Sind denn alle guten Männer schon vergeben?. Silvia Aeschbach

Sind denn alle guten Männer schon vergeben? - Silvia Aeschbach


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habe die Bilder in einer alten Schachtel mit Erinnerungsstücken gefunden, sie abfotografiert und ihr geschickt.

      Sie ist auch heute noch eine sehr attraktive Frau, aber klar, ihre Haut, die Haare und die Figur haben sich im Verlauf der Jahrzehnte verändert. Das ist völlig normal und löst keine schlechten Gefühle aus. Höchstens ein bisschen sentimentale.

      Wenn ich alte Fotos von mir anschaue, passiert das auch. Wenn man mal von der etwas schrägen Mode der 1970er-Jahre absieht, sehe ich da eine junge Frau, die sich ihres guten Aussehens überhaupt nicht bewusst war. Im Gegenteil, ich fokussierte nur auf meine Schwächen. Lachend erinnerten wir uns, wie uns unsere Väter wegen unserer »dicken Kiste« und unserer »Stampfer« immer geneckt hatten. Auch wenn diese Bemerkungen nicht bösartig gemeint waren, hinterließen sie doch Spuren: Meine Freundin versteckte ihr Füdli jahrelang unter langen Blusen, und ich trug nur ungern Röcke. Und jetzt suchten wir auf den alten Fotos vergebens nach der vermeintlich »dicken Kiste«, entdeckten jedoch eine siebzehnjährige Schönheit, die heute innert zehn Minuten einen Modelvertrag bekommen würde. »Mein Aussehen von damals, gepaart mit meinem Selbstbewusstsein von heute, das wäre perfekt«, sinnierte meine Freundin selbstironisch.

      Warum ich diese Geschichte erzähle? Weil ich das Gefühl habe, dass wir von einem Extrem ins andere gefallen sind. Während wir Teenager früher meist »kleingehalten« wurden, damit uns ein allfällig gutes Aussehen oder gute Leistungen nicht in den Kopf steigen sollten, werden die heutigen Kids von ihren Eltern oft behandelt, als seien sie kleine Götter. Jeder Pups wird bewertet, jeder Fortschritt auf den verschiedensten Kanälen geteilt – es scheint, als gäbe es in unserer westlichen Welt nur noch Superkids. Und so erstaunt es nicht, wenn bereits zehnjährige Mädchen mit Kussmund auf Instagram posieren oder gleichaltrige Buben mir die Welt erklären: »Das Wichtigste ist, ein cooles Image zu haben.« Natürlich soll man Kinder in ihrem Selbstbewusstsein auf allen Ebenen aufbauen, aber ihnen ständig das Gefühl zu geben, sie seien der Nabel der Welt, gebärt kleine Narzissten. Denn genau wie »dicke Stampfer« ein Leben prägen, fördert auch eine stete Glorifizierung die gesunde Entwicklung eines Menschen nicht wirklich.

      Listige Listen

      Ich liebe es, Listen zu schreiben, und ich führe sie für praktisch alle Lebensbereiche. Unter dem Punkt »Wohnung« steht aktuell: »Bettwäsche aussortieren, Nachttischlampe kaufen, Wand auf der Terrasse himmelblau streichen«. Sehr gern mag ich die Liste »Wünsche«. Ohne zu sehr in die Details zu gehen, hier einige der unverfänglichen Stichworte: »Drehbuchkurs in New York besuchen, Gleitschirm-Tandemflug buchen, Haare dunkelbraun färben«. Ihnen fällt sicher auf, dass die Machbarkeit auf beiden Listen eine andere ist. Ist die Erfüllung der Punkte auf der Wohnungsliste quasi ein Kinderspiel, wird es mit jenen auf der Wünscheliste schwieriger. Erstens, Drehbuchkurs: Bin ich nicht zu alt? Ist mein Englisch gut genug? Zweitens, Gleitschirm-Tandemflug: Geht das auch mit Höhenangst? Drittens, Haare braun färben: Mein Mann sähe das sicher entspannt, meine Freundin Jasna, die mir regelmäßig blonde Strähnchen färbt, weniger. »Nur über meine Leiche!«, warnte sie mich. »Du bist und bleibst eine Blondine.« Und bekanntlich sollte man der Coiffeuse seines Vertrauens nicht widersprechen, will man sich nicht eines Tages mit hennarotem Schopf aus dem Salon schleichen. Doch zurück zum Thema: Die Liste, die ich am wenigsten mag, heißt »To do«. Englisch ausgesprochen, tönt es irgendwie netter als der beinahe militärische Befehl: »Muss gemacht werden!« Und die Liste ist lang. Genauer gesagt umfasst sie 16,5 Punkte. Der halbe Punkt bezieht sich übrigens auf den halb gefüllten Wäschekorb, der noch weggebügelt werden müsste.

