Johann Albrecht von Reiswitz (1899–1962). Andreas Roth

Johann Albrecht von Reiswitz (1899–1962) - Andreas Roth


Скачать книгу
[sic] of Illyrians“274. Gleichzeitig aber identifizierte er auch die Bevölkerung Süddalmatiens, der Herzegowina und Montenegros als direkte Nachfahren der Illyrer. Dubrovnik war für ihn „the fountain-head of Illyrian culture. … This is the sweet interpreter between the wisdom of the ancients and the rude Sclavonic [sic] mind“.275

      Doch die beiden von der Romantik beeinflussten Interpretationen der Illyrer als Ahnen der Südslawen bzw. der Albaner waren nicht die einzigen Reiswitz im Winter 1926/27 verfügbaren Sichtweisen. Im Jahre 1902 hatte der Archäologe und Begründer der „Siedlungsarchäologie“, Gustaf Kossinna (1858–1931), den Aufsatz „Die indogermanische Frage archäologisch beantwortet“ veröffentlicht. Im gleichen Jahr war für ihn eine außerordentliche Professur an der Universität Berlin für „Deutsche Archäologie“ eingerichtet worden.276 Damit wurde er belohnt für seine Theorie, dass „Kulturgebiete“ immer „Volksgebiete“ seien.277 Er stellte die seinerzeit vielfach beachtete und anerkannte Hypothese auf, dass sich „scharf umgrenzte Kulturprovinzen zu allen Zeiten mit ganz bestimmten Völkern oder Völkerstämmen decken“.278 Wenn ein geschulter Archäologe die materielle Überlieferung eines eindeutig definierten Raumes als ein zusammenhängendes Ganzes ansah, so folgte daraus, dass die dort siedelnden Menschen einer bestimmten Volksgemeinschaft oder Ethnie angehörten. Kossinna deutete die archäologische Befundlage der Vor- und Frühgeschichte Europas so, dass um 1.800 bis 1.700 v. Chr. aus Skandinavien einwandernde Germanen die einheimische indoeuropäische Bevölkerung vertrieben, welche dadurch wiederum zu einer umfänglichen Wanderungsbewegung Richtung Südosteuropa genötigt wurde. Zu diesen einheimischen Stämmen gehörten seiner Anschauung nach die Illyrer: „Wir können, glaube ich, vermuthen, dass die Aunjetitzer Gräber [Funde der Aunjetitzer Kultur sind für die frühe Bronzezeit von Sachsen-Anhalt bis Niederösterreich dokumentiert] … auf die Anfänge der illyrisch-griechischen Stämme zurückgehen, die bald die Donau insgesammt überschritten und im ferneren Verlauf der Bronzezeit sich immer weiter südlich ausdehnten.“279 Diese These fiel naturgemäß bei all jenen auf fruchtbaren Boden, die die bis dahin vorherrschende Theorie, dass sich die vor- und frühgeschichtliche Kulturprogession in Europa von Osten nach Westen vollzogen habe – ex oriente lux – nicht teilten und im Gegensatz dazu zu belegen versuchten, dass es Völker aus dem Norden Europas waren, die den Süden, insbesondere Griechenland, kulturell befruchteten – ex septentrione lux.280 In Kossinnas Worten: „Um 2000 [v.Chr.] verbreiteten sich von der Saale und Elbe her Stämme nach Böhmen, Mähren, Niederösterreich (Aunjetitzer Typus), aus denen unmittelbar die Illyrer und Griechen hervorgingen.“281

      Etwas anders akzentuierte der Archäologe Carl Schuchhardt (1859–1943) die Vorstellung, dass die Illyrer ihre Wurzeln in Mitteleuropa hätten. Schuchhardt wurde 1908 zum Direktor der Vorgeschichtlichen Abteilung des Museums für Völkerkunde in Berlin bestellt und bekleidete diesen Posten bis zu seiner Pensionierung 1925. Sein Nachfolger wurde Wilhelm Unverzagt (1892–1971), den Reiswitz einige Zeit später persönlich kennenlernen sollte und mit welchem er 1931 mit den Grabungen am Ohridsee beginnen würde, im selben Jahr, als das Völkerkundemuseum sich als Staatliches Museum für Vor- und Frühgeschichte neu konstituierte. Unverzagt hatte eine „besondere Nähe“282 zu Schuchhardt, welcher ihn beruflich gefördert hatte. Schuchhardt betrieb, anders als sein Kollege und Kontrahent Kossinna, keine politisch motivierte „völkische Vorgeschichtsforschung“283. Er vertrat – veröffentlicht allerdings erst 1937 – die Meinung, dass die Illyrer aus einer Vermischung von Germanen der Lausitz-Kultur hervorgegangen seien, welche sich auf ihrer Südwanderung mit neolithischen Völkern im Donauraum (den „Urillyrern“) vermischten, um dann ihren Weg gen Süden als Illyrer fortzusetzen.284

