Johann Albrecht von Reiswitz (1899–1962). Andreas Roth

Johann Albrecht von Reiswitz (1899–1962) - Andreas Roth


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aus Mostar und hatte vor dem Ersten Weltkrieg im Landesmuseum von Sarajevo gearbeitet. Als Reiswitz seine Bekanntschaft machte, war er bereits Lehrstuhlinhaber in Belgrad. In seinem Brief an Babinger vom 15.11.28 urteilte Reiswitz wie folgt: „Was die Bogomilen betrifft, so habe ich in Corovic wirklich den Mann gefunden, den Sie schilderten und den ich brauche. Strotzend vor Lust an seiner Arbeit und in allem positiv … kommt er gleich in medias res und wird – überzeugt von der Wichtigkeit einer … Bogomilenbibliographie… alles tun, um mir Umwege zu ersparen.“ Ćorović ging in der Tat – allerdings erst in seinem opus magnum zwölf Jahre später – auf die Bogumilen in Bosnien ein.351

      Wie sich die Bekanntschaft mit Ćorović entwickelte, ist nur bruchstückhaft überliefert. Am 29.03.36 schrieb Reiswitz an Böckschen, dass der Oldenbourg-Verlag seinen gerade veröffentlichten „Fahrplan“ – so der familieninterne Terminus für Reiswitz’ als Buch erschienene Habilitationsschrift – zur Rezension in Politika an Ćorović geschickt habe, obwohl Reiswitz als Politikarezensenten eigentlich seinen Freund, den Journalisten Predrag Milojević (1901–1999)352 vorgesehen hatte. Kurz darauf, am 30.04.36, meldete sich Ćorović in einem persönlichen, handgeschriebenen Brief bei Reiswitz: „Ich habe Ihr schönes Buch mit Dankbarkeit bekommen und schon gelesen. Das Buch ist höchst interessant und sehr gut. … Es wird uns sehr freuen, wenn Sie die nützliche Arbeit fortsetzen möchten; für weitere Ausgestaltung der deutsch-jugoslawischen Beziehungen werden solche Beiträge eine überaus fördernde Wirkung haben.“ Ćorovićs eigene historiographische Arbeit wurde allerdings im Jahre 1936 als für die Förderung der deutsch-jugoslawischen Beziehungen nicht unbedingt vorteilhaft angesehen. Woran lag das?

      Sechs Jahre später, am 30.12.42, schrieb Reiswitz aus Belgrad, im 5. Stock des Deutschen Wissenschaftlichen Instituts (DWI) sitzend, an seine Mutter. Direkt vor ihm an der Wand waren Regale mit dem Bibliotheksbeständen von Ćorović angebracht. Nach seiner Flucht aus Belgrad und seinem fatalen Flugzeugabsturz über dem Berg Athos am 12.04.41 war Ćorovićs Buchbesitz konfisziert und ins DWI verbracht worden.353 Ćorović hatte sich, so Reiswitz, „leider als hochgradiger Freimaurer“ entpuppt, der „ins Ausland floh und dessen schöne Bibliothek wir infolgedessen als Feind-Bibliothek sichergestellt haben“.354 Allerdings ging es den deutschen Besatzern nicht vornehmlich um Ćorovićs bibliophile Schätze, sondern um sein 1936 fertiggestelltes Buch über die serbisch-österreichischen Beziehungen im 20. Jahrhundert355 und die dazugehörige Quellen- und Materialsammlung. In diesem Buch, dessen Auslieferung kurzfristig durch den jugoslawischen Ministerpräsidenten und Außenminister Milan Stojadinović (1888–1961) unterbunden worden war, identifizierte Ćorović Österreich-Ungarn als die alleinig schuldige Macht am Ersten Weltkrieg. Obwohl es sich bei Ćorovićs Werk um eine Auftragsarbeit der jugoslawischen Regierung aus dem Jahre 1930 handelte, mit der ursprünglichen Absicht zu belegen, dass Serbien unschuldig am Kriegsausbruch war, vermutete Stojadinović, dass diese Hauptthese Hitler vor den Kopf stoßen könnte. Die gesamte bereits gedruckte Auflage wurde einbehalten – was den jugoslawischen Steuerzahler 226.000 Dinar kostete.356

      Reiswitz’ Brief an Babinger vom 15.11.28 gibt neben der Bogumilenthematik noch Aufschluss über eine Idee Reiswitz’ hinsichtlich der Verstärkung der zukünftigen deutsch-jugoslawischen wissenschaftlichen Zusammenarbeit. So schrieb er: „Endlich die Instituts Pläne. Hier habe ich gleichzeitig bei Slobodan Jovanović, Stanoje Stanojević und unserem Gesandten Köster357 die Fragen berührt; dasselbe will ich auch bei Šisić358 und Manojlović in Agram tun. Bisher waren alle sehr für den Gedanken eingenommen, hielten aber die Zeit noch nicht für reif. Näheres mündlich.“ In einem späteren Brief an Babinger vom 09.12.28 bezeichnete Reiswitz das für Berlin angeregte Institut als „Balkan-Institut“, ohne allerdings auf Einzelheiten einzugehen.