      Der größte Genuss am Listenführen ist, Erledigtes durchzustreichen. Und zwar mit einem pinkfarbenen Stift, damit der Erfolg, den inneren Schweinehund überwunden zu haben, optisch sofort ins Auge fällt. Einfach fallen mir folgende Erledigungen: »den neuen Roman von Joël Dicker kaufen, Zitronenkuchen für den Geburtstag meines Neffen backen, Pediküre buchen«. Das Anforderungsprofil steigt, wenn es darum geht, den Kofferraum des Autos aufzuräumen, das Altglas zu entsorgen oder Rechnungen zu schreiben. Aber irgendwann sind auch diese Aufgaben erledigt, und mein schweinchenrosa Filzstift kommt zum Einsatz. Juhee! Die Erleichterung hält aber nur so lange an, bis ich realisiere, dass wieder einmal die gleichen Punkte auf meiner Liste stehen geblieben sind: »Badezimmer putzen, Wintermäntel in die Reinigung bringen, Kaffeemaschine entkalken, Zuckerkonsum reduzieren«.

      Alle Bemühungen, diese Punkte endlich anzugehen, haben bis vor kurzem nicht gefruchtet. Deshalb habe ich sie an die oberste Stelle gesetzt. Ein Trick, der ja zum Beispiel bei politischen Listen funktioniert: Wer oben steht, hat bekanntlich die weitaus größeren Chancen, gewählt zu werden, als die Schlusslichter. Bei mir blieb die Maßnahme erfolglos. Auch mir selbst versprochene Belohnungen halfen nicht: Ein Punkt erledigt gleich eine Glace. Funktioniert nicht, weil ich ja vermehrt auf Zucker verzichten möchte.

      Aber dann hatte ich eine geniale Idee: Ich tauschte meine ungeliebten Aufgaben mit denen meines Mannes. Das Badezimmer ist jetzt blitzsauber, der Kaffee schmeckt endlich wieder kalkfrei, und die Wintermäntel sind weg. Dafür habe ich unsere Velos geputzt, die Steuererklärung erledigt und die Medikamente nach Verfallsdatum sortiert.

      Das nennt man wohl eine Win-win-Situation. Nur die Sache mit der Zuckerreduktion bleibt noch ein bisschen länger auf der Liste. Der Sommer ist schließlich noch lang. Und meine Lust auf Glace noch lange nicht gestillt.

      Die Schnäppchenjägerin

      Kürzlich hatte ich das Vergnügen, in Paris einen charmanten Parfumeur zu interviewen. Nach dem Treffen und bevor ich zum Flughafen fahren musste, hatte ich noch etwas Zeit. Also ging ich noch ein wenig bummeln. Wenig später befand ich mich in einem luxuriösen Warenhaus. Eine Kollegin aus Österreich, die ebenfalls mit von der Partie war, hatte mir dieses empfohlen. »Es gibt nichts Schickeres in der Stadt als diese Schuhabteilung«, hatte sie mir verraten. Und dabei grinsend auf ihre Füße gezeigt, die in ziemlich neuen Stiefeln aus Wildleder steckten. »Solch treue Begleiter, die einem bei jedem Wetter auf Schritt und Tritt folgen, findet man schließlich nicht alle Tage«, meinte sie.

      Ich gönnte Barbara die neuen Schuhe – aber mein Budget hätten sie gesprengt. Doch da Schauen bekanntlich nichts kostet, schlenderte ich etwas später durch die äußerst verführerische Schuhabteilung. Ich hatte meinen Rundgang beinahe beendet, da traf es mich wie ein Blitz. Beim Anblick nachtblauer Stiefeletten war ich schockverliebt. Ohne zu zögern, nahm ich sie aus dem Regal und streichelte über das babyweiche Leder. Eine Verkäuferin, die mich beobachtet hatte, kam lächelnd auf mich zu. Ich war sicher nicht die erste Kundin, deren Blick vor lauter Begierde verschleiert war. So dauerte es keine Minute, und meine Füße hatten eine neue, verheißungsvolle Bekanntschaft gemacht. Und die Chemie stimmte: Die Schuhe schmiegten sich an meine Füße, als hätten sie nur darauf gewartet, von mir entdeckt zu werden.

      Ein diskreter Blick aufs Preisschild ließ mein Herz noch schneller schlagen: ein Schnäppchen! Das wunderte mich zwar ein bisschen, weil das Modell aus der neuen Kollektion eines französischen Designers stammte, der nicht gerade dafür bekannt ist, günstig zu sein.

      Beinahe beflügelt folgte ich der netten Verkäuferin in Richtung Kasse. Während dort die Stiefeletten sorgfältig in knisterndes Seidenpapier verpackt wurden, zückte ich meine EC-Karte. Kurz danach erschien auf dem Display eine Summe, die eindeutig eine Null zu viel anzeigte. Das erkannte ich, obwohl ich meine Lesebrille nicht trug. In meinem besten Französisch wies ich die Kassiererin auf ihr Versehen hin. Diese antwortete in perfektem Englisch, dass ich mich getäuscht hätte und es sich bei der Zahl tatsächlich um den richtigen Preis handle.

      Meine Schockverliebtheit verwandelte sich augenblicklich in Scham und kurz darauf in Ärger über mich. In letzter Zeit war es nämlich immer wieder vorgekommen, dass ich, sogar wenn ich meine Lesebrille trug, die kleinen Preisschildchen, die an Sachen klebten, nicht mehr entziffern konnte. Und dieses Mal war ich durch die Ausschüttung von Glückshormonen so überwältigt gewesen, dass ich meinen Augen getraut hatte. Oder besser gesagt: trauen wollte. Und ich war mir sicher: Selbst mit der Brille auf der Nase wäre mein Blick zu getrübt gewesen, um die Realität zu erkennen.

      Während die Verkäuferin meine


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