Johann Albrecht von Reiswitz (1899–1962). Andreas Roth

Johann Albrecht von Reiswitz (1899–1962) - Andreas Roth


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im Banater Dorf Izbischte unweit der Stadt Werschetz314 geboren, wo er auch die Grundschule besuchte. Seine Reifeprüfung bestand er in Neusatz im Jahre 1912. Nachdem er ein Jahr in Budapest Medizin studiert hatte, schrieb er sich 1914 in Wien im Fach Philosophie ein. Kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde er wegen großserbischer Propaganda, „to jest zbog pevanja pesama koje slave srpski narod i podstiču ga na borbu protiv Austrougara“315 („das heißt wegen des Absingens von Liedern, die das serbische Volk feiern und es zum Kampf gegen die Österreich-Ungarn auffordern“), in Haft genommen, aus welcher er erst im September 1915 entlassen wurde. Kurz danach wurde er zur ungarischen Armee eingezogen und kam in Galizien zum Einsatz. Im Frühjahr 1916 geriet er in russische Gefangenschaft und wurde nach Kiew verbracht. Im Juni desselben Jahres wechselte er die Seiten und trat einer in Odessa aufgestellten serbischen Freiwilligenformation bei, mit der er bis 1919 unter anderem in der Dobrudscha zum Einsatz kam. Nach der Oktoberrevolution gelangte er über Sibirien und die Mandschurei nach Korfu. Nach Kriegsende ging Jovančić auf Kosten der serbischen Regierung nach Frankreich, wo er in Grenoble 1922 sein erstes Staatsexamen in den Fächern Chemie, Botanik und Zoologie ablegte. Nach seiner Rückkehr auf den Balkan im selben Jahr arbeitete er zunächst als Referendar und nach dem Bestehen der Staatsprüfung im September 1928 als Lehrer am Ohrider Gymnasium. In Ohrid gründete er ein Jahr später den Gesangsverein „Biljana“, für welchen er auch eigene Stücke komponierte. Auch seine Frau Bosiljka unterrichte am Ohrider Gymnasium die Fächer Zeichnen und Schönschrift. Sie wurde allerdings 1928 von ihrem Direktor getadelt „zbog nedovoličnog ponašanja“ („wegen unangemessenen Verhaltens“). Auch Jovančić selbst fiel in Ungnade, weswegen er 1929 nach Belgrad wechselte, um an einer Jungenschule zu arbeiten.316 Im Jahre 1933 veröffentlichte er eine Monographie über die Urgeschichte des Menschen.317 Nach dem deutschen Angriff auf Jugoslawien wurde Jovančić eingezogen, geriet aber am 13. April 1941 in italienische Kriegsgefangenschaft.318 Erst im Juni 1945 kehrte er nach Belgrad zurück, wo er seine schulische und später auch universitäre Lehrtätigkeit wiederaufnahm. Im Jahre 1960 promovierte er im Fach Biologie und wurde im selben Jahr pensioniert. Er verstarb kinderlos 1977 in Belgrad.

      Zurück ins Jahr 1928. Reiswitz ließ sich von Jovančić Gradište persönlich zeigen und machte mehrere Fotos. Diese Fotos zeigen Mauerreste, die Reiswitz „mit 90%tiger Sicherheit [auf] eine archaische Siedlung mit Resten von Zyklopenmauern“ schließen ließen. Die Lage des Ortes in Zusammenhang mit den Arbeiten von Filow brachten ihn dazu, den Schluss zu ziehen, dass „ein systhematisches Nachgraben … zu sehr interessanten und wichtigen Ergebnissen führen müsste.“

      Doch wies Reiswitz Petković darauf hin, dass dieses Fazit vertraulich zu behandeln sein: „Denn Sie und ich haben uns darüber geeinigt, dass die Durchforschung der Umgebung des Ohrid Sees … für eine Deutsche Koncession nach Möglichkeit gewonnen werden soll.“

      Neben Gradište hatte Reiswitz 1928, so ist dem „Mündlichen Bericht“ zu entnehmen, bereits andere Altertümer in und um Ohrid „durchforscht“. Zunächst war ihm aufgefallen, dass es keinerlei Inventar der geistlichen Bauwerke am Ohridsee gab. Auch der Reiseschriftstellerin Rebecca West (1892–1983) war der schlechte Zustand der Sakralbauten in Ohrid aufgefallen: „Almost every Orthodox church looks as if the removal men have been at work on it, and that they have been inefficient.“319 Dies hatte, so Reiswitz, zur Folge, dass immer mehr Kunstwerke „durch Barbarei der Geistlichkeit oder Unachtsamkeit zerstört werden.“ Und für Ersteres bot er Petković auch ein konkretes Beispiel.