      Der gewählte Terminus „Balkan-Institut“ erinnnert an das 1919 gegründete interdisziplinär arbeitende „Oriental Institute“ der Universität von Chicago. Für dieses Institut führte seit 1926 der deutsche Archäologe Hans Henning von der Osten (1899–1960) eine archäologische Bestandsaufnahme Anatoliens durch, bestehend aus vier großen Forschungsreisen in die Türkei, insbesondere, um das Volk der Hethiter zu erforschen: „A thousand questions arose … one of the most important being that of the racial connections of the groups of peoples commonly called ‘Hittites’. The fact that at least one of their languages was Indo-European in character connects them with our own ancestry and invests them with a peculiar interest for us“.359 Konnten die Hethiter in einer ähnlichen Rolle als Kulturbringer von West nach Ost gesehen werden, wie Schuchhardt die indogermanischen Illyrer als Brücke zwischen Nordeuropa und dem Balkan ansah?

      In Reiswitz’ Tagebucheintrag vom 08.05.1929 ist ein Treffen von Reiswitz mit von der Osten in Berlin belegt. Doch wird dies nicht die einzige Zusammenkunft der beiden gewesen sein, was jedoch nicht verifizierbar ist, da die Tagebuchaufzeichnungen von Reiswitz vom 01.04. bis 03.05. fehlen. Am 06.05. befasste sich Reiswitz laut Tagebuch mehrere Stunden lang mit den „Kulturzusammenhängen im alten Orient“ und schickte einen Brief an den amerikanischen Archäologen Carl Blegen (1887–1971), der zu diesem Zeitpunkt seit zwei Jahren den Lehrstuhl für klasssische Archäologie an der Universität von Cincinnati innehatte. Dort heißt es in etwas holprigem Englisch – seine Oxfordstudien mit Jeanne Doe lagen immerhin schon vier Jahre zurück: „Dr. v. d. Osten … to whom I showed a plan for a systematic archeological [sic] survey of the Balkan-peninsula, told me that I should adress [you] on this behalf. I am already working several years on problem … The project which I have is similary [sic] to the survey of Anatolia now conducted by the Oriental Institute.“ Er bittet dann Blegen um ein persönliches Treffen, zumal Blegen ein „expert especially for the earlier pottery of the Balkan“ sei.360 Eine Antwort Blegens ist leider nicht überliefert. Der Brief und das Treffen mit von der Osten zeigen jedoch deutlich Reiswitz’ fortgeführtes Interesse nicht nur an den Bogumilen, sondern auch an der Vorgeschichte der Beziehungen des Balkans mit dem Rest Europas.

      Woher aber stammte die Idee der Gründung eines „Instituts“ für Balkanstudien? Offenbar hatte Babinger in einem vorausgegangen Brief eine „Arbeits-Gemeinschaft“ als Vorläufer einer solchen Institutsgründung angeregt, eine Idee, die Reiswitz für „glänzend“ hielt. Involviert darin sollte Babingers Ansicht nach auch Konrad Schünemann (1900–1940) sein. Der in Berlin geborene Schünemann hatte dort 1922 – zur gleichen Zeit wie Reiswitz – seine Promotion über „Die Deutschen in Ungarn bis zum 12. Jahrhundert“ abgeschlossen. Während der Wirren 1918/1919 hatte er als Zeitfreiwilliger in der Berliner-Garde-Kavallerie-Schützen-Division im Kampf gegen Spartakisten gedient.361 Anders als dem gleichaltrigen Reiswitz war es Schünemann aber schon frühzeitig gelungen, akademisch Fuß zu fassen. Seit 1927 war er in Berlin Privatdozent für Geschichte. Ein Jahr zuvor hatte Reiswitz zu Schünemann Kontakt aufgenommen, welcher ihm von dem Historiker Otto Hintze als jemand empfohlen worden war, der sich in Berlin mit Balkangeschichte befasste.362

      Die Beteiligung von Schünemann hielt Reiswitz zumindest in der Gründungsphase der Arbeitsgemeinschaft bzw. des Instituts für keine gute Idee – Babinger habe ihn „mit Schünemann … einen kräftigen Schrecken eingejagt“, da Schünemann den Gedanken verfolge, ein „ungarisches Institut als Urzelle“ eines Balkan-Instituts zu wählen, was laut Reiswitz bei den Südslawen für „wenig Sympathien“ sorgen würde. In der Tat stand zu dieser Zeit Schünemann dem Deutsch-Ungarischen Institut in Berlin vor. Auf der anderen Seite begrüße Reiswitz aber durchaus einen friedlichen wissenschaftlichen Wettbewerb zwischen Schünemann und ihm selbst, wozu ihm auch bereits im Februar 1928 Hoetzsch geraten habe. Bei einem solchen Wettbewerb, soviel scheint klar, war aus der Sicht des Jahres 1928 Schünemann allein aufgrund der Tatsache im Vorteil, dass er sich 1927 bereits habilitiert hatte.

      Babinger hingegen dämpfte unmittelbar darauf Reiswitz’ Aktionismus. Am 11.12.28 erklärte er klipp und klar in einem Brief an den letzteren: „Von einer Gründung der Arbeitsgemeinschaft kann gar keine Rede sein in der nächsten Zeit. So wenigstens beurteile ich die Sachlage.“ Doch mit diesem Urteil lag Babinger falsch.

      Etwas mehr als ein halbes Jahr später erwähnte Reiswitz Ende Juli 1929 in einem Brief an Böckschen363, dass er sich mit Schünemann im Romanischen Café in Berlin, einem von Reiswitz


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