst-Aura umgibt. Von jener Wurst, die wenige Minuten zuvor der Nachbar auf dem Nebensitz im Tram verschlungen hat.
Ich kann Millie und Louis gut verstehen. Der köstliche Duft eines knusprig gebratenen Cervelats kann auch mich entzücken. Besonders dann, wenn ich ihn draußen an einem Lagerfeuer genieße. Aber wenn sich dieser markante Geruch auf engstem Raum mit jenem von anderen »Köstlichkeiten to go« vermischt – vielleicht noch von leisen Schmatzern, dem einen oder anderen Rülpser oder gar einer anderen menschlichen Ausdünstung untermalt wird –, kann es sein, dass mir übel wird. Selbst wenn ich hungrig ins Tram gestiegen bin.
Und noch mühsamer wird es, wenn mein