"Wer seiner Seele Flügel gibt …". Renate Holm
Besondere an diesem Weg ist auch die herrliche Aussicht, die man bei jedem Schritt genießt. Die Weite der Landschaft, die sanften Hügelketten, die malerischen Weingärten – in der ganzen Umgebung gibt es nichts Schroffes, keine »Ecken und Kanten«, hier zeigt sich das Weinviertel von seiner lieblichsten Seite. Diese Harmonie und Ruhe sind unendlich wohltuend und haben viele meiner Kollegen von der Oper, vom Theater und ganz besonders meine malenden Freunde fasziniert. Wenn mich zum Beispiel Eberhard Waechter, Michael Heltau, Heinz Holecek, Ernst Stankovski, Heinz Marecek, Gundula Janowitz, Otto Schenk, Staatsoperndirektor Egon Seefehlner oder auch einmal der von mir sehr geschätzte Prawy-Nachfolger Christoph Wagner-Trenkwitz in der Mühle besuchen kamen, stand so gut wie immer ein Spaziergang in die umliegenden Weinberge auf dem Programm. Und da der Glöckchenweg in einen kleinen Feldweg mündet, den man stundenlang entlangspazieren kann, gab es bei diesen gemeinsamen Wanderungen immer viel Zeit und Muße für einen inspirierenden Gedankenaustausch. Man sprach über bevorstehende Premieren genauso wie über Gesangstechnik oder neue Projekte. Kurz gesagt, wir diskutierten über »Gott und die Welt«, und inmitten dieser traumhaften Kulisse war es natürlich oft auch ein Thema, wie wir die Erhabenheit und Schönheit der Natur in unsere Kunst einbringen konnten. Sänger haben hier ganz andere Erfahrungen als Schauspieler, und Maler haben wiederum eine andere Sichtweise … Da gab es natürlich immer viel zu erzählen …
Auf dem Heimweg, sobald die Mühle in Sichtweite war, wurde es dann wieder sehr realistisch. – Schon kam der Satz: »Wir haben Hunger!« Und Heinz Zednik und Heinz (Honzo) Holecek, die beiden Weltmeister im Singen, aber auch »im Pflanzen«, sagten quasi »im Duett«: »Na, Renatchen, wat jibts denn heute aus deine Balina Küche?« Die Antwort war im Innenhof der Mühle, wo bereits meine »Heinzelmännchen« eine große Tafel gedeckt hatten mit Renates klassischem Berliner Buffet. Hierzu gehörten echte Berliner Buletten und Kartoffelsalat (nach Holms Spezialrezept zusätzlich verfeinert mit Äpfeln und Salzgurken!), Berliner Würstchen sowie »Hackepeterbrötchen« (eine Art Tatar aus Schweinefleisch mit viel kleingehackten Zwiebeln) und als Beilage meine geliebten Spreewälder Salzgurken. Dazu gab es eine Berliner Weiße mit Schuss – entweder in Rot oder Grün, also mit einem Schuss Himbeersaft oder Waldmeister. Und als Nachtisch: Rote Grütze mit Vanillesauce – und vor allen Dingen für die »Herren der Schöpfung« ein Stamperl Steinhäger.
Meine Mühle war immer offen für alle Freunde und Kolleginnen und Kollegen. Heinz Zednik mit einer von mir selbst gebratenen Berliner Bulette (Laberl) am Teller
Der wunderbare Otto Edelmann, mein Baron Ochs in unzähligen Rosenkavalier-Aufführungen, mit seiner zauberhaften Frau Ilse
Otti Schenk und Tenorissimo Georgi Tscholakoff im »Duell«: Wer hat das bessere Muskeltraining?
Jeder kennt ihn, jeder liebt ihn, immer strahlend: Niederösterreichs ehemaliger Landeshauptmann Erwin Pröll
Diese kleinen Feste und Zusammenkünfte haben oft bis spät in den Abend hinein gedauert, und zum Abschluss dieser herrlichen Sommernächte zündeten wir meist noch ein Lagerfeuer an, und spätestens dann wurde mit einem zarten Unterton nach einem Flascherl Wein verlangt. Genauer gesagt: Alle wollten einen Grünen Veltliner aus der Region – schließlich war man heute ja ausgiebig in den Weingärten spazieren gegangen … Der Abend endete somit in gewisser Weise, wie der Tag begonnen hatte: mit den »Geschenken« der Natur, die man hier auf so vielfältige Weise genießen kann.
