Wolfgang Amadeus Mozart. Hermann Abert

Wolfgang Amadeus Mozart - Hermann  Abert


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Mozart die italienische Oper im Kings Theatre, die von Colomba Mattei und dann von dem Violinvirtuosen Giardini und Regina Mingotti geleitet wurde. Mozart konnte hier Opern von Joh. Christ. Bach, N. Piccinni, M. Vento, F. Giardini sowie eine Anzahl Pasticci von den verschiedensten Komponisten hören53. Zugleich trat er aber auch mit den Sängern der Oper in nähere Beziehungen, so vor allem mit dem um 1725 zu Florenz geborenen Kastraten Giov. Manzuoli, einem der gefeiertsten Sänger und Schauspieler seiner Zeit, der seinen Ruhm in Italien begründet hatte und dann nacheinander in London, Madrid, Wien (1760)54 und abermals in London tätig gewesen war. Unter glänzenden Bedingungen angestellt, war er der Mittelpunkt der damaligen Londoner Oper und riß das Publikum durch Stimme und Vortrag zur äußersten Begeisterung hin55. Er und der neben ihm wirkende Kastrat Ferd. Tenducci (geb. 1736) waren die ersten großen Gesangseindrücke Mozarts, und Manzuoli ließ sich aus Freundschaft für die Familie sogar herbei, dem Knaben Unterricht im Gesang zu geben. Er machte von der neu erlangten Fertigkeit schon in London Gebrauch56, und als er im folgenden Jahr wieder nach Paris kam, berichtete Grimm, er habe den Vorteil, Manzuoli zu hören, so wohl benutzt, daß er, wenngleich mit sehr schwacher Stimme, doch mit ebensoviel Gefühl als Geschmack singe.

      Den größten Einfluß auf ihn sollten aber zwei Künstler deutscher Geburt gewinnen, die im damaligen Londoner Musikleben den Ton angaben: K. Fr. Abel' und Joh. Christian Bach. Abel57, geb. 1725 zu Cöthen, war Schüler Seb. Bachs an der Leipziger Thomasschule gewesen und, nachdem er 1746 bis 1758 der Dresdener Hofkapelle angehört hatte, 1759 als Kammermusiker der Königin Sophie Charlotte in London angestellt worden, wo er mit kleinen Unterbrechungen bis zu seinem Tode (1787) geblieben ist. Abel war nicht allein ein äußerst fruchtbarer Komponist, sondern auch der letzte bedeutende Virtuose auf der Gambe. Joh. Christian Bach aber, der erste Meister, der für Mozarts Schaffen auf den verschiedensten Gebieten entscheidende und nachhaltige Bedeutung gewonnen hat, ist als jüngster Sohn Sebastians am 5. September 1735 geboren58. Er genoß zuerst den Unterricht seines Vaters und kam nach dessen Tode 1750 zu seinem Bruder Philipp Emanuel nach Berlin in die Lehre, wo er sich im Klavierspiel weiter ausbildete und zugleich mit der italienischen Oper Fühlung gewann. 1754 ging er als erster und einziger der Bache nach Italien, trat in den Dienst des Grafen Litta in Mailand und vollendete bei Padre Martini in Bologna seine Studien; er ist damals auch zum Katholizismus übergetreten. 1760 wurde er Domorganist zu Mailand. Daneben zog es ihn aber mehr und mehr zur Oper hin: 1761 ging sein "Catone in Utica", 1762 sein "Alessandro nelle Indie" in Neapel in Szene59. Auch eine ganze Reihe von Kirchenkompositionen ist damals entstanden. Bald darauf erreichte ihn der Auftrag der Mattei, für London eine neue Oper zu schreiben; er war zugleich das sichtbare Zeichen dafür, daß Bach jetzt als vollwertiger Vertreter der herrschenden italienischen Opernrichtung betrachtet wurde. Der Erfolg von "Orione" und "Zanaida" war durchschlagend, und Bach wurde mit 300 Pfund Gehalt zum Musikmeister der Königin ernannt. Mit Abel zusammen begründete er 1764 ein Konzertunternehmen, die sog. "Bach-Abel-Konzerte", die lange Zeit für die Londoner Musikwelt tonangebend wurden. Außer Bach und Abel selbst kam hier namentlich Jos. Haydn mit seinen Sinfonien zum Wort, auch ließen sich bedeutende Virtuosen aus aller Herren Länder hören. Auf den "Adriano" folgten zunächst 1767 der "Caratacco" sowie einige Pasticci: "L'Olimpiade" 1769 (mit Piccinni) und "Orfeo" 1769–70 (mit Gluck und Guglielmi), einer der vielen Versuche, das Glucksche Werk durch Zugeständnisse an den italienischen Geschmack dem Publikum näherzubringen, endlich im Jahre 1770 das Oratorium "Gioas, re di Giuda". Kein Wunder, daß Bach jetzt auch von auswärts Aufträge erhielt: so schrieb er 1772 und 1774 den "Temistocle" und "Lucio Silla" für Mannheim. Den "Silla" hat Mozart damals eifrig studiert60. Persönlich trafen die beiden 1778 wieder in Paris zusammen, wo 1779 Bachs "Amadis de Gaules" mit geringem Erfolg aufgeführt wurde. "Seine Freude und meine Freude, als wir uns wiedersahen", schreibt Mozart damals dem Vater61, "können Sie sich leicht vorstellen – vielleicht ist seine Freude nicht so wahrhaft – doch muß man ihm dieses lassen, daß er ein ehrlicher Mann ist und den Leuten Gerechtigkeit widerfahren läßt; ich liebe ihn (wie Sie wohl wissen) von ganzem Herzen – und habe Hochachtung für ihn und er – das ist einmal gewiß, daß er mich sowohl zu mir selbst, als bei andern Leuten – nicht übertrieben wie einige, sondern ernsthaft, wahrhaft gelobt hat".

