Johann Albrecht von Reiswitz (1899–1962). Andreas Roth

Johann Albrecht von Reiswitz (1899–1962) - Andreas Roth


Скачать книгу
vorstellig, um ihm einerseits seinen „Vorschlag einer Organisation der Denkmalforschung“ zu unterbreiten, andererseits eine konkrete Offerte hinsichtlich deutsch-jugoslawischer Grabungen bei dem von Reiswitz ausgemachten Gradište am Ohridsee zu machen. Im Vorfeld hatte Reiswitz sich der Unterstützung von Petković für sein Projekt versichert, welcher ihm 04.05.29 aus Belgrad geschrieben hatte, dass „wenn Sie noch immer das Interesse an Ohrid haben, ich Ihnen sehr gern zur Verfügung stehen werde.“383 Etwas konspirativ fügte er hinzu: „Das Geheimnis darüber will ich nicht verraten.“

      Vermutlich ging es darum, dass Nikola Vulić nicht zu früh von der geplanten Unternehmung erfuhr. Reiswitz Vorschlag fiel bei Rodenwaldt nicht auf taube Ohren. Kurz vor Reiswitz’ Aufbruch zu seiner dritten Jugoslawienreise im September 1929 übertrug ihm Rodenwaldt „die Aufgabe Gradište als Konzession f. d. Arch. Inst. zu bekommen“.384 Kurz zuvor hatte Reiswitz seine Vorschläge für eine Organisation der Denkmalforschung in Jugoslawien nochmals gründlich „überarbeitet“385 und eine Liste dessen angefertigt, was er dieses Mal in Serbien erreichen wollte, abgesehen von der Erringung einer Grabungskozession für Gradište. Dazu gehörte das weitere Erlernen der Landessprache und die Pflege der Kontakte, die er 1924 und 1928 geknüpft hatte. Doch hatte er auch ein politisches Ziel. Er wollte „das Land unter der berühmten Diktatur einmal auf seine Stimmung prüfen“.386 König Aleksandar I. hatte im Januar 1929 das Parlament aufgelöst, die Verfassung suspendiert und die „Šestojanuarska Diktatura“, die Diktatur des 6. Januars, ausgerufen. Im Oktober sollte das Land umbenannt werden in „Königreich Jugoslawien“. Doch auch die Bogumilen interessierten Reiswitz weiter, ebenso wie die preußisch-serbischen Beziehungen zur Zeit des Berliner Kongresses 1878.387

      Nach seiner Ankunft in Belgrad nahm Reiswitz im Nationalmuseum sofort Kontakt mit den Kustoden Grbić und Petrović auf. Der Direktor der Einrichtung, Petković, die sich zu jenem Zeitpunkt in der Fürst-Miloš-Straße Nr. 58 befand und erst 1935 nach der Zusammenlegung mit dem Museum für Zeitgenössische Kunst in den sogenannten „Neuen Palast“ in der Fürst-Milan-Straße umzog, war „verfluchterweise“ nicht anwesend,388 sondern hielt sich in Paris auf. Er lud Reiswitz brieflich ein, ihn nach seiner Rückkehr nach Belgrad am 28.09. im Museum zu besuchen oder am Abend zuvor vom Bahnhof abholen.389 Reiswitz war deshalb so aufgebracht darüber, Petković nicht angetroffen zu haben, weil er befürchtete, dass ihm entweder Vulić oder ausländische Archäologen in Gradište zuvorkommen könnten. Er erhielt vom Kustos Petrović Petkovićs Adresse in Paris und ließ ihn wissen, dass er ihn unbedingt sehen müsse, da er von Rodenwaldt die Erlaubnis bekommen habe, „konkret und direkt“ mit Petković in Sachen Ohrid zu verhandeln.390 Doch die Anwesenheit nicht-südslawischer Experten konnte auch von Vorteil sein: „Übrigens graben die Engländer schon in der Nähe von Belgrad, sodass der Precedenzfall [sic] schon geschaffen wurde, was für uns die Sache erleichtern wird“. Um welchen Präzendenzfall handelte es sich?

      Im Jahre 1928 hatte Sir Charles Hyde (1876–1942), ein englischer Philanthrop und Eigentümer der „Birmingham Post“, eine Anzeige in der Londoner „Times“ aufgegeben, um nach förderungswürdigen archäologischen Projekten zu suchen. Der seit 1920 in Belgrad lebende Schriftsteller und Englischlektor Alec Brown (1900–1962)391, welcher wiederum befreundet war mit dem englischen Archäologen und Oxfordprofessor John Linton Myres (1869–1954), sah diese Annonce und informierte den Lehrstuhlinhaber für Archäologie an der Belgrader Universität, Miloje Vasić (1869–1956), darüber. Vasić bewarb sich erfolgreich für die von Hyde in Aussicht gestellten 500 Pfund Fördermittel, um die Grabungen in dem von ihm 1908 entdeckten Vinča an der Donau fortzusetzen. Diese Grabungen hatten am 10.08.29, also rund einen Monat vor Reiswitz’ Eintreffen in Belgrad begonnen, und am 07.09. hatte die Tageszeitung „Vreme“ ausführlich über sie berichtet. Die Funde wurden von Vasić demnach auf rund 1.200 v.Chr. datiert und belegten, so Vasić in einem Interview mit „Vreme“, die wichtige Funktion Vinčas als Handelszentrum für das in einem Bergwerk am rund fünf Kilometer entfernten Berg Avala abgebaute Zinnober. Der Handel mit diesem begehrten Farbstoff verband nach Vasić die Vinčakultur mit der Ägäis und dem Orient, aber auch mit dem Norden Europas.392 Ein Satz wie der folgende, welcher in der Londoner „Times“ erschien unter der Überschrift „Early Man in the Balkans. The Finds at Vinča“ musste hinsichtlich der Frage ex septentrione oder ex oriente lux elektrisierend auf Reiswitz gewirkt haben: „The finds … prove beyond question the spread of the Aegean civilisation of about 1400 B.C. to the valley of the Danube, probably by way of the Black Sea“.393

