Wolfgang Amadeus Mozart. Hermann Abert
ist ohne Widerspruch das beste in Deutschland," schreibt der Vater19, "und lauter junge Leute, und durchaus Leute von guter Lebensart, weder Säufer, weder Spieler, weder liederliche Lumpen [ein unmißverständlicher Hieb auf Salzburg], sodaß sowohl ihre Conduite als ihre production hoch zu schätzen sind." Auch der Flötist J. B. Wendling fiel ihm bereits damals durch seine Leistungen auf. Zugleich wird aber der frommen Frau Hagenauer noch berichtet, daß die Reisenden seit Wasserburg kein Weihbrunnkrügl und gar selten ein Kruzifix in ihrem Schlafzimmer fanden und in der Pfalz auch die Fastenspeisen nur hart und schlecht gemacht bekamen; "denn alles frißt Fleisch, wer weiß, was sie uns gegeben haben – basta, wir haben keine Schuld"20.
In Heidelberg, wohin sie einen Abstecher machten, spielte Wolfgang in der Heil. Geistkirche die Orgel und setzte die Zuhörer dadurch in ein solches Erstaunen, daß der Stadtdechant seinen Namen und die näheren Umstände seines Besuches zu ewigem Andenken an die Orgel anschreiben ließ. Leider ist davon keine Spur mehr vorhanden.
In Mainz konnten sie, da der Kurfürst Joseph Emmerich (von Breidtbach) krank war, nicht bei Hofe spielen, nahmen aber in zwei Konzerten (im römischen Kaiser) 200 fl. ein21. Hier trafen sie mit der Sängerin Marianne de Amicis zusammen, die mit ihrem Vater und ihren Geschwistern von London kam. In Frankfurt, wo wir sie schon am 12. August finden22, erregten sie in einem am 18. August gegebenen Konzert solches Aufsehen, daß ihm noch drei andere folgten. Die Anzeige vom 30. August 1763 zeigt, welche erstaunlichen Leistungen dem Publikum geboten wurden23:
Die allgemeine Bewunderung, welche die noch niemals in solchem Grade weder gesehene noch gehörte Geschicklichkeit der 2 Kinder des Hochfürstl. Salzburgischen Kapellmeisters Hrn. Leopold Mozart in den Gemüthern aller Zuhörer erweckt, hat die bereits dreymalige Wiederholung des nur für einmal angesetzten Concerts nach sich gezogen.
Ja diese allgemeine Bewunderung und das Anverlangen verschiedener großer Kenner und Liebhaber ist die Ursach daß heute Dienstag den 30. August in dem Scharffischen Saal auf dem Liebfrauenberge Abends um 6 Uhr, aber ganz gewiß das letzte Concert sein wird; wobei das Mägdlein, welches im zwölften, und der Knab, der im siebenten Jahr ist, nicht nur Concerten auf dem Claveßin oder Flügel, und zwar ersteres die schwersten Stücke der größten Meister spielen wird, sondern der Knab wird auch ein Concert auf der Violine spielen, bei Synfonien mit dem Clavier accompagniren, das Manual oder die Tastatur des Clavier mit einem Tuch gänzlich verdecken, und auf dem Tuche so gut spielen, als ob er die Claviatur vor Augen hätte; er wird ferner in der Entfernung alle Töne, die man einzeln oder in Accorden auf dem Clavier, oder auf allen nur denkbaren Instrumenten, Glocken Gläsern und Uhren etc. anzugeben im Stande ist, genauest benennen. Letzlich wird er nicht nur auf dem Flügel, sondern auch auf einer Orgel (so lange man zuhören will, und aus allen, auch den schwersten Tönen, die man ihm benennen kann) vom Kopf phantasiren, um zu zeigen, daß er auch die Art, die Orgel zu spielen versteht, die von der Art den Flügel zu spielen ganz unterschieden ist24.
Hier hörte ihn auch Goethe. "Ich habe ihn als siebenjährigen Knaben gesehen", erzählte er Eckermann, "wo er auf einer Durchreise ein Konzert gab. Ich selber war etwa vierzehn Jahre alt, und ich erinnere mich des kleinen Mannes in seiner Frisur und Degen noch ganz deutlich"25.