Die unmittelbare Nähe zur Natur und meinen Tieren und die Erhabenheit der über dreihundert Jahre alten Gemäuer meiner Mühle bieten mir eine einzigartige Geborgenheit und gleichzeitig die Möglichkeit, dieses Glück mit den vielen Menschen bei meinen Konzerten und meinen Freunden zu teilen.
»Das Glück is a Vogerl gar liab, aber scheu, es lasst si schwer fangen, aber fortgflogen is glei.«
Auszug aus dem Lied
DAS GLÜCK IS A VOGERL
In Wien sagt man: »Das Glück ist ein Vogerl«. Mir gefällt diese Formulierung, weil sie viel schöner und fantasievoller ist, als realistischerweise festzustellen, dass einem das Glück nun einmal nicht in den Schoß fällt. Ehrlich gesagt, glaube ich auch nicht, dass man mit Glück alleine Karriere machen kann. Ich glaube daran, sich auf faire und anstrengende Weise etwas erarbeiten zu können. Wie sich die Fügungen des Schicksals dann in der Folge ergeben, ist wiederum eine andere Frage – und bis zu einem gewissen Grad natürlich immer auch ein bisschen Glückssache … Wenn ich an die Schlüsselerlebnisse denke, die meine Karriere vorangetrieben haben, war es meine Mutter, die den allerersten – ja, man kann sagen schicksalhaften – Impuls setzte. Ich war zwölf Jahre alt, als sie mir als Belohnung für ein besonders gutes Schulzeugnis eine Kinokarte für die Verfilmung der Puccini-Oper Madame Butterfly schenkte. Es war die erste Oper meines Lebens. Maria Cebotari sang die Butterfly. Ich war vom ersten Moment an äußerst ergriffen und verlor völlig die Fassung. Ich weinte, und wie eine Zwiesprache mit Gott flüsterte ich auf dem Heimweg immer und immer wieder den Satz »Bitte lass mich Sängerin werden …« Es war ein zutiefst spiritueller Moment … Zum damaligen Zeitpunkt konnte ich natürlich nicht ahnen, welche Umwege das Leben für mich bereithalten sollte, ehe mein Kindheitstraum von einer Opernkarriere in Erfüllung gehen sollte. Der Wunsch war seit diesem Kinobesuch jedenfalls fest in meinem Herzen verankert.
Auch die zweite richtungsweisende Initiative verdanke ich meiner Mutter. Als ich 19 Jahre alt war, vereinbarte sie einen Termin zum Vorsingen bei der Gesangslehrerin und Sängerin Waltraud Waldeck. Meine Stimme war bereits in der Schule aufgefallen (… im Singen hatte ich nämlich eine Eins, dafür eine Drei in Mathematik!). Nun galt es also, meinen Traum an der Realität oder, besser gesagt, an den Möglichkeiten meiner Stimme zu messen. Nach dem Vorsingen meinte die Waldeck: »Ja, Renate, du hast eine sehr schöne Naturstimme. Aus dir mache ich eine große Opernsängerin! Aber wir werden jeden Tag dafür arbeiten und üben müssen. J e d e n Tag!«
Die Arie der Madame Butterfly, meiner großen Traumrolle, habe ich leider nur 1961 im Fernsehen gesungen, in der großen Lou-van-Burg-TV-Show
Dieser Filmbesuch – mit Maria Cebotari als Madame Butterfly – war der wirklich entscheidende Einschnitt in meinem Leben, Sängerin zu werden
Als zahnärztliche Helferin habe ich mein Gesangsstudium finanzieren können, auch diese Tätigkeit hat mir viel Freude gemacht. Und wer weiß? Wenn es mit dem Singen nicht geklappt hätte, wäre ich vielleicht als Dr. Renate Franke eine berühmte Zahnärztin geworden …
Beflügelt von dem Vertrauen, das Frau Waldeck in mich setzte, hatte ich bereits am nächsten Tag meine erste Gesangsstunde bei ihr. Da ich auf Wunsch meiner Mutter (ich sollte eine abgeschlossene Berufsausbildung haben) kurz zuvor eine Lehre als zahnärztliche Helferin begonnen hatte, hieß dies für mich zwei Jahre lang täglich elf Stunden Zahnarztpraxis, womit ich mir letztendlich das Gesangsstudium finanzierte, und anschließend eine Stunde Gesangsunterricht!