      Von einem Präzedenzfall kann allerdings rein rechtlich gesehen nicht die Rede sein, da die Grabungen von Vasić nicht durch ein zwischenstaatliches Abkommen ermöglicht und finanziert wurden, wie es Reiswitz auf Gradište bezogen anstrebte, sondern die Geldmittel aus privater Hand stammten.

      Am 15.09. verließ Reiswitz Belgrad mit Ziel Mazedonien. Der Bürgermeister von Skopje, Josif Mihajlović (1887–1941), und der „Politika“-Redakteur Grahovac waren vorab informiert.394 Es ist nicht auszuschließen, dass Reiswitz’ Fahrt in den Süden vom offiziellen jugoslawischen Pressebüro begleitete wurde, dessen Aufgabe es war, ausländischen Besuchern ein proserbisches Bild zu vermitteln. Grahovac trat zum Beispiel im September 1932 in Erscheinung im Zusammenhang mit dem Besuch von zwei Abgeordneten der britischen Labour-Partei. Milan Jovanović, der damalige Leiter des Pressebüros in Skopje, war zufrieden mit Grahovac, den er als „großen Nationalisten“ im serbischen Sinne bezeichnete.395 Gerade das Hygiene-Institut, dessen Direktor Rankov Reiswitz 1928 kennengelernt hatte, zählte zu den gerne gezeigten Errungenschaften, die die zivilisatorische Mission Serbiens im Süden belegen sollten.396 Wahrscheinlich war von Reiswitz auch 1928 erwartet worden, dass die Gastfreundschaft, die ihm Rankow in der Hygienestation am Ohridsee gewährt hatte, publizistisch-propagandistischen Niederschlag finden sollte. Doch dazu kam es nicht.

      Eigentlich wäre es gar nicht nötig gewesen, Reiswitz von offizieller Seite im proserbischen Sinne zu bearbeiten. In einem Brief an den Direktor des Gymnasiums von Prizren im Kosovo, Milorad Šoškić, vom 29.10.29 bedankte sich Reiswitz für die Gastfreundschaft, die er „mitten in Südserbien“ in dessen Haus gefunden hatte. Offenbar hatte Šoškić, welcher 1921 in Jena über die Kulturgeschichte Montenegros promoviert hatte397, seinen deutschen Gast gebeten, bei dem deutschen Gesandten in Belgrad, Adolf Köster, vorzusprechen, um „Stipendien für südslawische Studenten in möglichst großem Ausmass“ zu bewilligen. Reiswitz teilte Šoškić mit, dass er dessen Anliegen Köster vorgetragen habe, welcher alles in seinen Kräften Stehende tun werde, um es zu unterstützen. Zudem wisse er sich „gern mit allen in Fühlung“, die, wie Šoškić, ihre „Studien in Deutschland gemacht haben“, sodass sich bei seinem im nächsten Jahr anstehenden Besuch in Prizren sicherlich die Möglichkeit einer persönlichen Unterredung ergeben werde.

      Im selben Brief bot Reiswitz an, dass Šoškić seine Dissertation doch in der Reihe „Süd-Ost Europäische Bibliothek“ veröffentlichen könne, welche von der „Arbeitsgemeinschaft für Süd-Ost Europa Forschung“ an der Berliner Universität herausgegeben werde. Bei dieser Arbeitsgemeinschaft muss es sich um dieselbe gehandelt haben, deren vorschnelle Inauguration Reiswitz im Juli noch Schünemann vorgeworfen hatte. Augenscheinlich hatte sich die Arbeitsgemeinschaft nun doch stabilisiert. Reiswitz legte dar, dass „ein Freund von mir, der schon Dozent an der Berliner Universität“ sei, zusammen mit ihm selbst diese gegründet habe. Sie stünde unter dem wechselnden Vorsitz „der namhaftesten Berliner Professoren“ und nach Schünemanns Buch zum Städtewesen in Südosteuropa könnte Šoškićs „Kulturgeschichte Montenegros bis zum Aufgehen Montenegros im südslawischen Reich“ der zweite Band in der Reihe „Süd-Ost Europäische Bibliothek“ werden, vorausgesetzt, der derzeitige Vorsitzende, Professor Karl Stählin, akzeptiere es. Obwohl sich Reiswitz „riesig“ gefreut hätte, „einen Südslawen als nächsten schon in dieser Bibliothek zu sehen“, kam es nicht zu der geplanten Veröffentlichung. Ein zweiter Band in der Reihe ist nie erschienen, und über die Arbeitsgemeinschaft selbst ist auch keine Überlieferung zu Tage getreten.

      Danach ließ Reiswitz Šoškić von dem gemeinsamen Freund Max Fischer grüßen, den Reiswitz „neulich abend“ traf und der auch „gerne und oft“ an


Скачать книгу