"Wer seiner Seele Flügel gibt …". Renate Holm


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musste das Gebäude trockengelegt werden, was viele Monate in Anspruch nahm. Danach wurde eine Heizung eingebaut, die Außenfassade saniert, das Dach repariert etc. etc. Auch das angrenzende Ackerland, das fast bis zum Haus mit Schilf bewachsen war, musste trockengelegt und urbar gemacht werden. Das dauerte Jahre … und ist heute eine wunderbare Wiese und Koppel für meine Tiere.

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      Noch ein Lebenstraum ließ sich in meiner Mühle verwirklichen – und das bringt mich wieder zur Stimmgabel: Weil mir sehr viel daran lag, meine Kunst aus Wien hierher in die Natur zu transferieren, habe ich mir in der oberen Etage – also im ursprünglichen Mühlraum mit Schüttkasten – einen kleinen Konzertsaal eingerichtet. Oben ist sozusagen das Reich der Musik, unten sind meine Felder, meine Tiere und mein biologischer Gemüseanbau. Heute kann man Biogemüse ja schon in jedem Supermarkt kaufen, aber damals war das doch etwas Besonderes … Und wer weiß? Vielleicht ist das ja ein Teil des Geheimnisses, warum ich bis heute so prima beisammen bin?!

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      Meine Passion für das Landleben hatte sich auch bei meinen Sänger- und Schauspielkollegen herumgesprochen. Sie wussten, dass ich in meiner Mühle Bäuerin aus Liebe war – und hier nicht nur Getreide und Gemüse angebaut wurde, sondern dass ich auch Tiere hatte. So ergab es sich, dass ich immer wieder gefragt wurde: »Kannst du vielleicht ein Kaninchen nehmen? Meine Kinder haben es sich sehnlichst zu Ostern gewünscht, aber jetzt bleibt die ganze Arbeit an mir hängen …« Also habe ich das Kaninchen genommen, dann einen Hamster, bald darauf ein Meerschweinchen, eine Katze, einen Hund … In dieser »Tonart« ging es auch auf dem Land weiter. Leute kamen mit sehr alten oder halb verhungerten Tieren zu mir, und die Stallungen mussten von Jahr zu Jahr vergrößert werden. Bald hatte ich auch Esel und Pferde in meiner Menagerie.

      Bei so vielen Tieren ist die Heuernte natürlich besonders wichtig. Und da konnte es schon vorkommen, wie gerade letzte Woche, als ich mit meinem Pianisten meine Lieder für das nächste Konzert einstudierte, dass sich draußen plötzlich der Himmel verfinsterte, ich aus dem Fenster blickte und mein erster Gedanke war: »O Gott, das Heu liegt ja noch auf der Wiese!« Im selben Atemzug sage ich zu meinem Pianisten: »Wir müssen abbrechen, ich muss sofort in die Mühle fahren! Das Heu muss eingebracht werden, sonst war die tagelange Arbeit umsonst!« In der Mühle angekommen, erwartete mich bereits mein Verwalter. Alle Anzeichen standen auf Gewitter! Pechschwarze Wolken zogen auf, stürmischer Wind. Buchstäblich in Windeseile und in letzter Sekunde haben wir das Heu trocken in die Scheune gebracht, ehe es wie aus Kannen zu schütten begann. Ein Stoßgebet: »Danke, lieber Gott, dass wir es geschafft haben!«

      Im letzten Jahr war uns der Wettergott gut gesinnt und wir konnten viel entspannter das Heu einbringen.

      Am nächsten Morgen konnte ich in Wien die Probe mit meinem Pianisten fortsetzen. Ja, so pendle ich von der Heugabel zur Stimmgabel – oder manchmal auch umgekehrt.

       Im Einklang mit der Kunst und der Natur schöpfe ich neue Kräfte.

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       »Ruhe ist Glück, wenn sie ein Ausruhen ist.«

       LUDWIG BÖRNE

      In meiner Mühle werde ich immer wieder mit dem natürlichen Kreislauf von Werden und Vergehen, von Geburt und Sterben konfrontiert, und zwar auf eine ganz direkte, unvermittelte Art und Weise. Es ist ein besonderes Erlebnis zu beobachten, wie im Frühjahr die Natur erwacht, die grünen Halme des Korns aus der Erde schießen, die Büsche und Bäume austreiben und die ersten Blumen sich zu entfalten beginnen. Auch die Tiere schütteln die Müdigkeit des Winters ab und bekommen ein neues, glänzendes Fell. Im Sommer zeigt die Natur, wie kraftvoll und prächtig sie sein kann, bis dann im Herbst, wenn die Tage immer kürzer werden und die Natur zu welken beginnt, sich überall schon die Ahnung der Wintermüdigkeit einschleicht … Dieser jährliche Wechsel, bei dem die Schönheit der Natur in jedem Frühling wiedergeboren erscheint, zählt zu den großen Mysterien unserer Schöpfung. Da ist der Rosenstrauch voller Knospen, die eines Tages aufbrechen, erblühen, sich entfalten – und vergehen, um im nächsten Jahr in der gleichen Schönheit wieder zu erstrahlen.