      In der Nähe der Bahnstation Podmolje, nördlich von Ohrid, befand sich laut Reiswitz nicht weit von einem kleinen Bauernhof ein im Juni 1928 „frisch eingefasster“ Brunnen. Bei den Ausschachtungsarbeiten hatten die Bauern fast zwei Meter hohe Mauerreste entdeckt, dazu Dachziegel und einen „noch gut erhaltenen Altar“, ferner Scherben, Nägel, Brandschutt und ein „unbestattetes Skelett“. Reiswitz schloss daraus, dass es sich um eine Kapelle gehandelt haben musste, die vielleicht bei einem plötzlichen Überfall niedergebrannt worden war. Wäre ein Fachmann hinzugezogen worden, hätte man bestimmt auf weitere „Überraschungen“ stoßen können. Aber niemand anderes als der „Erzbischof“ selbst hatte für „eine rasche Zerstörung der Reste gesorgt“. Bei diesem Kleriker handelte es sich um Nikolaj Velimirović (1881–1956), der seit 1921 sein Amt in Ohrid bekleidete. Er hatte in der Schweiz und in England studiert, wandte sich aber nach dem Ersten Weltkrieg vom Westen ab. Einige Jahre nach Reiswitz lernte auch Rebecca West Bischof Nikolaj kennen: „He struck me … as the most remarkable human being I have ever met, not because he was wise or good … but because he was the supreme magician.“320 Bis heute ist Nikolaj unter anderem wegen vermeintlicher antisemitischer Äußerungen und seiner Nähe zu autoritären Regimen sehr umstritten: „In his post-1920 literary output, Velimirovic frequently invoked the image of Jews as murderers of Christ and a satanic people who betrayed God.“321

      Für Reiswitz war der Bischof allerdings weniger ein Verräter Gottes als ein Verräter am Denkmalschutz. Nikolaj, so Reiswitz, „fände diese Sorge überflüssig, denn es gäbe um Ochrida herum noch so viele Kapellen und Kirchen, dass es auf eine mehr oder weniger nicht ankäme. Im übrigen wisse er, was seine Bauern wollten und das wäre: eine neue Kirche an Stelle der alten.“

      Und so geschah es laut Reiswitz, dass die alte Kirche vollends dem Brunnenbau zum Opfer fiel, sodass nunmehr eine Ziegenherde allabendlich „fröhlich über die letzte Mauerreste“ setzte, während die Bauern begonnen hatten „oben am Berge“ eine neue Kapelle zu bauen, „um vom Bischof belobt zu werden“.322

      Ein historisches Denkmal war für immer verloren gegangen, ohne jegliche Dokumentation. Lediglich in der mündlichen Überlieferung lebte die Kapelle fort. Eine alte Frau erzählte Reiswitz, dass die Kapelle „Sveti Nikola“ hieße und durch die Türken zerstört worden sei. Ihre Großmutter wiederum habe ihr erzählt, dass die Umgebung der Kapelle einst so dicht besiedelt gewesen sei, dass „an einem Tage 99 Hochzeiten gefeiert wurden.“ Natürlich war sich Reiswitz im Klaren, dass dieses wohl übetriebene Zahlen waren, doch betonte er, dass auch bei einem Wahrheitsgehalt von nur zehn Prozent solche oralen Überlieferungen „eine Fülle von Aufschlüssen und Fingerzeigen zu geben vermögen.“ Derartige Hinweise aus der Bevölkerung müssten systematisch verfolgt und dokumentiert werden, da sonst in wenigen Jahren alles „versiegt“ sein würde.

      Mit dieser hellsichtigen Bemerkung kann Reiswitz als Vordenker des klassischen Philologen Milman Parry (1902–1935) gelten, der von 1933 bis zu seinem tragischen Unfalltod323 Jugoslawien bereiste und dort die Texte von fast 13.000 Volksliedern in achthundert Notizbüchern sammelte, welche er später der Harvard Universität hinterließ.324

      Doch Reiswitz’ Bericht über die den Ziegen überlassene Kirche blieb nicht ohne Wirkung. Am 01.02.1930 berichtete die Zeitung „Vreme“ über die von der orthodoxen Kirche mitverursachte Vernichtung von Kulturdenkmälern am Ohridsee. Dazu zitiert wurde ausführlich Petković, der mit einigen konkreten Beispielen aufwartete. Er erwähnte eine persönliche Zusammenkunft mit einem „angesehenen Deutschen“ in Berlin, welcher ihn auf eine „zufällig gefundene Kirche bei Podmolje“ hingewiesen habe, welche von Bauern ausgegraben wurde, die die Genehmigung dazu von ihrem Bischof bekommen hätten. Obwohl Petković Reiswitz namentlich nicht erwähnt, steht außer Frage, dass er sich hier auf eben diesen berief.325 Daraufhin wandte sich am 06.02. das Büro des Bischofs an die Redaktion von „Vreme“ mit einer Richtigstellung, welche das Blatt in seiner Ausgabe vm 10.02.30 veröffentlichte. Darin hieß es, dass der Bischof keineswegs seine Erlaubnis zur Ausgrabung der Kapelle gegeben habe, sondern dass die Bauern beim Brunnenbau zufällig auf deren Mauern gestoßen seien und dann weitergegraben hätten.326

      Neben der Kapelle Sveti Nikola erwähnte der besorgte Reiswitz dann Petković gegenüber noch zwei Marmorreliefs, die herrenlos im Glockenturm der Sveti-Kliment-Kirche herumstünden,327 und ein großes Fußbodenmosaik, welches neben einer Kirche im Ort Veleste, „unter dem Mist“ eines Bauerhofes, dem Verfall preisgegeben sei. Ferner wies er darauf hin, dass die Befestigungsmauern von Ohrid und die darin eingelassenen Einzelbauwerke weitgehend unerforscht seien und sich in großer Gefahr befänden, da einerseits bereits die Besitzer von fast hundert Wohnhäusern sich mit Steinen


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