      Nach seiner Rückkehr von der zweiten (1928) und dann dritten Balkanreise (1929) begann Reiswitz mit seinem intensiven Studium des Schuchhardt’schen Opus, auf dessen Wichtigkeit für sein eigenes archäologisches Verständnis er im Mai 1933 in einem Brief an Unverzagt einging: „Die ungestörte Zeit hier benutze ich auch dazu, Schuchhardts sämtliche Werke eingehend durchzulesen und durchzuarbeiten. Nie hätte ich gedacht, dass man so viel davon als Historiker brauchen kann.“ Am 19.06.33 vermerkte er in seinem Tagebuch, dass er Schuchhardts 1928 in Erstauflage erschienene „Vorgeschichte von Deutschland“285 seit dem 24.04. „zwei Male sorgfältig durchgearbeitet“ habe. Ab dem 12.07.33 las er Schuchhardts „Alteuropa“, welches 1919 zum ersten Mal erschienen war.286 In dieser Ausgabe geht Schuchhardt bereits auf die Wanderungsproblematik der Indogermanen ein: „Mit unserer ganzen archäologischen Grundlage gewinnen wir ein etwas anderes und vor allem bestimmteres Bild von der Indogermansierung Europas als es bisher gezeichnet oder vermutet wurde. An eine Heimat der Indogermanen in Zentralasien kann ein und für allemal nicht mehr gedacht werden.“287 Reiswitz hatte bereits die zweite Auflage von 1926 zur Hand, welche sich, reich mit Anstreichungen versehen und mit präzisen Datierungen, aus denen hervorgeht, wann Resiwitz welche Kapitel gelesen hat, im Nachlass befindet.288 In dieser hatte Schuchhardt neueste Forschungsergebnisse eingearbeitet und diese „zu runderen Bildern“ zusammengeschlossen. In den Kapiteln 6 bis 9 widmete er sich der „nord- und mitteleuropäischen“ Stein- und Bronzezeit, sprach von der „indogermanischen“ Entwicklung und verfolgte diese „in ihrer Ausbreitung gegen Südosten, bis nach Asien hinein.“ In den Kapiteln 10 bis 12 schließlich stellte er dar, wie die „west- und südeuropäische Entwicklung, die vorindogermanische“, die er in den Kapiteln 1 bis 5 behandelt hatte, und die „indogermanische“ sich „auf dem Balkan treffen und das Griechentum erzeugen und wie aus dessen früheren und späteren Phasen ein Rückstrom der Kultur donauaufwärts sich entwickelt – jener Rückstrom, aus dem die Wissenschaft so lange den Glauben gesogen hat, als ob dieser Einfluß auch in den früheren dunkleren Perioden schon vorhanden gewesen wäre und das ‚ex oriente lux‘ überall zu gelten hätte.“289 Nach Schuchhardts Interpretation des archäologischen Befundes war der Kultureinfluss von Osten in Richtung Westen also lediglich eine Art Reflux eines früheren Kulturtransfers ex septentrione, aus dem indogermanischen Norden.

      Am 13.07.33 vermerkte Reiswitz: „Um das illyrische Problem: Jetzt Schuchhardts Alteuropa in 12 Wochen nebenher bewältigen.“ Danach beabsichtigte er, sich Schuchhardts „Burgenbuch“ vornehmen.290 Am 01.08. hat er „Alteuropa“ ebenfalls zweimal gelesen und resümierte: „Was ich an Schuchhardt gelernt habe ist gar nicht zu sagen“. Am 02.08. kaufte er das „Burgenbuch“ und verbrachte bis zum 10.08. die meiste ihm zur Verfügung stehende Zeit – er wohnte im Sommer 1933 auf dem 1932 erworbenen Oedhof in Eisenärzt im Chiemgau – mit dessen Lektüre. Dass für Reiswitz eine Verbindung bestand zwischen der Beschäftigung mit den Illyrern und deren vermeintlicher Wanderung in Richtung Balkanhalbinsel und dem Gebiet um Ohrid geht – wenn auch nicht kristallklar – aus seinem Tagebucheintrag rückblickend auf die Zeit vom 14.07. bis 01.08.33 hervor: „Ich stehe seit etwa drei Wochen unter einem inneren Zwang, der dauernd und fortgesetzt an Ohrid denkt, der mich treibt meine Vorarbeiten für Ohrid zu beschleunigen und in mir eine unbestimmbare Gewissheit erzeugt, in Ohrid sei etwas los, man komme mir dort in die Quere. Wissenschaftlich sind diese 19 Tage eine einzige rasche Vorbereitung der Abwehr und der Abwehr durch Offensive auf dem illyrischen Kriegsschauplatz.“

      Doch wer wollte ihm 1933 auf dem „illyrischen Kriegsschauplatz“ in Ohrid „in die Quere“ kommen? Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir uns nochmals mit Reiswitz’ usprünglicher Motivation in Bezug auf Ohrid befassen, „die jenseits des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts noch völlig dunkle Geschichte des nordwestlichen Balkans durch gründliche Erforschung des Ohrid-Gebietes mit dem Spaten anzugreifen“.

      Am 20.05.1918 stießen bulgarische Soldaten bei Straßenausbesserungsarbeiten auf ein Grab mit verschiedenen Beigaben, zu denen neben Gefäßen auch zwei Helme und eine goldene Maske gehörten. In den nächsten Tagen wurden in der unmittelbaren Umgebung noch vier weitere derartige Gräber ausgegraben, in denen jeweils ein Krieger beigesetzt war. Das Nationalmuseum in Sofia wurde benachrichtigt und sämtliche Funde dorthin verbracht. Im Jahre 1927 erst wurden die Funde von Bogdan Filow (1883–1945), Professor an der Universität Sofia und damaliger Direktor des Bulgarischen Archäologischen Instituts, zusammen mit Kar[e]l Schkorpil (1859–1944), Gymnasialprofessor und Direktor des Archäologischen Museums in Varna am Schwarzen


Скачать книгу