Johann Albrecht von Reiswitz (1899–1962). Andreas Roth

Johann Albrecht von Reiswitz (1899–1962) - Andreas Roth


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in deutscher Sprache publiziert.291

      Die Fundstelle liegt rund neun Kilometer nordwestlich von Ohrid, und ca. dreieinhalb Kilometer nördlich der am Seeufer verlaufenden, bereits von Strabo bzw. Polybios erwähnten Via Egnatia. Insgesamt handelt es sich um 258 Gegenstände, wobei die in Grab I und Grab V gefundenen goldenen Masken, 46,7 bzw. 15,9 Gramm schwer, sicherlich die bedeutendsten Fundstücke darstellen, da sie in Form und Größe an die von Heinrich Schliemann (1822–1890) im Mykene entdeckten Masken erinnerten, die allerdings fast 1.000 Jahre älter sind als die von Trebenište. Die Errichtung der Nekropolis am Ohridsee wurde von Filow auf das 7.–5. Jahrhundert v. Chr. datiert. Da die Siedlungsgeschichte des Gebietes um Ohrid, abgesehen von den Aussagen antiker Autoren, die es den Illyrern zuschrieben, unbekannt war, kam Filow aufgrund der griechischen Provenienz der Grabbeigaben zu folgendem Schluss: „Am wahrscheinlichsten scheint mir die Annahme, daß die Gräber von Trebenischte vornehmen griechischen Söldnern angehörten, die ihre Kriegskunst in den Dienst eines einheimischen Fürsten gestellt haben.“292

      Reiswitz erwähnt in einem nicht datierten längeren Brief an Unverzagt, der aber aus dem März 1932 stammen muss, dass er das 1927 erschienene Buch von Filow zum Zeitpunkt seiner Balkanreise 1928 noch nicht gelesen hatte.293 Fest steht aber, dass er am 25.07.29, kurz vor Antritt seiner dritten Balkanreise, anlässlich eines Empfangs des Deutsch-Bulgarischen Clubs in Berlin Filow persönlich kennenlernte, der „das große Buch über den Ohrid See“ schrieb, wie Reiswitz seiner Frau berichtete. In einer sechsseitigen Aufzeichnung, datiert vom April 1929, erwähnte Reiswitz sein „sorgfältiges Studium der Veröffentlichungen Filows“.

      Ansonsten war er von den Bulgaren wenig begeistert: „Sie lachen nicht, sie sind alle unschön, unbeholfen in den Manieren, fanatisch, verschlossen – jedenfalls und sicherlich nicht ein Volk, das man liebet.“294 Mit dem „großen Buch“ kann nur der Trebenište-Band gemeint sein, da Filow vor 1927 keine Monographien über den Ohridsee veröffentlicht hatte.

      Nach Veröffentlichung des Filow-Bandes begann 1930 einer der bekanntesten serbischen Archäologen, Nikola Vulić (1872–1945)295 mit seinen Grabungen am Ohridsee. Im Jahre 1930 entdeckte er ein weiteres Grab, 1932 und 1933 jeweils noch vier. Reiswitz teilte am 15.08.33 Unverzagt mit, dass Vulić „ein weiteres Grab“ in Trebenište entdeckt habe. Wegen eines neuen Fundes in der Steiermark ergebe sich nun, dass die „Bronzemasken [sic] und -handschuhe“ aus Trebenište Illyrergräber bezeugen.

      In der Tat fanden sich wieder goldene Masken, zwei an der Zahl. Vulić datierte die Gräber auf das Ende des 6. Jahrhundert vor Christus. Anders als Filow stand für ihn aber außer Frage, dass es sich bei den Toten um einheimische Illyrer, nicht um griechische Söldner handelte: „Denn das Söldner oder auch Söldnerführer auf einem Kriegszug mit solchem Reichtum bestattet worden wären, ist nicht anzunehmen“.296. Diese These war Reiswitz vor seiner zweiten Balkareise 1928 natürlich noch nicht bekannt, aber in den Folgejahren sollte die Erkenntnis, dass es sich bei den insgesamt sechzehn Gräbern bei Trebenište um ansässige Illyrerfürsten handelte, elektrisierend wirken. Der Nachweis schien führbar zu sein, dass die Nord-Südwanderung, die Kossinna bereits 1902 postulierte und die später von dem von Reiswitz hochgeschätzten Schuchhardt in modifizierter Form aufgenommen wurde, archäologisch belegbar war.

      Wenn die Gräber von Trebenište mit ihren kostbaren Beigaben also die einheimischer Illyrer waren, so stellte sich die Frage nach ihrem Wohnort. Es war zu vermuten, dass irgendwo in der Nähe der Nekropole, wahrscheinlich in Höhenlage, eine Burganlage bestanden haben musste. Es war die Suche nach einer solchen, die Reiswitz dann nach seiner zweiten Balkanreise 1929 den Kontakt zum Deutschen Archäologischen Institut und den zuständigen serbischen Instanzen aufnehmen ließ, um selbst in situ, „auf dem illyrischen Kriegsschauplatz“ mit dem Spaten auf die Suche zu gehen. In „die Quere kommen“ konnte ihm dabei lediglich Nikola Vulić, der dieselbe Intention hatte: „On se demande où se trouvait l`habitat de ces Illyriens, – disons de ses princes, car ils furent fort riches, pour avoir été enterrés avec tant d’objets précieux.“297 Doch keiner der beiden konnte den Wettstreit um die Auffindung der Illyrerburg zunächst für sich entscheiden.298

