Der Onyxpalast 4: Schicksalszeit. Marie Brennan

Der Onyxpalast 4: Schicksalszeit - Marie  Brennan


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ihn verliebt, um das zuzugeben?«

      Verachtung wog schwer auf dem Wort verliebt. Sie waren kaum in der Pubertät gewesen, Eliza und Owen, erst vierzehn Jahre alt. Zu jung, dass Vater Tooley sie verheiraten konnte, obwohl alle wussten, dass es damit enden würde. Doch es war keine Liebe, die Eliza sagen ließ: »Er ist nicht weggelaufen. Ich weiß, wer ihn entführt hat. Und ich werde ihn zurückbringen.«

      »Du hattest sieben Jahre«, sagte Maggie grausam. »Worauf wartest du noch?«

      Eliza zuckte zusammen. Im Flüsterton antwortete sie: »Nicht ganz sieben.« Erst im Oktober. Manchmal hatte sie das Gefühl, dass dort, wo ihr Herz sein sollte, eine Uhr tickte und die Stunden und Tage und Jahre markierte. Ihr lief die Zeit davon. Wenn die sieben Jahre vergangen wären, würde Owen dann zu ihnen zurückkommen? Oder wäre er für immer verloren, über jegliche Hoffnung auf Rettung hinaus?

      Nicht Letzteres. Das würde sie nie zulassen. Sie hatte die Jahre nur verstreichen lassen, weil sie keine Hinweise hatte, keine Spuren, denen sie folgen konnte. Es war so einfach gewesen, sich zu fragen, ob sie sich das alles eingebildet hatte, wie Maggie dachte. Aber sie fragte sich das nicht mehr. Sie wusste, dass sie real waren, und sie hatte ihre Witterung aufgenommen. Sie würde weiterjagen, bis sie einen erwischte, und ihn zwingen, ihr zu erzählen, was sie wissen wollte.

      »Raus hier«, sagte Maggie, und Eliza konnte die Zornestränen in ihrer Stimme hören. »Wir haben genug Schwierigkeiten, ohne dass du noch mehr mitbringst. Lass Ma um ihren Sohn trauern, wie sie es sollte.«

      Eliza stand auf und zuckte zusammen, als ihre Knie protestierten. »Ich will euch beiden keine Schwierigkeiten machen, Maggie. Das musst du mir glauben. Was auch immer Fergus über mich gesagt hat, ich bin keine Fenierin. Ich liebe Irland so sehr wie jede Frau, und Gott weiß, es wäre großartig, die englischen Stiefel aus unserem Nacken zu bekommen – aber es ist nicht meine Heimat. Die ist London. Ich würde dieser Stadt nie irgendetwas antun, nicht für ein Land, das ich nie gesehen habe, und nicht, wenn es bedeutet, unschuldige Menschen in die Luft zu sprengen, da kannst du sicher sein. Ich habe Whitechapel nicht verlassen, weil ich schuldig war. Ich habe es getan, weil ich dachte, ich könnte vielleicht Owen finden.«

      Maggie stand einen Augenblick schweigend da und grub ihre Finger in das Brotstück. Als sie wieder sprach, war ihr Tonfall sanfter, wenn auch nicht freundlich. »Raus hier, Eliza. Wir können nicht in der Vergangenheit leben, und es gibt keine nennenswerte Zukunft. Hör auf, vor uns herzutänzeln, als würde es Ma oder mir irgendetwas nützen. Lass uns einfach in Ruhe.«

      Und das tat schlimmer weh als alles andere – die Hoffnungslosigkeit, die resignierte Haltung von Maggies Schultern. Sie hatten solch strahlende Träume gehabt, als Owen und Eliza jung gewesen waren, und nun waren sie zu dieser Asche verbrannt. Das, ebenso sehr wie Owen selbst, hatten die Feen ihnen gestohlen.

      Eliza fummelte blind in ihrer Tasche herum und packte alles, was sie darin fand. Ein wenig über einen Schilling in kleinen Münzen: alles, was sie gespart hatte, außer dem, was sie brauchte, um morgen ihren Karren zu füllen, und ihrem Übernachtungsgeld für heute Nacht. Das bewahrte sie immer in ihrem Schuh auf. Sie kippte es auf den Nachttisch neben den unangezündeten Stumpf einer Kerze. »Gott schütze euch, Maggie, Mrs. Darragh«, sagte Eliza und schlüpfte hinaus, ehe der Stolz so weit über die Not triumphieren konnte, dass ihre Freundin protestiert hätte.

      FLUSSUFER, LONDON

       10. März 1884

      Stinkende Feuchtigkeit machte das Gestein unter den Füßen des Toten Rick glitschig. Die Gegend roch immer nach Schimmel. Im verzerrten Spiegelbild von London oben, das den Onyxpalast bildete, war dies hier die Uferzeile, die Gegend, die dem Ufer der Themse entsprach. Die Entfernung von der Mauer hatte sie vor dem Zerfall geschützt, den deren Zerstörung verursachte, aber die eisernen Gasleitungen, die an den neuen Abwasserkanälen entlang verliefen, brachten ihre eigene Art von Verfall mit sich.

