QUARANTÄNE (The Death 1). John W. Vance

QUARANTÄNE (The Death 1) - John W. Vance


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vier Monate in Lager 13, doch dies gab keinen Anlass zum Feiern. Was sie als Symbol der Hoffnung und Rettung vor der Seuche aufgefasst hatten, stand jetzt für Verzweiflung.

       Ihr Mann David verglich das Lager oft scherzhaft mit einer Kakerlakenfalle: »Man kommt rein, aber nicht mehr raus.«

       Genau so war es auch: Als sie vor knapp vier Monaten eingetroffen waren, hatten sie sich gefreut, noch am Leben zu sein und die Chance zu einem Neuanfang zu erhalten, doch diese Zuversicht sollte sich bald zerschlagen, als drastisch klar wurde, wie schlimm die Dinge wirklich standen, sogar für die Regierung.

       »Schatz, steh auf. Lass uns vor der Morgenversammlung noch etwas frühstücken«, sagte David, während er sich ein Shirt überstreifte.

       Lori wälzte sich herum und sah ihn an, wobei das Morgenlicht nur einen Teil seines Gesichts erhellte. »Du und Eric, esst ruhig etwas; wir sehen uns dann bei der Versammlung.«

       »Bist du sicher?«

       »Ja, ich bin müde und möchte noch eine Weile liegen bleiben.«

       Er kniete sich neben sie und nahm ihre Hand. Nachdem er diese geküsst hatte, fragte er: »Wieder eine schlaflose Nacht?«

       »Ich habe alles versucht, liege dann aber doch wach und grüble.«

       »Geh heute zu einem Arzt, der soll dir etwas verschreiben.«

       »Vergiss es, ich setze mich nicht acht Stunden oder länger in eine Schlange.«

       »Was hast du denn sonst zu tun? Du musst ja diese Woche nicht zum Arbeitskreis.«

       »Mal sehen. Geh jetzt, nimm auch ein Päckchen Erdnussbutter und Kekse für mich«, erwiderte sie und rieb seinen Arm.

       »Geht es Mom gut?«, fragte Eric, der nun auf die beiden hinabschaute. Er war 16 und kam ganz nach seinem Vater: braunhaarig, groß und schlank. Lori witzelte häufig, sie wisse nur deshalb, dass er ihr Sohn sei, weil sie bei seiner Geburt gesehen habe, wie er aus ihrem Körper gekommen war.

       »Okay«, sagte David, stand auf und ging los, hielt aber noch einmal inne. »Und nicht verschlafen.«

       Ein Streifen Tageslicht fiel in ihr staubiges Zelt, als David und Eric es verließen. Lori kniff die Augen zu, als es auf sie traf, gerade als sie sich umdrehte. Dass sie nicht aufstehen konnte, lag nicht etwa an körperlicher Schwäche, sondern an seelischer Ermattung. David wusste dies, behielt es aber für sich.

       Nachdem die beiden endlich gegangen waren, lag sie allein im Zelt, doch diese Einsamkeit – ein Gefühl der Entrückung – spürte sie auch, wenn sie von den Tausenden im Lager umgeben war.

       Lori war eine fähige Frau und Teilhaberin an einem Architekturbetrieb gewesen, bevor der Tod Einzug gehalten und alles zunichtegemacht hatte. Früher war sie oft nachdenklich und dankbar für das Leben gewesen, das sie sich hatte schaffen können, doch dann – von einem Moment auf den nächsten – war alles dahin. Sie erinnerte sich noch an die Nachrichten im Fernsehen über die anfängliche Ausbreitung des Virus, wobei sie wie so viele andere geglaubt hatte, es sei etwas, das sie nicht betreffe. Wie oft sahen Menschen etwas und dachten, es sei nur das Elend anderer? Niemand rechnet jemals damit, es könne ihm selbst widerfahren. Wäre sie imstande, in der Zeit zurückzugehen und eines zu ändern, dann wäre dies ihre damalige Ichbezogenheit. Sie wünschte sich, auf das Bauchgefühl ihres Ehemanns gehört und die Kinder aus der Schule genommen zu haben. Allerdings war sie davon ausgegangen, die Obrigkeit kümmere sich bereits um die Krankheit, weshalb sie unmöglich in dem hübschen, kleinen Nest Castle Rock in Colorado einfallen könnte.

       Diese einfache, kurzsichtige und leichtgläubige Entscheidung war sie teuer zu stehen gekommen. Die einst selbstbewusste Frau, die sich in die Geschäftswelt gestürzt und diese im Sturm genommen, die eine Bilderbuchehe geführt und die perfekte, kleine Familie gegründet hatte, war durch den schnöden Entschluss, ihre Kinder weiterhin zur Schule zu schicken, zermürbt worden. Ihre einzige Tochter Madeleine, war ein hübsches, neunjähriges Mädchen mit langem, dunklem Haar und einem Gesicht gewesen, das stets ein Lächeln geziert hatte. Sie war glücklich gewesen und hatte ihr Leben sogar schon in jenem zarten Alter vorausgeplant, ja selbst das College bereits ausgesucht, das sie besuchen würde. Nichts von alledem sollte sich erfüllen, denn sie war innerhalb einer Woche gestorben, nachdem sie die Schule wieder besucht hatte. Als sie von dort nach Hause kam, hatte sie unter grippeähnlichen Symptomen gelitten und fiel in ein Koma, bevor irgendjemand eine Diagnose stellen konnte.

