Der Weg nach unten. Franz Jung

Der Weg nach unten - Franz Jung


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begrenzt durch die bestimmte Geisteshaltung einer Schicht, für mich auszunutzen.

      Aus Abwehr und Provokation, aber beinahe, wie ich das heute sehe, mehr aus dem Eigensinn der Verschmähung, habe ich mich wieder dem Handelsjournalismus zugewandt. Dieser Wechsel hat sich in den verschiedenen Phasen meines Lebens wiederholt, aus der gleichen Ursache, mit dem gleichen Zweck und dem gleichen negativen Erfolg: Ich glaubte, eine Erleichterung der materiellen Existenz, eine größere Unabhängigkeit zu erkaufen, um in eine desto größere Unruhe und Unausgeglichenheit zu geraten, die sich als Schuldgefühl ins Bewusstsein eingebrannt hat. Ich bin das Kainszeichen des Literaten seit damals nicht mehr losgeworden, immer wieder zur Literatur zurückgekehrt, unter immer erschwerteren Bedingungen und mit Arbeiten, die immer weniger diszipliniert und durchgefeilt waren.

      Das sollte sich sogleich in voller Schärfe zeigen in Berlin, wohin ich wieder zurückgekehrt war. Ich hatte die Initiative zu einigen Vorverhandlungen aufgebracht: Ich konnte mit einer etwas losen Bindung bei meiner alten Firma wieder eintreten, ich würde für einige Provinzblätter die Berliner Börsenvertretung übernehmen, die über Ahrends & Mossner abgewickelt wurde. Margot war nun bereit gewesen, sogleich mitzugehen. Ihre Mutter würde kommen und uns die Wirtschaft führen. Das Kind hatte die Mutter inzwischen bei meinen Eltern in Neiße untergebracht.

      Wir sind ohne Bedauern von München geschieden. Aber auch die allgemeine Abwanderung von Kunst und Literatur aus München hatte 1913 bereits eingesetzt. Margot konnte den größten Teil der Leute, mit denen sie im Stefanie zusammengesessen hatte, bereits wenige Monate später im Café des Westens am Kurfürstendamm wiedertreffen.

      Ich hatte inzwischen ein zweites Buch, „Kameraden“, bei Weißbach in Heidelberg veröffentlicht, um dessen Aufnahme bei der Kritik ich mich wenig gekümmert habe. Immerhin – ich geriet damit in den Kreis um die Zeitschrift „Die Aktion“ und wurde bald deren regelmäßiger Mitarbeiter mit Aufsätzen, meist sozialkritischen Inhalts. Ich erinnere mich eines Appells in Form einer Kurzgeschichte, „Morenga“, zur Rettung der Hereros in Deutsch-Südwestafrika, denen die deutsche Kolonialverwaltung ihre Rinderherden weggenommen hatte, um für ein Dutzend weißer Siedler genügend eigenes Weideland zu sichern. Es war zu einer Revolte gekommen, die von der deutschen Regierung zu einem Kolonialkrieg ausgeweitet wurde, mit einem Expeditionskorps und täglichen Erfolgsbulletins in der Presse. Die Hereros, in der überwiegenden Mehrzahl mit Stöcken bewaffnet, vereinzelt mit einigen englischen Jagdgewehren, hatten keine Chance gegen die deutschen Schnellfeuergeschütze und Maschinengewehre. Die militärischen Operationen beschränkten sich daher auch darauf, die einzelnen Stämme voneinander zu trennen und einzeln in die Wüste abzudrängen, wo sie dann verhungert und verdurstet sind, 40 000 Männer, Frauen und Kinder.

      Um Franz Pfemfert, den Herausgeber der „Aktion“, hatte sich ein Kreis von jungen Dichtern gesammelt, der mit Recht als die junge literarische Generation gewertet werden konnte. Wer überhaupt etwas auszusagen hatte, in welcher Form immer, in glatten oder holprigen Versen, es kam auf den Willen zur Aussage an, den inneren Zwang, den dynamischen Druck zur Aussage, hatte Zugang zu der Zeitschrift; er war willkommen.

      Dieser zunächst auf die Jugend beschränkte Kreis schien durch nichts aneinander gebunden. Es war auch kein eigentliches Profil vorhanden, das man dieser literarischen Bewegung, sofern eine solche überhaupt vorhanden gewesen ist, hätte zuweisen können. All dies ist später und rückwirkend erfolgt.

      Franz Pfemfert brachte diese jungen Dichter, die Neopathetiker, wie Alfred Lichtenstein, Ernst Blaß, van Hoddis und andere, wie Gottfried Benn und Oscar Kanehl, Richard Öhring, in einen Rahmen politischer und sozialkritischer Essays, den Leitartikeln zur sozialen Tagesgeschichte und der Interpretation von Bakunin, Kropotkin und Proudhon. Der Dichter wurde, ob er wollte oder nicht, zur sozialkritischen Analyse erzogen – ganz gleich, dass diese Dichter später im Kriege und nachher wieder ihre verschiedenen Wege gegangen sind.

      Erleichtert wurde dieser Erziehungsprozess, wenn man die Entwicklung so nennen darf, durch die Mitarbeit der bereits Arrivierten in der Literatur. Ich glaube, dass es in diesen Jahren kaum einen Schriftsteller von Format und Bedeutung gegeben hat, der nicht stolz darauf gewesen war, in der „Aktion“ zu erscheinen; er war dies schon seinem Prestige schuldig. Dieser Grad von Verschmelzung in einem betont sozialkritischen Rahmen hat die „Aktion“ besonders ausgezeichnet.