      Wie die wachsende Fäulnis unter seinen Füßen bewies. Der Tote Rick suchte sich vorsichtig seinen Weg, aber das half ihm nichts, als die Mauern plötzlich um ihn herum bebten und der Boden unter seinen Füßen wackelte. Seine Ferse rutschte in etwas ekelhaft Weiches, und nur ein schneller Griff an die Mauer rettete ihn. Er wartete dort, alle Muskeln angespannt, bis das Beben aufhörte.

      Zug. Meistens waren sie nicht zu spüren, obwohl eiserne Schienen die ganze Strecke von Blackfriars bis Mansion House durch den Boden verliefen. Die Zauber des Onyxpalasts – was von ihnen übrig war – schützten vor jener Störung. Der Palast mochte zwar unter London liegen, doch das bedeutete nicht, dass die Loks der unterirdischen Eisenbahn in seinen Gewölben ein und aus preschten. Aber dies hier, einer der verbliebenen Eingänge zum Palast, lag nahe dem Ort, wo die Gleise zum Bahnhof von Blackfriars den eingegrabenen Fluss Fleet querten, und so brachen die Erschütterungen öfter durch.

      Hier war die Wahrheit nicht zu ignorieren. Man konnte die zerstörte Mauer vergessen. Man konnte die gusseisernen Rohre vergessen, die neben den Abwasserkanälen lagen. Man konnte die Gebäude vergessen, die in der Stadt über ihnen abgerissen wurden. Dies hier würde den Palast am Ende zerstören: die Inner Circle Railway der Sterblichen, ein Ring aus Eisen, dessen südliches Stück den Palast aufspießen würde wie ein Stück Fleisch über dem Feuer.

      Sobald sie fertiggestellt wäre. Auf dem Markt nahmen ein paar Kobolde aus Cornwall Wetten an, wie lange der Palast danach noch überleben würde. Bisher reichten die Zahlen von einem Monat bis zu zehn Minuten. Und wenn nicht etwas katastrophal schiefging, würde die Eisenbahn vor Ende des Jahres fertiggestellt.

      Was dann passieren würde, wusste der Tote Rick nicht. In einer Sache war er sich jedoch sicher: Wenn dieser Tag käme, wäre jeder Hund auf sich allein gestellt. Nadrett würde ihn nicht schützen. Also musste der Tote Rick bereit sein, und das bedeutete, sich jetzt um seine Schulden zu kümmern, damit er vor diesem unvermeidlichen Ende etwas zu horten hätte.

      Die Dunkelheit war absolut geworden – keine Feenlichter erleuchteten seinen Weg –, aber vor ihm hörte er das Rauschen von Wasser. Nadrett verbot dem Skriker, den Goblinmarkt ohne Erlaubnis zu verlassen, doch er war schon einige Male auf seine Befehle hin in diese Richtung gekommen und wusste, wonach er suchte. Bald fanden seine tastenden Hände den Bronzering, der im Boden verankert war, und das dicke Seil, das daran festgeknotet war. Er schloss beide Hände darum und vertraute sein Gewicht schrittweise dem Tau an, als sich der Boden unter ihm weg neigte. Er spürte, wie das schwarze Gestein des Onyxpalasts endete und die Ziegel der Fleeteinhausung begannen.

      Dann endeten die Ziegel, und es gab nichts weiter zu tun, als seinen Mut zusammenzunehmen und zu springen.

      Das feuchte Seil schoss durch seine Hände, dann brannte es, als er es wieder fest packte. Für einen Augenblick war alles, was existierte, ein Geräusch und das Seil: Wasser unter ihm, rauer Hanf in seinen Händen und die freudige Erleichterung, dass er nicht gefallen war. Freue mich immer noch darüber, ja? Ich schätze, wenn ich schon sterben soll, will ich, dass es an einem besseren Platz passiert als hier.

      Der Tote Rick ließ sich ins Wasser sinken, und er war vorsichtig dabei. Wenn es regnete, konnte der Fleet stark genug anschwellen, um einen Mann zu ertränken. Aber draußen musste das Wetter trocken gewesen sein, denn als seine Füße auf flachen Boden traten, reichte ihm das Wasser nur bis an die Knie.

      Er griff in die Tasche des Ulstermantels, den er angezogen hatte. Die Mantelärmel nervten ihn, aber weniger, als eine Tasche über seine Schulter zu werfen, und manchmal brauchte man große Taschen. Dunkle Laterne, Kerzenstummel, Zündhölzer. Er strich mit Letzteren über die Mauer und hatte einen Augenblick später Licht.

      Nicht, dass es viel zu sehen gegeben hätte. Der Tunnel aus gewölbten Ziegeln erstreckte sich in beide Richtungen und begrub den Fluss Fleet unter den Straßen von London. Aber das hier war einer der wenigen Orte, an denen Fremde möglicherweise in den Onyxpalast stolpern konnten, und der Tote Rick zog es vor, sie fernzuhalten. Er fand den Ziegelstein, der an das Seilende gebunden war, schätzte das Loch über ihm mit einem Blick ab und ließ den Stein beim ersten Versuch wieder hindurchfliegen, sodass er das Seil mitnahm. Jeglicher Fae,


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