Vom Glück zu leben. Titus Müller
Hügel, herbstliche Waldränder machten mich glücklich. Ich atmete frische Landluft. Ich entdeckte einen Apfelbaum und mit ihm saftig-knackige Wegzehrung. Ich führte ein langes Gespräch mit Gott, das sonst an diesem Tag – was sage ich, in dieser Woche – nicht stattgefunden hätte.
Seltsam, dass diese Lektion so schwer zu erlernen ist. Immer wieder muss ich darauf gestoßen werden. In Berlin gab eine S-Bahn den Geist auf, wir mussten entlang der Gleise zur nächsten Station wandern – genau die Ruhepause im hektischen Tagesablauf, die ich brauchte.
Es gibt Menschen, die nicht wie ich falsch abbiegende Landbusse oder defekte S-Bahnen brauchen. Menschen, die wissen, was eine zurückzulegende Strecke an Möglichkeiten bietet. Mein Freund Sören zählt zu ihnen. Sören ist Harfner, wir reisen oft gemeinsam zu Lesungen, die er auf seinem Instrument begleitet. Ich plädiere für die Autobahn, er bleibt stur: „Wir treffen uns zwei Stunden früher und fahren die Landstraße. Und ich bringe noch einen Freund mit, du wirst sehen, es wird gut.“
Es wurde gut. Wir wechselten uns ab damit, Gedichte zu rezitieren, uns Mühlen, verlassene Bahnwärterhäuser zu zeigen – Sören: „So ein Bahnwärterhaus will ich mir eines Tages kaufen“ –, sinnierten, lachten, und am ganzen Lesungsausflug war die Fahrt das Beste.
Was für kurze Wege gilt, gilt für lange Reisen genauso. Der englische Autor Gilbert K. Chesterton schrieb in seinem Buch Ketzer: „Es ist zweifellos ein begeisterndes Gefühl, in einem Motorwagen durch die Welt zu sausen und Arabien als einen Sandwirbel, China als ein vorüberhuschendes Reisfeld zu erleben. Aber Arabien ist kein Sandwirbel, und China ist kein vorüberhuschendes Reisfeld. Beides sind alte Zivilisationen mit eigentümlichen Vorzügen, die wie Schätze in ihnen vergraben liegen. Wenn wir sie verstehen wollen, dann dürfen wir nicht als Touristen oder Ermittler kommen, sondern müssen die Treuherzigkeit von Kindern und die unendliche Geduld von Dichtern mitbringen.“
Geduld für den Weg – etwas, das wir auch im Zeitalter der Überschallflugzeuge nicht vergessen sollten.
Was Robinson Crusoe glücklich machte
Du isst das auf! Die Kinder in Afrika hungern.“ Haben Sie auch mit den Augen gerollt, wenn die Eltern das gesagt haben? Dabei ist es eine traurige Wahrheit. Sie zeigt: Alles ist eine Frage der Perspektive. Abgesehen davon, dass die Hungernden meine Hilfe brauchen, kann mir die Perspektive auch helfen, glücklicher zu sein. Indem ich mich nicht darauf konzentriere, was mir noch fehlt (zum Beispiel ein Auto, eine Freundin, ein lukrativer Job), sondern darauf, womit ich beschenkt bin (gute Bücher etwa, eine tolle Wohnung, Essen, Freunde). Es macht einen großen Unterschied, an welche der beiden Listen ich häufiger denke: Das eine heißt, mit den Zähnen zu knirschen, das andere heißt, vor Glück in die Luft zu springen.
Mehr noch. (Was folgt, ist ein gewagter Ansatz. Kritische Leserbriefe sind willkommen!) Ich meine, wir nehmen als Christen ebenso oft die falsche Perspektive ein. Wir blicken auf das Böse, statt das Gute anzusehen.
Man kann sagen: „Die Welt ist finster, hier herrscht der Satan.“ Man kann aber auch sagen: „Diese Welt hat unser Gott geschaffen. Immer noch ist seine Handschrift zu sehen.“ Beides ist richtig, und beides hat seine Zeit. Ich frage mich, ob wir nicht wieder die zweite, die positive Perspektive einnehmen sollten. Gerade heute, wo selbst Atheisten sich vor der Zukunft fürchten, weil die Hoffnung, der wissenschaftliche Fortschritt würde alle Probleme der Menschen lösen, ins Wanken geraten ist. Jeder sieht, dass das Schiff „Erde“ gegen die Klippen gefahren ist und nun manövrierunfähig an einem kargen Ufer vor sich hindümpelt. Soll es da die Aufgabe der Christen sein, auf den leck geschlagenen Bug zu zeigen, auf das zerbrochene Steuerrad, auf die zerfetzten Segel?
In scheingoldenen, trunkenen Zeiten mag das die passende Herangehensweise sein. Aber nicht für eine verzweifelte Menschheit. Zeigen wir lieber auf Jesus! Erinnern wir an den Schöpfergott, den Erbauer dieses Schiffs, das einmal stolz im Wind segelte! Die Menschen klagen (denken Sie nur mal an Ihre Nachbarn), suchen bewusst oder unbewusst nach einem Ausweg. Da sollten wir nicht sagen: Seht euch an, wie ihr feststeckt! Sondern: Ich weiß, wo es langgeht – kommt mit!
