Und ich gab ihm mein Versprechen. Rainer Stoerring
Nebenwirkungen sind temporär zu sehen. Die vergleichbar größten Heilungserfolge sind mit der Totaloperation zu erzielen. Die meisten Erfahrungen konnten bisher in einer kombinierten Radio-Chemo-Therapie gewonnen werden. Auf Kenntnisse der Behandlung durch Injektion kann aktuell nicht zurückgegriffen werden. In jedem Fall aber haben alle Methoden einen schulmedizinischen Hintergrund.«
»Also, eine Totaloperation möchte ich nicht. Ich habe keine Lust den Rest meines Lebens mit einem Beutel herum zu laufen. Soll ich denn jedem meine Krankheit offen vor Augen führen? Nein, dieser Gedanke ist mir der Unliebsamste. Die Behandlung durch Injektion kann ich nicht genau nachvollziehen. Keine Ahnung, was da in das Karzinom gespritzt werden soll. Die Chemo-Therapie ist ja eine bekannte Sache. Man hat da schon so viel gehört. Die Haare fallen einem aus. Man ist ständig müde und nimmt so viel ab.«
»Dann bleibt ja gar nichts mehr übrig«, unterbrach meine Mutter ihn.
»Mutter, er hat doch erst mal nur aufgezählt, über was er nachgedacht hat. Das sich der Krebs nicht einfach so auflöst, ist ihm auch klar.«
»Vielleicht muss er auch gar nichts machen. Bei so vielen Männern wurde schon die Prostata operiert. Bisher habe ich bei noch keinem mitbekommen, dass sie dort Krebs gefunden haben. Es kann ja sein, dass dein Vater auch keinen Krebs hat.«
Schönreden. Wieso beginnt sie die Sache schönzureden? Ein Thema, mit dem man sich bisher nicht befassen musste. Ein Befund, der für einen selbst unvorstellbar war. Wir fliehen lieber als dass wir uns damit auseinandersetzen. Ungeachtet der Tatsache, dass die Realität so ist, wie sie ist. Wir rennen einfach weg. Wie sicher ist aber doch, dass sie uns einholen wird. Wie gerne übergibt man dem Wunsch die Regentschaft über die Gedanken. Wie gerne manipuliert man sich doch selbst. Wie einfach lassen sich Probleme damit lösen. Der Weg des geringsten Widerstandes ist so einfach zu bestreiten. Allerdings können wir auf diesem nicht der Wahrheit einer Sache entkommen. Real existierenden Dingen können wir nur real gegenüber treten. Doch die Hoffnung stirbt zum Schluss. Meine Mutter ist ein Mensch, der nicht die Konfrontation scheut. Hier stößt sie an ihre Grenzen. Das ist ihr bewusst. Sie ist hilflos.
Ich schaute sie an.
»Wäre dem nur so. Nichts hätte ich im Moment lieber an Wissen als das. Wir können den Befund in Frage stellen. Das Karzinom wurde rein zufällig entdeckt. Ein sogenannter Nebenbefund. Selbst wenn es bei der Operation nicht um das Auffinden dessen ging, wurde es festgestellt. Professor D. praktiziert schon sehr lange. Seine Erfahrung möchte ich nicht anzweifeln.«
»Das sage ich ja nicht. Aber es könnte doch sein.«
»Verschließe nicht die Augen vor der Wahrheit. Vater, was meinst du denn dazu?«
»Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Die Ärzte haben etwas gefunden. Sie konnten es identifizieren. Es ist ein Karzinom. Worin sollen sie sich irren? Natürlich wäre mir ein Irrtum das Liebste.«
»Möchtest du eine zweite Untersuchung vornehmen lassen? Professor D. sagte, dass dem nichts im Wege stehen würde.«
»Ich weiß nicht. Diese ganze Operation noch einmal. Das will ich nicht. Es ist eine nicht gerade angenehme Sache. Wer weiß, was sie dann noch alles finden.«
»Eine komplette Operation wird es nicht wieder geben. Es wird eine Untersuchung durchgeführt. Danach bekommst du eine Bestätigung des letzten Befundes. Wie diese Untersuchung abläuft, können wir mit Christiane B. besprechen. Allerdings solltest du dir im Vorfeld nicht zu viel Hoffnung machen. Entschuldige bitte, ich denke halt, dass sich nichts anderes ergeben wird, als bereits feststeht.«
»Ich vertraue Professor D. Vielleicht denkt er, dass ich ihn für inkompetent halte. Wenn ich heute sage, dass ich eine weitere Untersuchung haben möchte, wird er beleidigt sein. Wie stehe ich dann da?«
»Das wird er nicht. Wieso sollte er dies denken oder beleidigt sein? Immerhin hat er dir doch zugesprochen. Wenn du eine weitere Sicherheit brauchst, dann ist ihm dies recht. Mache dir darüber keine Gedanken. Hier geht es um dich und sonst niemand anderen.«
»Du meinst also, ich könnte noch eine Untersuchung wünschen? Wo würde die denn gemacht werden? Wie lange müsste ich dazu im Krankenhaus sein?«
»Keine Ahnung. Schätzungsweise kann Christiane B. uns darüber informieren. Du wirst wohl zu einem Urologen müssen. Dieser wird die Notwendigkeit der Untersuchung feststellen. Er schreibt eine Einweisung und schlägt dir Krankenhäuser vor.«
Unser Essen kam. Bereichert um die neue Idee hatte jeder von uns genug zum Denken. Ein weiteres Wort wurde an diesem Abend nicht mehr über dieses Thema gesprochen. Mein Vater schien zufrieden, meine Mutter auch.