      Die Suche nach Belegen für die illyrische Wanderung hingegen schien sich einem erfolgreichen Ende zuzuneigen. Der österreichische Archäologe Fritz Schachermeyr (1895–1987), der 1943 und 1944 Reiswitz in Belgrad besuchen würde, schrieb 1939: „In der Wanderungszeit zwischen 1200 und 1000 [v. Chr.] werden dann weitere nichtgriechische Indogermanen nach Hellas gekommen sein, vor allem Illyrer …“299

      Und kaum vier Monate nach Aufnahme seiner Kunstschutztätigkeit in Serbien, die auch die Auswertung bisheriger archäologischer Grabungen und Inventarisierung von Fundstücken umfassen sollte, schrieb der Geschäftsführer des SS-Ahnenerbe Wolfram Sievers (1905–1948) an seinen Vorgesetzten, den Reichsführer SS Heinrich Himmler (1900–1945), die bisherigen Arbeiten Reiswitz’ lobend kommentierend: „Soweit sich bisher überblicken lasse, seien die hier gemachten Funde von entscheidender Bedeutung für den Nachweis der Nord-Süd-Wanderung der Griechen und Illyrer und für die Klärung der ursprünglichen Besiedlung des Balkans überhaupt.“300

      Reiswitz frühe Hinwendung zum Ohridsee ist also zurückzuführen auf sein Interesse an der Frage, ob die These des ex septentrione lux zutraf. Bei der Beweisführung spielten die Illyrer eine zentrale Rolle, deren Zug von Mitteleuropa nach dem Balkan nachzuweisen war. Reiswitz gab in diesem Zusammenhang den politisch weniger vorbelasteten Thesen Schuchhardts klar den Vorzug – Kossinna wurde von ihm mit keinem Wort erwähnt, weder in seiner späteren dienstlichen, noch der privaten Korrespondenz. Seine nach der dritten Balkanreise begonnene, aber nie vollendete, auf mehrere Bände angelegte Geschichte des Balkans nannte er intern stets sein „Illyrikon“. Und in Belgrad sollte er dann schließlich einem leibhaftigen Illyrer begegnen. Am 24.07.42 kam er von einer Dienstreise zurück und suchte am Schiffsanleger in Belgrad nach einem Kofferträger, der sein Gepäck in Richtung Terazije [Straße im Stadtzentrum] bringen sollte. Seiner Frau schrieb er einen Tag später, wer diesen Dienst für ihn verrichtete: „ein strohblonder Bub mit blauen Augen, dessen Eltern die lieben Kroaten umgebracht hatten und der zu Fuß hierher geflüchtet ist, … ein echter kleiner Illyrer aus Dalmatien.“

       2.3. Netzwerkbildung und die zweite Jugoslawienreise 1928

      Von April bis Dezember 1928 hielt sich Reiswitz in Jugoslawien auf. Kurz vor seiner Abreise eröffnete sich allerdings die Gelegenheit, seine seit 1924 vornehmlich autodidaktisch erworbenen Südslawienkenntisse in ein konkretes Beschäftigungsverhältnis umzumünzen. Eine Bekannte seiner Mutter aus Schlesien, die Baronin Ruth von Rother, wies Reiswitz am 15.04.1928 auf eine frei gewordene Assistentenstelle am zehn Jahre zuvor gegründeten Breslauer Osteuropa-Institut hin.301 Die Baronin, eine geborene von Schweinitz und Ehefrau des Rittergutsbesitzers und Verwaltungsbeamten Willy von Rother, hatte bereits mit dem Wirtschaftswissenschaftler Albert Hermann Hesse (1876–1965) gesprochen, der das dortige Institut von 1921 bis 1933 leitete.302 Die Stellung sei zwar „nicht glänzend dotiert“, doch könne sie Reiswitz als „Sprungbrett für die Zukunft“ dienen.

      Zehn Tage später bewarb sich Reiswitz dann tatsächlich bei Hesse. Er verwies auf seine 1922 „mit 23 Jahren“ abgeschlossene Promotion und seinen Wunsch, sich mit einer Arbeit über südslawische Geschichte „möglichst bald“ zu habilitieren. Um seine Vorkenntnisse in Sachen Nationalökonomie hervorzustreichen, erwähnte er seine sechsmonatige Handelskammertätigkeit. Die hilfreiche Baronin hatte Reiswitz bereits wissen lassen, dass er „eine der slawischen Sprachen vollkommen beherrschen müsse.“ Diesen wunden Punkt ging er in seinem Bewerbungsbrief recht geschickt an. „Was die slawischen Sprachen betrifft, so befinde ich mich z.Z. auf einer für mehrere Monate berechneten Reise nach Südslawien, um in erster Linie Serbo-Kroatisch fliessend sprechen zu lernen. Da mir das Erlernen von Sprachen nicht schwer fällt, glaube ich, jede slawische Sprache, auf die das Ost-Europa-Institut wert legt, in relativ kurzer Zeit bewältigen zu können.“ Er kündigte schließlich noch an, von Belgrad aus, wo er am 01.05. eintreffen würde, einen ausführlichen Lebenslauf zu schicken, falls


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