"Wer seiner Seele Flügel gibt …". Renate Holm
weltberühmte Koloratursopranistin und später sehr erfolgreich als Lehrerin. Es war eine ganz große Auszeichnung, mich ebenso wie Elisabeth Schwarzkopf und Rita Streich zu ihren Schülerinnen zählen zu dürfen, und zugleich mehr als reine Glückssache. Denn es war kein Zufall, dass ich bei ihr studieren durfte. Diese Geschichte möchte ich gerne erzählen:
Anfang der Fünfzigerjahre gab es in Berlin den Nachwuchswettbewerb Wir suchen Talente. Ähnlich wie heute bei Die große Chance konnten junge, unbekannte Künstlerinnen und Künstler hier ihr Glück versuchen – und es war sogleich an meiner Seite, denn mit dem Lied der Nachtigall von Franz Grothe gewann ich diesen Wettbewerb auf Anhieb. Sofort bekam ich erste Angebote und fasste auch den Mut, mich für eine öffentliche Mikrofonprobe beim Rundfunksender RIAS Berlin anzumelden. Und siehe da: Die Glückssträhne hielt an, und ich machte auch bei diesem Wettbewerb den ersten Platz! Nun prasselten die Angebote förmlich auf mich ein, doch diesem Glück nicht trauend – weil es ja nun mal ein Vogerl ist! –, wollte ich Gewissheit. Ehe ich irgendwo zusagte, erbat ich mir eine Woche Bedenkzeit. Diese Pause nutzte ich, um mir von »höchster« Stelle einen Rat zu holen.
Heute kann ich es fast nicht mehr nachvollziehen, dass ich damals den Mut aufbrachte, der großen Erna Berger vorzusingen … Sie zählte neben Maria Cebotari zu meinen ganz großen Vorbildern. Ihr wollte ich vorsingen, ihre Meinung wollte ich einholen, von ihr wollte ich erfahren, ob ich meinen Beruf zugunsten einer Gesangskarriere aufgeben sollte. Ich sang die Butterfly-Arie, danach die Königin der Nacht und das Nachtigallen-Lied. Begleitet wurde ich von Michael Raucheisen – zur damaligen Zeit einer der berühmtesten Pianisten und der Gatte von Maria Ivogün. Als der letzte Ton verklungen war, sagte Erna Berger: »Mein Kind, ich wäre froh gewesen, wenn ich in Ihrem Alter die Königin der Nacht schon so hätte singen können! Sie können mit ruhigem Gewissen Ihren Beruf beim Zahnarzt aufgeben und Sängerin werden. Und Sie werden eine außergewöhnliche Karriere machen! Leider kann ich Sie selbst aus Zeitgründen nicht unterrichten, aber ich rate Ihnen, bei Maria Ivogün Gesangsunterricht zu nehmen.« Diesen Moment werde ich mein ganzes Leben lang nicht vergessen. Es war ein unbeschreibliches Glücksgefühl … Zugleich war dieses Ereignis die große Wende in meinem Leben – sozusagen vom »normalen« bürgerlichen Leben hin zu einer künstlerischen Laufbahn, und das begann gleich mit einem einschneidenden Ereignis.
Jetzt ist es so weit: mein erster Auftritt bei einem Konzert vom Rundfunk RIAS Berlin mit dem Nachtigallen-Lied.
Die Namensverwechslung – oder warum aus Renate Franke Renate Holm wurde
Meine allererste Gesangsaufnahme bei dem Rundfunksender RIAS Berlin war zufälligerweise ein Wiener Lied und hieß An der Donau, wenn der Wein blüht. An jenem Nachmittag, an dem es ausgestrahlt werden sollte, saßen wir – meine Mutti und einige Freunde – gespannt vor dem Radio. Die Moderatorin sagte das Lied an und es erklang meine Stimme erstmalig über den Äther. Ich weiß nicht, was lauter war, die Rhythmusinstrumente des Orchesters oder unser aller Herzklopfen … Als das Lied zu Ende war, warteten wir aufgeregt, dass nun zum ersten Mal auch mein Name – Renate Franke – genannt werden würde. Denn das war mein bürgerlicher Name.
Im Film kommt es sehr auf die Wandlungsfähigkeit des Gesichts und der Ausstrahlung an – besonders bei den Großaufnahmen. Hier zwei Beispiele.