Die nächsten Tage vergingen. Mein Vater dachte viel nach. Hatte er sich mit der neuen Untersuchung bereits abgefunden? Erhoffte er sich durch sie einen Befund der alles widerlegt? Für mich unvorstellbar. Erhoffte er sich damit allem zu entgehen? Sollte der neue Befund gleich dem des ersten sein, was dann? Würde er ihn als Bestätigung sehen? Träfe er ihn erneut unvorbereitet? Ein Schlag zurück? Klar, die Möglichkeit besteht, dass der Befund anders ausfällt. Zum ersten Mal erkannte ich sie an. War es doch das, was auch ich mir in meinem Innersten für ihn wünschte. Vergessen darf man dabei aber nicht, dass die Untersuchung mehr eine Bestätigung des bisherigen Befundes sein wird. Am Ende der dritten Woche sprach ich meinen Vater erneut an. Nicht nur ich, auch meine Mutter wollte wissen, was in ihm vorgeht. Die Tage zuvor hatten wir das eine oder andere besprochen. Um seine getroffene Entscheidung ging es dabei nicht. Ich fühlte mich nicht sonderlich wohl mit dem Gedanken ihn ansprechen zu müssen. Doch früher oder später musste es sein.
»War doch eine gute Idee hierher zu kommen. Jeden Tag hatten wir Sonne und angenehme Temperaturen. Genug Strand, Meer und Essen hatten wir außerdem. In den letzten drei Wochen hast du richtig Ruhe finden können. Nur drei Mal haben wir mit zu Hause telefoniert. Man sollte viel öfter eine Auszeit nehmen.«
»Mit den anderen Urlauben lässt sich dieser doch gar nicht vergleichen. Sonne und alles andere hatten wir in jedem Fall. Ruhe hatten wir genug. Doch musste ich bisher in noch keinem Urlaub eine solche Entscheidung treffen. Eine Entscheidung, die so schwer und doch so wichtig ist. Wie gerne hätte ich darauf verzichtet. Sonst habe ich mich nach ein paar Wochen hier immer auf zu Hause gefreut. Dieses Mal liegen die Dinge einfach etwas anders. Was wird sein, wenn wir zurück in Deutschland sind? Alles wird wieder auf mich einstürzen.«
»Das ist richtig. Nur bist du dir nach der Zeit hier in einigem sicherer und siehst manche Dinge klarer. Ich denke, sobald du entschieden hast, was du möchtest, bist du sicherer. Du weißt, was vor dir liegt. Du hast ein Ziel. Kein einfaches Ziel, das ist klar. Hast du dich denn schon mit einem Gedanken anfreunden können?«
»Ich möchte erst einmal eine weitere Untersuchung vornehmen lassen. Dann sehen wir mehr. Was danach kommt, werden wir sehen. Eine totale Operation möchte ich nicht haben. Von der Sache mit den Spritzen weiß ich nicht, was ich halten soll. Eine Radio-Chemo-Therapie erscheint mir am angenehmsten. Meinst du das ist richtig entschieden?«
»Die Entscheidung nach dem Ausschlussverfahren ist wohl richtig. Wenn du die totale Operation ablehnst und dir bei den Spritzen nicht sicher bist, dann bleibt nur die Radio-Chemo-Therapie. Was damit alles zusammenhängt, wissen wir theoretisch. Wie sie bei dir umzusetzen ist, wird in dem Erstgespräch erläutert. Nebenwirkungen gibt es immer. Allerdings wissen wir nicht, ob sie bei dir auftreten werden. Kommen keine, dann ist das bestens. Treten wenige, einige oder viele auf, verlässt du dich auf die Ärzte. Nebenwirkungen können behandelt werden. Wieso sollten bei dir ganz neue auftreten? Wenn du mit deiner Entscheidung zufrieden bist, dann ist sie richtig.«
»Und was meinst du wegen der weiteren Untersuchung? Soll ich sie vornehmen lassen? Wird die Krankenkasse mitspielen?«
»Warum sollte die Krankenkasse nicht mitspielen? Alleine schon aus dem Kostenvergleich ergibt sich ein klares »Ja« dazu. Eine zweite Voruntersuchung ist kostengünstiger als eine Radio-Chemo-Therapie. Wenn sich mit ihr ergeben sollte, dass du keinen Krebs hast, dann hat sie sich gelohnt. Sollte der Befund gleich dem ersten sein, sind die weiteren Investitionen sinnvoll. Allerdings geht es bei der Untersuchung um dich und nicht um die Vorteile der Krankenkasse. Du möchtest eine