Märchen aus Frankreich, Band 1. Группа авторов
sie in Verzweiflung und wanderte so lange, bis sie zu einer Hütte kam, die neben dem Kloster, in welchem sie gedient hatte, lag. Eine gute alte Frau, die in der Abtei beschäftigt war, bewohnte das Häuslein. Hier wurde sie aus Nächstenliebe beherbergt, und sie speiste mit der Alten zu Abend. Nach dem Essen plauderten sie über dies und jenes, und schließlich redete die Nonne ohne Schleier ihre Hausfrau folgendermaßen an: "Wirtin, Eure Sakristanin, welche mit so großem Eifer im Kloster diente und die Kranken zu heilen pflegte, wo ist sie? Ich habe viel Übles von ihr reden hören: daß ein Mann sie entführt habe, dem sie sich in sündiger Lust hingab. Um Gottes willen, sagt mir, was Ihr davon wißt!" Die Alte erschrak über das Gehörte und antwortete zornig: "Frau, Ihr seid toll, daß Ihr so von unserer Sakristanin redet, Ihr verleumdet die beste, die heiligste, die meistgeliebte Frau, die je auf Erden lebte. Ihr braucht nicht lange nach ihr zu suchen, denn erst heute habe ich sie gesehen und ihren Segen empfangen da, wo sie ihren Dienst wie eine Heilige und ohne Fehl versieht. Ihr seid nicht bei Sinnen, daß Ihr so von ihr redet. Seht, auf der Straße harren an zwanzig Kranke: Lahme, Blinde und Besessene, die alle den nächsten Tag erwarten, damit sie die Heilige mit einem Zeichen ihrer Hand heilen möge. Schweigt mit Eurer Torheit, denn übel könnte es Euch ergehen, wenn Euch andere Leute hören." Als die Büßerin solches hörte, verwunderte sie sich sehr und wußte nicht, was sie davon halten solle. Sie verbrachte die Nacht schlaflos in Gedanken, und sobald die Morgenglocke läutete, erhob sie sich, kleidete sich an und ging in das wohlbekannte Kloster. Eine milde Frau öffnete ihr, die Verlorene wich zurück und sprach: "Herrin, um Gott, wer seid Ihr?" "Sagt mir zuerst, liebe Freundin, wer Ihr seid," fragte die Pförtnerin. "Herrin, mit Schmach gesteh ich's ein. Ich war Sakristanin in diesem Kloster und gut tat ich meine Pflicht, bis der Teufel mich überwand und mich all meiner Schätze beraubt in die Schande stieß. Ich bin die, von der Gott sich abwandte, weil ich um der Sünde des Fleisches willen ihn und seine Mutter verließ. Um meine Meisterin, der ich mich weihte, gräme ich mich am meisten, denn sie berief mich zu großen Ehren. Nun bin ich durch eigene Schuld ihre Widersacherin geworden, und kaum wage ich, sie um Verzeihung anzugehen. Ich bin verflucht und ausgestoßen, von der Liebe Gottes ausgelöscht. Um Gnade und Erbarmung zu erflehen komme ich her, aber schwerlich werde ich für meine rasende Lust Vergebung finden. Herrin, nun habe ich Euch gesagt, wer ich bin. Um des Erlösers willen bitte ich Euch, sagt mir jetzt Euren Namen!" "Ich will ihn dir nennen: ich bin Maria, die Gott gebar. Du hast meine große Güte schlecht vergolten. An deiner Statt habe ich die Zellen gefegt, die Glocken geläutet, die Türen geöffnet, die Lampen entzündet, und jedermann glaubte, du seiest hier. Niemand weiß um deinen Fehltritt, denn dafür, daß du mir so treu gedient, habe ich deine Schmach verhüllt. Ich vergebe dir deine Sinnenlust, aber hüte dich, ein zweites Mal zu sündigen. Nun geh zu meinem Altar, dort findest du dein Ordenskleid, bekleide dich damit und fürchte nichts!" Außer sich vor Freude warf sich die Sünderin zu Füßen der Gottesmutter in den Staub, doch diese entschwebte, und sie hielt nur die Erde umfaßt, die sie küßte, weil die Sohlen der Himmelskönigin sie berührt hatten. Dann wandte sie sich zum Altar, bekleidete sich mit ihrem Nonnengewand und machte sich daran, ihren Dienst zu versehen, wie sie es früher getan hatte. Niemand aber ahnte etwas von dem, was sie verschuldet hatte. Mit Beten, Fasten, Kasteiung und guten Werken brachte sie ihre Jahre dahin, um die versäumte Zeit wieder einzuholen, bis Gott der Herr ihre Seele zu sich in sein Reich nahm.