Doch was nun folgte, war der entscheidende Moment dafür, dass aus Renate Franke Renate Holm wurde. Die Moderatorin sagte nämlich: »Das soeben gehörte Lied sang Renée Franke.« Geistesgegenwärtig wie immer rannte meine Mutti zum Telefon, ließ sich mit dem RIAS verbinden und sprudelte: »Bitte, bitte, Sie müssen das richtigstellen! Die Sängerin, die gerade gesungen hat, ist meine Tochter Renate Franke und nicht die Schlagersängerin Renée Franke. Meine Tochter hat heute zum ersten Mal im RIAS gesungen … bitte könnten Sie das nicht korrigieren?«
Nun warteten wir bis zum Schluss der Sendung und tatsächlich sagte die Moderatorin dann abschließend: »Liebe Hörerinnen und Hörer, ich möchte an dieser Stelle noch etwas klarstellen. Das Lied An der Donau, wenn der Wein blüht hat nicht Renée Franke, sondern die junge Berlinerin Renate Franke gesungen, und das war ihr RIAS-Debüt, zu dem wir alle sehr herzlich gratulieren!«
In diesem Moment war ich vor Glück den Tränen nahe – aber die Namensverwechslung durfte sich nicht wiederholen! Was tun??? Eine Namensänderung war wohl die einzige Lösung. Kurz entschlossen griff ich zum Telefonbuch, schlug wahllos eine Seite auf und das war der Buchstabe »H«. Und nach wenigen Sekunden stieß ich auf HOLM. »Mutti«, sagte ich, »ich finde, Renate Holm ist ein super Name!« Wir umarmten uns alle, führten einen Freudentanz auf und Renate Holm war geboren.
Neue Gesangstechnik – und ganz neues Repertoire
Doch auch die nächste große Veränderung ließ nicht lange auf sich warten. Bereits meine erste Gesangsstunde bei Maria Ivogün bedeutete eine 180-Grad-Wende meiner bisherigen Gesangstechnik – und ich musste meine Träume begraben. Es gab keine Butterfly, keine Tosca, kurzum: keine dramatischen Rollen. Sich von einem innigen Wunsch zu verabschieden, ist natürlich nicht einfach. Aber die Zukunft hat gezeigt, dass ich sehr gut beraten war mit dieser Entscheidung, denn die Ivogün stellte fest, dass ich ein sehr hoher Koloratursopran – mit dem dreigestrichenen a! – war. Im Unterricht legte sie größten Wert auf kleine zarte, exakt gesungene Töne, auf viel Piano und eine geradezu gestochene Koloratur. Für mich war dieser Weg eine völlig neue Herausforderung. Koloratursängerin ist wohl das schwerste Fach unter den Sängerinnen. Nichts ist so fragil und heikel und bedarf einer derart hohen Konzentration und Disziplin. Gleichzeitig hatte ich aber auch Bedenken, ob ich mir mit Schlagern nicht die Zukunft verbauen und unter Umständen vielleicht meine Stimme verderben könnte! »Aber warum denn, mein Kind, warum sollen Sie nicht auch solche Lieder singen?«, beruhigte mich die Ivogün, »heute wird auch in der Unterhaltungsbranche sehr viel Wert auf eine schöne Stimme gelegt. Und Sie sind hübsch und charmant. Machen Sie das! Wenn Sie wollen, können Sie immer noch Opernsängerin werden.«
Wenn ich heute an diese Zeit zurückdenke, zählen die darauffolgenden fünf Jahre sicherlich zu den turbulentesten meines Lebens. Ich war, wie man so schön sagt, zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Dass ich 1953 als Schlager- und ein Jahr später parallel dazu als Filmstar so eine Blitzkarriere machen konnte, lag nicht zuletzt auch an der damaligen Zeit, an der Gunst der Stunde. Im Vergleich zu heute war die Branche überschaubarer und die Konkurrenz im Showgeschäft weniger brutal. Zugute kam mir mit Sicherheit auch die Tatsache, dass ich eine ausgebildete Stimme hatte. Denn die Schlagermelodien der damaligen Zeit sind in keiner Weise mit der heutigen sogenannten Schlagermusik vergleichbar. Viele der Lieder, die ich damals sang und die als Unterhaltungsmusik galten, waren in gesangstechnischer Hinsicht höchst anspruchsvoll. Das Nachtigallen-Lied ist beispielsweise durchaus vergleichbar mit einer Koloratur-Arie. Deshalb studierte ich jedes einzelne Lied mit meiner Gesangslehrerin ein und gab mein Bestes, damit das Glück nicht davonflog … Mein Terminkalender war voll, und meine Entdecker Ernst Verch und Werner Müller waren davon überzeugt, mit mir – der Nachtigall von Berlin – eine neue Marta Eggerth entdeckt zu haben … Tourneen führten mich quer durch Deutschland, nach Belgien, Holland, Dänemark, Schweden, aber natürlich auch nach Österreich und in die Schweiz. In dieser Zeit drehte ich zehn Musikfilme, davon neun Hauptrollen – unter anderem Große Star-Parade, Fräulein vom Amt, Wunschkonzert sowie den Operettenfilm Schön ist die Welt mit Rudolf Schock. In der Film- und Schlagerwelt standen mir alle Tore offen …