      Manchmal denke ich, wieso können wir Frauen nicht auch wie die Rosen Jahr für Jahr in der gleichen Schönheit neu »erblühen«?

      Aber man soll nicht unbescheiden sein … Die Mühle schenkt mir in ihrer Stille und Abgeschiedenheit so viele Möglichkeiten, mental und körperlich zu regenerieren – das alleine schon ist für mich ein unschätzbar wertvoller »Jungbrunnen« …

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      Meinem ersten Pudel Glöckchen zu Ehren wurde dieser wunderbare Weg nach ihm benannt.

       Der »Glöckchenweg«, meine Kraftquelle

      Direkt vor meinem Haus beginnt ein zweihundert Meter langer Weg, der zwischen dem Acker und einer kleinen Böschung (der sogenannten »Gstätten«) verläuft. Seit vielen Jahren ist das meine morgendliche leichte Joggingstrecke, die meinen sportlichen Ehrgeiz (der sich weiß Gott leider in Grenzen hält …) gut abdeckt. Im noch feuchten Gras laufe ich hier barfuß im langsamen Tempo einmal hin und einmal zurück. Diese vierhundert Meter sind ein absolutes Muss! Ob mit Rückenschmerzen oder anderen Wehwehchen. – Das ist mein tägliches Fitnesstraining, wenn ich in der Mühle bin.

      Dieser Fitnessweg ist für mich auch ideal zum Textlernen oder um meine stimmlichen Vokalisen zu machen. Es gibt keinen Weg, den ich öfter entlanggegangen bin als diesen. Oft in Gedanken versunken und immer wieder aufs Neue dankbar, diesen Fleck Erde gefunden zu haben. Besonders in der ersten Zeit, nachdem ich die Mühle gekauft hatte, war es ein unbeschreibliches Glücksgefühl, den eigenen Boden unter den Füßen zu spüren …

      Auf diesem für mich ganz besonderen Weg begleitete mich Glöckchen – mein allererster Hund, den mir meine Mutter kurz vor meinem Umzug von Berlin nach Wien geschenkt hatte – ein zauberhafter brauner Zwergpudel mit ebensolchen braunen, samtigen, gütigen Augen. Er war mein Herzenshund …

      Als er noch ganz klein war, gab er pünktlich alle zwei Stunden vier, fünf kurze glockenhelle Töne von sich, das Zeichen fürs Gassi-Gehen, leider auch nachts … Nach zwei Wochen war er stubenrein, aber der Name dieses (Weck)Glöckchens ist ihm geblieben … Und er war in vielerlei Hinsicht ein besonderer Hund, man könnte sagen, er hatte eine Künstlernatur, war einfühlsam und hochmusikalisch – man musste beim Singen die Töne richtig schön produzieren, wenn etwas ein bisschen zu laut oder nicht ganz genau getroffen war, legte er sofort die Ohren an und seine vorwurfsvollen Augen sprachen Bände …

      Zwölf Jahre lang war Glöckchen immer an meiner Seite. Er begleitete mich auf Tourneen, ging mit mir in Rundfunk- und Aufnahmestudios, Filmateliers und Probebühnen, und wo immer er war, saß er ruhig und unauffällig auf seinem Platz und wartete brav, bis ich mit der Arbeit fertig war. Selbst die skeptischsten Aufnahmeleiter, Regisseure oder Dirigenten akzeptierten nach einer Weile seine Anwesenheit, da er niemanden störte. Auch bei den Dreharbeiten zu meinem vorletzten Film Liebe, Mädchen und Soldaten war er mit dabei und wurde sogar mit Frauchen in eine Szene integriert. Er war eben ein Ausnahmehund, ein so besonderes Wesen – und ich hatte das Gefühl, wir waren eine Seele voll der Harmonie …

      Aber wie das Leben leider so ist, wurde er plötzlich krank und es gab keine Aussicht auf Heilung mehr. Und als der Punkt gekommen war, an dem Glöckchen signalisierte, dass er keine Kraft mehr hatte, musste


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