Johann Albrecht von Reiswitz (1899–1962). Andreas Roth

Johann Albrecht von Reiswitz (1899–1962) - Andreas Roth


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Stadt Heracleia Lynkestis bei Bitola, wo ein Park mit „Restaurationsbetrieb … und mit Psevaptici [sic]“ eine „der wichtigsten Siedlungen der ausgehenden Antike … ohne jede Durchforschung zum weitaus größten Teil restlos vernichtet“ wurde.

      Ende Juni 1928 verließ das Ehepaar Reiswitz Ohrid und blieb zunächst drei Tage in Bitola. Vom 28.–30.06. besuchten die beiden zusammen Thessaloniki, und vom 02.–05.07. stand Athen auf dem Programm. Dort trennten sich die Wege, da Böckschen direkt über Dubrovnik nach Sarajevo reiste, während Reiswitz erst nach Belgrad zurückkehrte, um dann Mitte August selbst in Sarajevo einzutreffen.

      Der Reiswitz’sche Jugoslawienaufenthalt 1928 ist im Nachlass reich mit Fotos belegt. Den Motiven und vereinzelt auf der Rückseite angebrachten Angaben ist zu entnehmen, dass u.a. Dubrovnik, Trebinje, Kotor und Mostar – nebst der nahe gelegenen Bunaquelle in Blagaj mit dem dort befindlichen Derwisch-Kloster – besucht wurden. Auf einigen der Ablichtungen sind Bogumilengräber erkennbar. Die meisten Bilder zeigen aber Szenen aus Sarajevo, so zum Beispiel Menschen beim Straßenfest zu Anlass des orthodoxen Kirchenfestes Mariä Geburt im September.

      Kurz zuvor hatte ein gemeinsamer Autoausflug mit Wendel stattgefunden, welcher auch auf einigen der Fotos abgelichtet ist. Am 22.08.1928, aus Sarajevo schreibend, bedankte sich Reiswitz bei Wendel für die „Auto-Einladung“, die „mitten in der Sarajevo-Zeit als die grosse und angenehme Unterbrechung sitzt.“ Reiswitz sprach von einer „unglaublich schönen Fahrt“ und kündigte an, dass er Wendel „ein paar recht gut geglückte Aufnahmen zuschicken“ werde.

      Im selben Brief erwähnte Reiswitz, dass ihn auch der pensionierte General Friedrich von Taysen (1866–1940) in Sarajevo besucht habe: „Wir tranken einen Abend lang kernigen Rotwein“. Taysen hatte ein Jahr zuvor eine Schrift unter dem Titel „Das jugoslawische Problem“ herausgebracht, in welcher er auch Wendel nannte, genauer gesagt dessen Übersetzung des Buches von Stanojević über das Attentat von Sarajevo.328 Taysens 120 Seiten schmaler Band wurde positiv besprochen von Kurt von Regenauer (1888–1945), der zu dieser Zeit als Archivrat (höherer Dienst) im Reichsarchiv in Potsdam tätig war und als Balkanexperte galt, und von Mai 1941 bis Dezember 1943 in Belgrad als Beauftragter des Chefs der Heeresarchive für den Südosten329 dienstlichen Kontakt mit Reiswitz als Kunstschützer pflegen sollte: „Das für weitere Kreise bestimmte Buch ist von überragender neutraler Warte geschrieben“.330 Taysen meldete sich bei Reiswitz am 09.10.28, von Belgrad aus postlagernd an das deutsche Konsulat in Sarajevo schreibend. Er teilte Reiswitz mit, dass seine Frau und er von Sarajevo aus nicht wie geplant nach Ohrid gefahren waren, sondern zunächst Skopje besuchten, wo sie „wanzenfrei“ auf Reiswitz’ Empfehlung im Hotel Bristol übernachteten, um dann das Amselfeld zu besichtigen, wo der General a.D. „die Bataille von 1389 studierte“.

      In Sarajevo ist davon auszugehen, dass sich Böckschen und Reiswitz mit der bekannten Bildhauerin Iva Despić (1890–1961) trafen. Reiswitz selbst hatte Despić bereits 1924 in ihrem Atelier kennengelernt.331 Sie war die Tochter des österreich-ungarischen Generals Julius Simonović und in Agram aufgewachsen. Einem Brief Reiswitz’ an Böckschen nach aus dem Jahre 1929 hatte Iva als „ganz junges Mädchen jahrelang dem gefangenen Pribicevic332 Essen ins Gefängnis geschmuggelt“. Im Jahr 1920 heiratete sie den Sarajever Unternehmer Aca Despić und zog nach Sarajevo.333 Aus zwei Briefen Reiswitz’ nach der Beendigung seines Sarajevoaufenthaltes 1928 an Iva Despić geht die enge Beziehung hervor. Er erkundigte sich nach ihren Kindern, ihrem Ehemann und der Katze und dachte mit Freuden an die „letzten Besuche abends, während der Corso-Zeit“ zurück, als man gemeinsam „auf eine Cigarette, einen Café“ ging. In diesem Brief erwähnte Reiswitz auch einen gemeinsamen Freund: Slobodan Jovanović, „für mich den liebenswürdigsten aller Südslawen“, dessen Grüße er Despić übermittelte. Anfang Januar 1930 schrieb Reiswitz erneut an Despić, diesmal von Pasing aus, „mitten im schönsten Weihnachtsschnee“. Er führte an, dass er in Belgrad alles erreichte, was er sich vorgenommen hatte, und teilte ihr mit, dass er „in Südslawien heute einige wirklich gute Freunde“ habe.