      Wenn heute die Literaturhistorie diese Jahre und diesen Mitarbeiterkreis als den deutschen Expressionismus in der Literatur bezeichnet, so muss ich sogleich hinzufügen, dass dieser Expressionismus der Protest gewesen ist gegen die Enge der Beobachtung im Naturalismus, eine Art Barriere gegen die Gefahr einer aufkommenden Neo-Romantik, gegen das Epigonenhafte der Neo-Klassik. Das Ursprüngliche und Eigenartige in dieser Zusammensetzung voneinander so verschiedener Faktoren war der Trieb, das Ich in den Mittelpunkt zu stellen gegen die Einwirkungen der Umwelt, die Verteidigung und der Angriff gegen die bestehende Gesellschaftsform. Erst viel später hat die Literaturhistorie die gemeinsame Linie entdeckt in der Sprache, der Ausdrucksform und der Diktion. Auch die Sprache war bereits zu eng geworden, zu sehr erstarrt und eingefroren und nicht mehr dehnbar genug. Den Dichtern selbst ist dies zur Zeit nicht bewusst gewesen. Seltsam, wie unberührt frisch sich die Sprache des Expressionismus erhalten hat. Sie ist zugeschüttet worden durch die beiden Kriege und die jeweiligen Nachwirkungen. Aber sie ist so lebendig geblieben, die Sprache wie die Diktion, dass man jederzeit wieder beginnen könnte, darauf neu aufzubauen. Man sollte diese Entwicklung nicht aus der Fliegenperspektive betrachten, in der sich heute einige ihrer Mitläufer gefallen. Die Perspektive ist weiter: Der Expressionismus war bereits Teil einer revolutionären Bewegung mit sehr starken politischen Akzenten der Sozialkritik.

      In dem engeren Kreis um Franz Pfemfert und die Geschwister Ramm war Ludwig Rubiner die überragende Persönlichkeit. Sein Essay „Der Dichter greift in die Politik“ hat genau das getroffen, was wir alle damals gefühlt haben. Zu diesem Kreis gehörte Karl Otten, zeitweise Kurt Hiller, Carl Einstein, Sternheim und Landauer, und als gute Freunde, so zu sprechen, die großen Verleger Fischer, Kurt Wolff und Rowohlt, so seltsam das heute erscheinen mag, weiterhin Alfred Kerr und Maximilian Harden.

      Das ist das Phänomen Pfemfert: Wie hat er diese enorme Aufgabe bewältigen können? – und den ganzen Weltkrieg hindurch … Wie sind die Gelder zusammengekommen, die Zeitschrift durchzuhalten? – zu denen dann noch die Kosten des Buchverlags hinzugekommen sind? Zwar zahlte die Aktion keine Honorare, aber das ist nicht das Entscheidende; vielleicht überhaupt nicht das Geld, sondern die Arbeit, der Briefwechsel mit den Autoren und den Hunderten von Leuten aus aller Welt, die technische Redaktionsarbeit der Herausgabe, der Drucklegung und des Versands … für jeden Fachmann gesehen, ein Phänomen.

      Pfemfert hat nie irgendwelche Helfer gehabt, abgesehen von Alexandra Ramm, seiner Frau. Er wohnte in der Nassauischen Straße im Wilmersdorfviertel in Berlin in einem Hinterhaus im vierten Stock. Dort war eine Art Arbeitszimmer, und Pfemfert saß hinter einem Tisch vor einem Berg von Briefen und Manuskripten, die Zigarrenkiste mit dem Tabak vor sich, aus der er sich ständig die Zigaretten stopfte. Er war immer zu sprechen und für jeden, von frühmorgens bis spät in die Nacht. Die Tür war für jeden Besucher offen.

      Ich will hier nicht verschweigen, dass ich mich in dem Aktionskreis nicht wohl gefühlt habe. Man behandelte mich mit einer an sich freundlichen Distanz. Und obwohl Pfemfert später im Kriege in rascher Folge meine Arbeiten herausgebracht hat, es sind diejenigen Bücher, die vielleicht Anspruch auf bleibenden Wert haben, wenn auch nur charakteristisch für eine eng begrenzte Epoche, so bestand in Wirklichkeit nur eine sehr lose Verbindung zwischen uns. Zu Ludwig Rubiner konnte ich bedauerlicherweise überhaupt keinen Kontakt gewinnen, und mit Carl Einstein werde ich kaum mehr als ein paar Worte gesprochen haben. Ich vermute heute, dass Franz Pfemfert diese meine Arbeiten, die zum größten Teil im Festungsgefängnis Spandau entstanden waren oder kurz nachher, wie die Romane „Sophie“, „Opferung“ und „Der Sprung aus der Welt“, geeignet gefunden haben muss, der Verflachung der Literatur im Kriege entgegenzuwirken – das Einzelschicksal des Menschen, besonders in der Beziehung zur Frau und der Umwelt, lässt den Krieg völlig ignorieren, der Krieg ist nicht viel mehr als ein lästiges und aufdringliches Gerücht –, aber gesprochen hat Pfemfert mit mir darüber nicht. Diese Arbeiten sind sogleich in dem allgemeinen Kriegsrummel mit untergepflügt worden. Sie haben heute einen gewissen Seltenheitswert


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