Vom Dieb, der sich jedesmal, wenn er zum Stehlen ging, Unserer Frau empfahl
Es war einmal ein Dieb, der eine sonderbare Gewohnheit hatte: sein Sinn war so ganz und gar vom Gedanken an die süße Mutter des Königs der Glorie erfüllt, daß er sich jedesmal, wenn er zum Stehlen ging, in ihre Hut empfahl. Und wenn er sich ihr empfohlen hatte, ging er ruhigen Herzens zum Raub, als ob er dazu beauftragt gewesen wäre. Niemals aber bestahl er die Armen und Bedrängten, vielmehr tat er ihnen Gutes wo er konnte, aus Liebe zur Gottesmutter. Eines Tages wurde er beim Diebstahl überrascht, und jedermann war sich darüber einig, daß er hängen müsse, denn er war weithin berüchtigt. Man legte ihm den Strick um den Hals und knüpfte ihn an den Galgen. Da rief er in seinem Herzen zu Unserer lieben Frau, diese aber, die nie einen der ihrigen vergißt, kam ihm alsbald zu Hilfe. Ihre weißen Hände breitete sie unter seine Füße und hielt ihn so zwei Tage lang, so daß er weder Schmerz noch Qual empfand. Am zweiten Tage kamen seine Henker, um nach ihm zu sehen. Als sie ihn lebendig und gesund fanden, sprachen sie: "Wir haben getrunken, ehe wir diesen Dieb hängten; schlecht haben wir gearbeitet, der Strick mag nicht recht gebunden sein." Sie ergriffen ihre Schwerter und wollten ihn in die Gurgel stechen, aber sie konnten ihm kein Leids tun, denn die Mutter des Erlösers hielt ihre Hände schützend vor ihn. Da rief der Dieb: "Flieht, flieht, vergebens müht ihr euch, denn wißt, daß meine Herrin, die heilige Maria, mir zu Hilfe kam. Sie ist es, die mich stützt und ihre weiße Hand vor meine Kehle breitet. Die süße Herrin neigt sich zu mir und läßt nicht zu, daß ihr mir wehe tut." Als die Henker diese Worte hörten, banden sie ihn los und sagten dem Himmelskönig und seiner Mutter für dieses Wunder Dank. Der Sünder aber trat am selbigen Tage als Mönch in ein Kloster und diente von nun an in Demut Unserer lieben Frau.
Vom König, der den Sohn seines Seneschalls verbrennen wollte
Ein König von Ägypten hatte einen Seneschall, der ihm lange gedient und dafür reichen Lohn verdient hatte. Diesem Seneschall war ein Sohn erwachsen, der das Alter von fünfzehn Jahren erreicht hatte. Der Knabe war verständig für sein Alter, und all sein Sinnen war auf die Liebe zu Gott und der hl. Jungfrau gerichtet. Es geschah aber, daß sein Vater krank wurde und zu sterben kam. Der König erfuhr davon, suchte den Kranken auf und setzte sich an sein Lager. "Herr," sprach der Seneschall, "von Eurer Kindheit an habe ich Euch treu gedient, mehr als fünfunddreißig Jahre lang war ich Euer Knecht. Ich fühle, daß mein Ende naht, aber zuvor möchte ich Euch, lieber Herr, um eine Gnade bitten, die ihr mir um Gottes Willen gewähren mögt. Wenn ich tot bin, so nehmt Euch meines Sohnes an und wollet an ihm meine treuen Dienste vergelten!" Der König versprach dem Sterbenden, er wolle seinen Sohn stets um sich halten und ihm Land und Lehen geben. Darauf hauchte jener seine Seele aus.
Der König hielt sein Versprechen. Er bestellte dem Jüngling einen Lehrmeister und zog ihn zusammen mit seinem eigenen Sohne auf. Täglich kam er, die Knaben zu sehen und ihnen Geschenke zu bringen; er hatte beide sehr lieb, und auch die jungen Leute waren einander in inniger Freundschaft zugetan. Der Lehrmeister aber war voll Zorn und Neid darüber, daß der König den Fremdling so schätzte, und er sagte in seinem treulosen Herzen: "Der König ist nicht weise, daß er einen hergelaufenen Burschen so wert hält wie seinen eigenen Sohn. Mir sollte er wohltun und mich achten, denn ich bin an mancherlei Künsten reich, statt dessen verschwendet er seine Liebe an einen, der sie nicht verdient. Aber ich will ihn auslöschen aus der Liebe des Königs."
Eines Tages wandte er sich an den Knaben und sprach tadelnd zu ihm: "Mein Sohn, wenn der König wieder herkommt und dich in seine Arme nimmt, so wende dein Haupt ab, denn dein Atem ist ihm nicht angenehm." Bald darauf kam der König, die Knaben zu besuchen, und schloß beide in seine Arme; da wandte der Sohn des Seneschalls, welcher an nichts Arges dachte, sein Gesicht ab, um den König nicht zu belästigen. Dies tat er fünf oder sechsmal, bis der König es merkte und den Lehrmeister fragte, was das bedeuten solle. Der Treulose antwortete: "Herr, ich möchte Euch die Wahrheit sagen, wenn ich nicht fürchten müßte, Euch zu erzürnen. So wißt denn: der Knabe hat mir gestanden, daß er Euern Atem nicht ertragen kann." Der König erschrak über diese Rede; er haßte von nun an den Knaben und schwur, ihm nicht mehr wohltun zu wollen, ja, er wollte ihn überhaupt nicht mehr sehen und beschloß, sich seiner zu entledigen. Der Verräter aber freute sich in seinem Herzen.
Der König ließ einen Förster kommen und befahl ihm, daß er im Walde ein großes Feuer entzünde; welchen er, der König, aber als ersten dorthin senden werde, den solle er ergreifen und in das Feuer werfen. So lieb ihm sein Leben sei, solle er diesen Befehl vollziehen und die Ausführung geheim halten. Der Förster versprach zu tun, wie ihm befohlen sei, er kehrte heim und zündete das Feuer mit eigener Hand an. Darauf ließ der König den Burschen rufen und gebot ihm, sogleich sein Pferd zu besteigen, um eine Botschaft zu überbringen. Dabei trug er ihm auf, wohin er reiten und was er dem Förster sagen solle. Der Jüngling