      Die Freundschaft zwischen Iva Despić und dem Ehepaar Reiswitz blieb erhalten. Am 13.05.1932 schrieb sie an Reiswitz und bat ihn, sie doch in Sarajevo zu besuchen, wo sie sich im Stadtteil Vasin Han „ein kleines Häuschen“ gebaut habe „mit einem ziemlich großen Atelier.“ Auf ihrer Jugoslawienreise 1928 wohnte das Ehepaar Reiswitz in der osmanischen Villa der Despić, mitten im Herzen Sarajevos. Heute ist in dem Anwesen das bosnische Literatur- und Theatermuseum untergebracht. Auf einer zeitgenössischen Fotografie des Hauses im Nachlass hat Reiswitz „unser Apartement“ mit einem Kreuz gekennzeichnet. Ein Jahr später, am 11.12.33, schlug Reiswitz in einem Brief an seine Frau vor, Iva über Weihnachten auf den Oedhof ins Chiemgau einzuladen.

      Kurz vor Kriegsausbruch mit Jugoslawien dann änderte sich die Lage. Im Frühjahr 1941 war Reiswitz besorgt um Iva: „Wenn wir blos nicht über Südslawien herfallen.“ Am 14.07.41 schrieb er, dass er „viel an Iva“ denken musste. Zwei Wochen später war er immer noch ohne Nachricht aus Sarajevo. Am 22.09.41 richtete Iva Despić ein Hilfeersuchen an Böckschen. Sie erwähnte das „grosse Unglück“, das sie heimgesucht habe. Unter anderem nannte sie den Krieg, der für sie ein „vollkommenes Debakel“ sei. In ihrem Haus seien 70 Evakuierte. „Wir sind nicht sicher für unser Leben, die Serben sind dauernd verfolgt, maltretiert wie die Juden.“ Dieser Brief erreichte Reiswitz in Belgrad und er entschied, sofort zu handeln. Am 20.12.41 bat er den SS-Sturmbannführer und Zahnarzt Dr. Ernst Weinmann (1907–1947334) herauszufinden, ob die Freundin noch am Leben ist und ob die „Möglichkeit besteht, sie aus Kroatien herauszubringen. Und weiter ob besser ins Reich oder nach Serbien“. Weinmann antwortete am 12.01.42 und teilte Reiswitz mit, dass sich Despić in Sarajevo aufhielte, allerdings „wenig Lust“ zeige, Sarajevo zu verlassen. Darüber war Reiswitz etwas pikiert und schrieb am 25.03.42 an Böckschen, dass er nichts weiter unternehmen könne, „wenn sie selbst nichts tun will, sondern gottergeben jammert“. Am 29.06.42 informierte er Iva Despić dann aber darüber, dass sie jederzeit zu seiner Frau in den Chiemgau kommen könne. Er bot auch die Hilfe seiner Dienststelle für eine Übersiedlung an. Am 31.03.43 teilte er Böckschen wieder mit, dass er „an Iva Despić in Sarajevo denke … aber bisher noch niemanden finden konnte, der hinfuhr.“ Zwei Monate später erreichte ihn dann endlich ein Brief von Iva vom 28.05.1943, den ihm ein Gefreiter Horst Reuther, der Despić in Sarajevo kennengelernt hatte, überbrachte. Sie äußerte darin lediglich knapp ihre Sorge um das Wohl von Böckschen, Reiswitz’ Sohn und Tilla Bethusy-Huc und ließ Reiswitz wissen, dass sie „am Lande“ lebe.

      Dort hielt sie auch bis Kriegsende aus. Allerdings wurde sie im Juni 1945 als Royalistin verhaftet. Darauf hatte ironischerweise bereits Reiswitz in seiner Bitte an Weinmann hingewiesen, allerdings in diesem Fall, um seinen Einsatz für sie zu rechtfertigen: „Sie stand der königlichen Familie sehr nahe und hat ihren Einfluss stets im deutschfreundlichen Sinne geltend gemacht.“ Tatsächlich pflegte Iva Despić enge Beziehungen zum Königshaus, fertigte zum Beispiel eine Büste König Aleksandar Karađorđevićs an und erhielt von dessen Frau Marija einst eine Waggonladung Blumen für den Garten ihres 1931 errichteten „kleinen Häuschen“. Nach ihrer Entlassung aus der Untersuchungshaft arbeitete sie weiter, fertigte unter anderem eine Büste von Aleksa Šantić für die Stadt Mostar an, verstarb aber letzlich vergessen und verarmt in ihrem Atelier im Jahre 1961.335

      In seinem ersten Brief an Iva Despić hatte Reiswitz die Zeit in Sarajevo von August bis November 1928 allerdings insgesamt negativ beurteilt: „In 14 Tagen Belgrad habe ich mehr erreicht und gelernt als in 2 Monaten Sarajevo“. In der Tat sind über diese Monate kaum Quellen im Nachlass vorhanden. Aus einem kurzen Briefwechsel mit dem Orientalisten Franz Babinger aus dem Dezember 1928 geht allerdings eine unangenehme Begebenheit hervor, die Reiswitz auf seine Tage in Sarajevo mit wenig Freude zurückschauen ließ. Kurz nach seiner Ankunft lernte er den Historiker und Schullehrer Hamdija Krešeljaković336 kennen, den er in einem Brief an den damaligen deutschen Konsul in Sararevo, Ernst von Druffel (1887–1961), der 1924 die Nachfolge Bethusy-Hucs angetreten hatte und bis 1932 in Bosnien wirkte, als einen „Bruder“ bezeichnete, dem er große Dankbarkeit schulde. Zur selben Zeit weilte Babinger kurzzeitig in Sarajevo, wo dessen Ehefrau mit Baron und Baronin von Reiswitz auf einem Familienfoto


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