       Das war schon die zweite falsche Entscheidung gewesen, die Lori bitter bereut hatte. Die erste lag zwei Jahre zurück; seinerzeit war David ihrer Affäre mit einem Ratsmitglied aus Denver auf die Schliche gekommen. Diese fand ein Ende, sodass es ihr nach monatelangen Therapiesitzungen und vielen flehentlichen Worten gelungen war, ihre Ehe zu retten und so die Familie zusammenzuhalten. Daraufhin hatte sie sich geschworen, ein besserer Mensch, eine bessere Mutter und Ehefrau zu sein.

       David hatte im Zuge jener Affäre und auch bei Madeleines Tod große Stärke bewiesen. Als das Mädchen starb, hatte sich Lori Vorwürfe gemacht, war aber von ihm getröstet und darauf hingewiesen worden, dass sie keine Schuld traf. Er hatte ständig betont, Madeleine sei nicht immun gewesen und wäre irgendwann sowieso gestorben.

       Das hatte die Mutter nie glauben wollen; ihr war es leichter gefallen, mit sich selbst ins Gericht zu gehen, weil sie zugelassen hatte, dass die Kinder in die Schule und unter Menschen gegangen waren, wo sie sich dem Virus ausgesetzt hatten.

       Die Zustände in den Vereinigten Staaten waren schnell außer Kontrolle geraten, als sich die Krankheit ausbreitete und alles umbrachte, was nicht immun gewesen war – auch die Tiere. Wer sich vorbereitet und Rückzugspunkte gesucht hatte, war zu dem Glauben verleitet worden, sich schützen zu können, doch auch sie hatte der Tod bald ereilt. Niemand konnte sich vor Erregern schützen, die sich durch die Luft leicht von Mensch zu Mensch beziehungsweise Mensch zu Tier und umgekehrt übertrugen. Etwas Derartiges hatte man nie zuvor erlebt, und wahrscheinlich würde es auch kein weiteres Mal dazu kommen. Diese Seuche blieb in ihrem Ausmaß ohne Beispiel. Die einzige Chance, sie zu überleben, bestand in Immunität.

       Nach Madeleines Tod hatten sich David, Lori und Eric in ihrem Haus verschanzt und Tage, dann Wochen verstreichen lassen. Zwei Monate später schließlich waren sie übereingekommen, sich hinauszuwagen, um nach Vorräten zu suchen. Auf einem jener Abstecher war David einer Einheit der Nationalgarde begegnet. Kaum ein paar Stunden, nachdem er diese Soldaten getroffen hatte, waren die drei auf dem Weg zu Lager 13 gewesen. Zwangsevakuierung hatte man es genannt. Zuerst war ihnen der Ort vielversprechend vorgekommen, doch das hatte sich rasch geändert.

       Lori bemühte sich, Ruhe zu finden, doch viele Gedanken und Eindrücke schwirrten ihr durch den Kopf. Einer nach dem anderen blitzte auf, jeder schlimmer als der vorige. Sie stellte sich vor, sie könnten Lager 13 nie mehr verlassen, müssten für immer hierbleiben, ohne Hoffnung darauf, die Außenwelt je wiederzusehen.

       Jeden Morgen hielt der Kommandant des Lagers eine Versammlung ab; dabei machte er Ankündigungen und rief gelegentlich auch Namen aus. Das waren dann die wenigen Auserwählten, die aus unerfindlichen Gründen ins Camp Sierra umsiedeln durften. Was dort anders sei, belief sich auf Gerüchte, weil niemand es je gesehen hatte. Sie wussten nur, was das Personal des Katastrophenschutzes ihnen erzählte.

       Camp Sierra war eine völlig neue Siedlung fernab des Chaos, das im Rest des Landes herrschte. Jeden Morgen besuchten sie die Versammlung und warteten gespannt darauf, selbst ausgerufen zu werden, sahen sich aber stets aufs Neue enttäuscht.

       Die unaufhörlichen Gedanken und Bilder versetzten Lori bald in eine Trance. Benebelt durch diesen Zustand schlief sie langsam wieder ein.

       »Lori, aufstehen!«, rief David durch die offene Zeltklappe.

       Sie riss die Augen weit auf und fuhr hoch. »Was, wie?«

       »Die Versammlung, komm schon, die Namen werden gerade aufgerufen!«, drängte er.

       Lori sprang auf, griff zu einer kurzen Hose und zog sie an, bevor sie das fleckige, weiße T-Shirt hineinsteckte, das sie trug.

       »Wo sind meine Schuhe?«, fragte sie, während sie hektisch unter ihrem Feldbett nachsah.

       »Weiß nicht, aber mach schnell, es dauert nicht mehr lange.«

      


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