      Am 1. Januar 1782 ist Bach gestorben62. Sein Ruhm und seine geschichtliche Stellung beruht neben seinen Opern besonders auf seinen Sinfonien und auf seiner Klaviermusik63, über die bald in Verbindung mit Mozart noch zu reden sein wird.

      Das Glück war den Mozarts in London nicht minder hold als in Paris. Es gelang ihnen schon am 27. April, sich bei Hofe hören zu lassen, und die Aufnahme übertraf alle Erwartungen. "Die Gnade, mit welcher sowohl S. Majestät der König als die Königin uns begegnet, ist unbeschreiblich", sagt L. Mozart64, "... beider freundschaftliches Wesen ließ uns gar nicht mehr denken, daß es der König und die Königin von England wären. Man hat uns an allen Höfen noch ganz außerordentlich höflich begegnet, allein diese Art, die wir hier erfahren haben, übertrifft alle die andern. Acht Tage darauf gingen wir in St. James Park spazieren. Der König kam mit der Königin gefahren, und obwohl wir alle andere Kleider anhatten, erkannten sie uns doch, grüßten uns nicht nur, sondern der König öffnete das Fenster, neigte das Haupt heraus und grüßte lachend mit Haupt und Händen im Vorbeifahren uns, und besonders unsern Master Wolfgang." Schon am 19. Mai wurden sie wieder an den Hof berufen, wo im vertrauten Zirkel abends von 6–10 Uhr musiziert wurde. Der König legte dem "unüberwindlichen" Wolfgang Stücke von Wagenseil, Bach, Abel und Händel vor, die er prima vista wegspielte; auf des Königs Orgel spielte er so, daß man es seinem Klavierspiel noch vorzog. Der Königin begleitete er eine Arie, einem Flötisten ein Solo, endlich nahm er die Baßstimme einer Händelschen Arie und improvisierte dazu die schönste Melodie. "Es übersteigt alle Einbildungskraft", sagt der Vater. "Das, was er gewußt hat, als wir aus Salzburg abgereist, ist ein purer Schatten gegen das, was er jetzt weiß"; und bald darauf:65 "Genug ist es, daß mein Mädel eine der geschicktesten Spielerinnen in Europa ist, wenn sie gleich nur zwölf Jahre hat, und daß mein Bub, kurz zu sagen, alles in diesem seinem achtjährigen Alter weiß, was man von einem Manne von vierzig Jahren fordern kann. Mit Kurzem, wer es nicht sieht und hört, kann es nicht glauben. Sie selbst, alle in Salzburg wissen nichts davon, denn die Sache ist nun etwas ganz anderes." Von Bach aber empfing der Knabe einen Eindruck für sein ganzes Leben. Mächtig fühlte er sich zu diesem Manne hingezogen, dessen Persönlichkeit seiner eigenen in so manchen Zügen verwandt war66. Bach hat die Größe seines Talents voll erkannt. Er musizierte gern mit dem Knaben; er nahm ihn auf den Schoß und führte mit ihm eine Sonate so aus, daß jeder abwechselnd einige Takte spielte, mit einer Präzision, daß man glauben mußte, sie würde von einem gespielt; er fing eine Fuge an, die Wolfgang, wenn er abbrach, aufnahm und weiterführte.

      Nunmehr glaubte L. Mozart es wagen zu können, trotz der nicht günstigen Saison dem großen Publikum "das größte Wunder darzustellen, dessen sich Europa und die Menschheit überhaupt rühmen kann", wie es in der Ankündigung hieß67. Mit kluger Berechnung war das Konzert auf den 5. Juni gesetzt, den Tag nach des Königs Geburtstag, dessen glänzende Feier auch ein glänzendes Publikum in London versammelte. Die Spekulation gelang, L. Mozart "hatte den Schrecken, in drei Stunden 100 Guineen einzunehmen" und konnte eine schöne Summe nach Hause schicken68. Am 29. ließ er, um sich dem englischen Publikum zu empfehlen, Wolfgang in einem Konzert, das zu einem wohltätigen Zweck im Saal des Ranelagh-Gartens gegeben wurde, "eine vorzügliche Auswahl Musikstücke auf dem Klavier und der Orgel vortragen, welche das höchste Entzücken und Erstaunen bei den größten Musikkennern in England erregten". Der glückliche Gang ihrer Angelegenheit wurde durch eine gefährliche Halsentzündung des Vaters unterbrochen, die ihn bei der Rückkehr aus einem bei Lord Thanet gehaltenen Konzert überfiel. Er mußte sich zu seiner völligen Erholung am 5. August69 nach Chelsea begeben, wo er mit seiner Familie sieben Wochen verweilte. Während hier aus Schonung für den Vater kein Instrument angerührt werden durfte, machte Wolfgang sich daran, Sinfonien für Orchester zu schreiben, und seine Schwester erzählt70, wie er zu ihr, die neben ihm saß, gesagt habe: "Erinnere mich, daß ich dem Waldhorn etwas Rechtes zu tun gebe." Das Horn war derzeit in England ein beliebtes Instrument, und noch einige Zeit hindurch findet es sich in Wolfgangs jugendlichen


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