In Koblenz, wo Baron Walderdorf und der kaiserliche Gesandte Graf Bergen die Wunderkinder bei der Hand zum Kurfürsten von Trier, Johann Philipp (von Walderdorf), führten, ließen sie sich bei Hofe am 18. September hören. Im übrigen verkehrten sie viel in der Familie des Geheimrats und Ritterhauptmanns von Kerpen, der sieben Söhne und zwei Töchter hatte; sie spielten fast alle Klavier, zum Teil auch Violine und Violoncell und sangen. In Bonn war der Kurfürst von Köln, Maximilian Friedrich (Graf zu Königseck-Rothenfels), nicht anwesend; sie hielten sich daher nur so lange auf, um in der Residenz die zwei ungemein kostbaren Betten, das Bad, die erstaunlichen Galerien und Konzertsäle, Malereien, alle Gattungen von Uhren, eingelegten Tischen, Porzellan und in Poppelsdorf und Falkenlust die verschiedensten Raritäten zu bewundern. Dagegen wird in Köln der "schmutzige Münster oder Dom" notiert. In Aachen, wo sie ein Konzert gaben26, war damals die Prinzessin Amalie, die Schwester Friedrichs des Großen, die eifrige Liebhaberin und Kennerin der Musik, zum Badeaufenthalt. Sie suchte L. Mozart zu bereden, mit seinen Kindern nach Berlin zu gehen, allein er ließ sich in seinem Plane nicht irremachen. "Sie hat kein Geld", schreibt der praktische Mann; "wenn die Küsse, so sie meinen Kindern, zumal dem Meister Wolfgang, gegeben, lauter neue Louisd'ors wären, so wären wir glücklich genug; alleine weder der Wirt noch die Postmeister lassen sich mit Küssen abfertigen27". In Brüssel, wo Prinz Karl von Lothringen, Bruder des Kaisers Franz I., als Gubernator und Generalkapitän der österreichischen Niederlande residierte, mußten sie einige Zeit verweilen, bis es ihnen gelang, ein großes Konzert zu geben. Die unfreiwillige Muße wurde ausgiebig zum Studium der Gemälde der alten Niederländer benutzt. Daneben werden den Knaben vor allem die flötenspielenden Figuren und singenden Vögel des Mechanikers Adam Lambman gefesselt haben. Weniger vermochten ihm die damaligen Brüsseler Musiker zu bieten: Meister wie die von L. Mozart u.a. genannten Fr. Schwindel (gest. 1786) und P. van Maldere (1736–1803), der Komponist der 1762 in Paris aufgeführten komischen Oper "La Bagarre", waren zwar Anhänger des modernen Mannheimer Stils, jedoch ohne schärfere Eigenart.
In Brüssel treffen wir Mozart zugleich wieder als Komponisten an, und zwar mit einem Allegro für Klavier in C-Dur, das später in die erste Pariser Violinsonate (K.-V. 6) überging und von L. Mozart in Mariannes Notenbuch mit dem Datum des 14. Oktober versehen ist. In neuester Zeit hat man es als Anfangssatz einer Klaviersonate betrachtet, dem dann die (im Notenbuch allerdings an ganz verschiedenen Stellen stehenden) Sätze Andante (K.-V. 8, Nr. 2), Menuett (ebenda 2. Menuett) und Allegro (K.-V. 9 a) gefolgt wären28. Das ist indessen bei dem ganzen Charakter und Zweck des Notenbuches zum mindesten zweifelhaft. Weit glaubwürdiger ist, daß die drei Sätze zusammen mit einem ganz neuen Schlußsatz erst bei der Umarbeitung zur Violinsonate zu einer Sonate zusammengefaßt wurden.
Am 18. November kam L. Mozart mit seinen Kindern in Paris an. Die Eindrücke, die hier von allen Seiten auf sie einstürmten, mögen auch dem Vater trotz aller Weltklugheit innerlich schwer zu schaffen gemacht haben, im Herzen des Sohnes aber klangen sie noch bis in die Tage des "Figaro" und des "Don Giovanni" hinein nach. Staunend erkannten sie die ungeheuren Gegensätze, die den französischen Staat unheilbar zerrissen und sich infolge der erst vor Jahresfrist beendeten, mit wenig Ruhm geführten Kriege gegen England und Preußen noch verschärft hatten: auf der einen Seite Adel und Klerus im alleinigen Besitz aller Rechte, die Vertreter eines bis an die Grenzen des Wahnsinns gesteigerten Lebensgenusses, auf der anderen die so gut wie rechtlosen, ausgesogenen Massen, die kaum ihres Lebens und Eigentums sicher waren, und über alle dem ein Königtum, dessen Träger Ludwig XV. über den Freuden seines Seraillebens seine Herrscherpflichten längst vergessen hatte; die eigentliche Leiterin des Staates, die Pompadour, stand damals im letzten Jahre ihres Lebens. Aber bereits hatte auch schon der Kampf der Geister gegen die Unnatur auf allen Gebieten begonnen. Schon war das ältere Geschlecht, das von dem Siege der Vernunft und fortschreitenden Gesittung das Heil für die bestehende Ordnung der Dinge erwartete, abgelöst worden durch Rousseau, der dieser Ordnung und ihrer ganzen Kultur überhaupt den Fehdehandschuh hinwarf und das heißersehnte allgemeine Menschenglück nur durch die Aufgabe der Kultur als solcher zu verwirklichen trachtete. Unmittelbar vor der Ankunft der Mozarts waren seine "Nouvelle Héloïse", sein "Emile" und "Contrat social" erschienen, die auf die beiden dunkelsten Seiten der damaligen Gesellschaft, Ehe und Kindererziehung, ein grelles Schlaglicht warfen und schließlich der bestehenden Monarchie überhaupt den Krieg erklärten.
Gerade in den Kreisen des Adels, auf die die Mozarts auch in Paris fast ausschließlich angewiesen waren, stießen alle diese Gegensätze besonders heftig aufeinander. Zügelloseste Genußsucht, wie sie in dem frevelhaften Wort vom "Sakrament des Ehebruchs" ihren krassesten Ausdruck fand, wohnte hier dicht neben der durch Rousseaus Romane hervorgerufenen, empfindsamen Tugendbegeisterung der "schönen Seelen", nüchterne Aufklärung neben rührseliger Gefühlsschwelgerei, raffinierte Unnatur neben überschwenglicher Naturfreude. Zum erstenmal trat dem jungen Künstler