Und wie das?
Gilbert Keith Chesterton hatte ein Lieblingsbuch: Robinson Crusoe. Er beschreibt in seinem Klassiker Orthodoxie, was den Zauber des Romans ausmacht. Robinson Crusoe ist als Schiffbrüchiger auf einer menschenleeren Insel gelandet. Der Höhepunkt der Geschichte ist die Liste an Dingen, die er vom Schiff gerettet hat. Jedes Werkzeug ist unendlich kostbar, weil es genauso im Meer versunken sein könnte. Chesterton schreibt: „Es ist eine gute Übung in leeren oder unangenehmen Stunden des Tages, sich irgendetwas anzuschauen, den Kohleneimer oder das Bücherregal, und daran zu denken, wie glücklich man sein könnte, sie aus einem sinkenden Schiff auf eine einsame Insel gebracht zu haben.“
Wenn die Erde ein gestrandetes Schiff ist und die Passagiere sich weinend aneinanderklammern, dann ist es unsere Aufgabe, kleine Schätze aus dem Bauch des Wracks hervorzuholen und zu sagen: Seht einmal, könnt ihr euch daran erinnern, wofür ein Hammer gut ist? Und schaut, diese Geige! Hier ist sogar ein Bogen, kann jemand Geige spielen? Ein Buch, wir haben ein Buch! Erinnert ihr euch an Bücher? All das hat uns der Schiffserbauer mitgegeben. Gott hat die Musik erfunden, Freundschaft, Liebe, Sonne, Vogelzwitschern, Geschmack, Duft, Flüstern und Lachen. Es mag vieles zerstört sein, aber Gottes Schönheiten sind so groß, dass etliche davon noch heute funkeln. Sie erinnern uns daran, wie Gott ist!
Dieser Gott wird uns ein neues Schiff bauen. Ein unermesslich schönes. Verzweifelt nicht!
Die zauberhafte Schönheit des Morgens
Wenn Gott etwas verspricht, dann hält er es. 4500 Jahre lang. Ohne Ausnahme. „Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht“, versprach er den Menschen nach der großen Flut (1. Mose 8,22). Gott mag Ordnung. Er weiß, wie wir gebaut sind, dass wir einen Rahmen, ein Zuhause brauchen. Deshalb sind Ihr Leben und mein Leben und die Leben von sechs Milliarden Menschen eingeteilt in Nacht und Tag, in Schlafen und Wachen, in Ausruhen und Aktivsein.
Klingt das für Sie wie die gewöhnlichste Sache der Welt? Ich behaupte, es ist ein Wunder.
Kinder begreifen das leichter als wir Erwachsenen. Haben Sie sich noch nie gefragt, wie es kommt, dass die Kleinen jeden Morgen fröhlich sind? Sie dagegen wachen mit einem Ächzen auf, ich weiß. Sie torkeln ins Bad wie ein 150-Kilo-Grizzlybär, der zu früh aus dem Winterschlaf geweckt wurde, werfen Ihrem Spiegelbild Hassblicke zu und äffen genervt die Moderatoren nach, die Ihnen im Radio etwas vorquasseln.
Nun denken Sie einmal an Ihre Kindheit zurück. Das Schlimme war damals der Abend, nicht der Morgen, richtig? Die Eltern mussten Sie zwingen, ins Bett zu gehen. Erinnern Sie sich, dass Sie aus Verzweiflung geheult haben, weil Sie ein Spiel unterbrechen mussten, obwohl Sie das doch am nächsten Tag fortsetzen konnten? Der nächste Tag war eine unsichere Sache für Sie – so weit denkt man als Kind nicht. Jedes Einschlafen war wie ein kleiner Tod. Sie haben sich im Dunkeln gefürchtet, Sie haben es gehasst, wenn das Licht ausgeschaltet wurde.
Aber der Morgen! Welches Glück, aufzuwachen und zu leben! Noch im Schlafanzug haben Sie angefangen zu spielen. Sie haben Ihre Geschwister geweckt, Ihre Eltern geweckt – unbegreiflich, dass die sich darüber ärgerten, obwohl Sie doch diese wunderbare Nachricht für sie hatten, dass ein neuer Tag angebrochen war. Ein Geschenk des Himmels! Kinder haben am Morgen das Bedürfnis zu jubeln.
Es spricht einiges dafür, dass Gott diese Dankbarkeit für das Leben gut findet. Ich meine keine generelle Einstellung, sondern das Gefühl am Morgen, beschenkt zu sein mit Licht, mit Zeit, mit einer neuen Chance, etwas Gutes zu tun. Tiere zum Beispiel sehen im Morgen ein von Gott geschaffenes Wunder. Da bin ich mir sicher. Für sie wird das Licht an jedem Tag neu geboren. Bäume und Häuser tragen einen roten Schimmer, als würden sie von innen leuchten, sie strecken sich dem Licht hin, dulden es, schmecken es. Die Vögel spüren das Besondere der Morgendämmerung. Sie singen. Sie begrüßen den Tag. Fröhlich schwatzen die