Was fehlt, wenn uns die Tiere fehlen?. Simone Horstmann

Was fehlt, wenn uns die Tiere fehlen? - Simone Horstmann


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zumindest dies eine als Hoffnung blieb: Ich bin kein Tier. Dass der Mensch stirbt, das Tier aber verendet, heißt ja schließlich: Der Tod bedeutet beiden etwas grundsätzlich anderes. Das Sein der Tiere ver-endet an der Todesgrenze, hinter ihm schließt sich für immer eine Tür. Menschen sterben – man höre nur dem Rhythmus der beiden Wortsilben nach: Ein anfängliches Stolpern, ein kurzes Innehalten ist ihnen der Tod – st…! – aber es folgt dann doch noch etwas, und die Tür fällt niemals so ganz ins Schloss, weil der Mensch immer noch einen Fuß dazwischen bekommt. Unsere Sprache hat lange keinen Zweifel daran gelassen, dass Menschen und Tiere ein Abgrund trennt. Tiere werden geworfen, sie fressen, vegetieren vor sich hin, werden erlegt oder verenden schließlich.

      Mit diesen Worten bringt Heidegger den aus seiner Sicht entscheidenden Unterschied zwischen Tieren und Menschen auf den Punkt: Während der Tod des Menschen metaphysische Qualität besitze, sei der Tod der Tiere bedeutungslos. In seinen knappen, apodiktischen Sätzen scheint er diesen Unterschied mehr zu behaupten denn argumentativ zu belegen. Gefährlich ist seine Sichtweise dennoch: Wer wie Heidegger vom Verenden der Tiere spricht, ihrem Sterben also lediglich eine chronologische Bedeutung, aber keine darüber hinausreichende existentielle oder gar metaphysische Relevanz zuerkennen will, verwehrt ihnen letztlich ihren Tod. Darin dürfte eine besonders perfide Strategie liegen, das Leben der Tiere zu diskreditieren – jener Tiere, die einerseits immer noch Sinnbild einer menschengemachten Vernichtung sind, und denen andererseits auch im Gefolge einer Sprachnorm á la Heidegger nicht zugestanden wird, wirklich zu sterben. Die Moderne wird sich daher zu Recht die Frage gefallen lassen müssen, ob sie überhaupt noch in der Lage ist, den massenhaften und industriellen Tod der Tiere zu glauben, ihn wirklich als jenes Grauen anzuerkennen, das er ist.

      „Statt Todeswirrnis – Reinlichkeit und Ordnung“

       „[…] krepieren sozusagen den seichteren Tod, / verlieren – wir wollen es glauben – weniger Welt und Fühlen, / verlassen – so will uns scheinen – eine weniger tragische Bühne.“

      Und nur kurz darauf heißt es dann von dem toten Käfer: „Er liegt, als wäre ihm nichts von Bedeutung passiert.“ Diesem Mantra eines bedeutungslosen Sterbens und Verschwindens der Tiere folgt unsere Gesellschaft bis heute. Mögen Darwin und mit ihm die neueren Evolutionstheorien die Grenze zwischen den Arten noch so sehr eingeebnet haben, spätestens wenn es ans Sterben geht, zelebrieren wir bis heute die doppelte Metaphysik eines bedeutungslosen, weil tierlichen Todes auf der einen und den metaphysischen Staatsakt menschlichen Sterbens auf der anderen Seite. Inwieweit sich durch die zunehmenden Möglichkeiten und Formen von Tierbestattungen eine Trendwende abzeichnet, bleibt abzuwarten.

      Es ist daher aufschlussreich, die Gründe für die Instandsetzung und die jahrhundertelange, penible Wartung dieser fundamentalen Grenze zu suchen, über die keine Brücke zu führen scheint. Was genau schützt eine solche Sprachnorm, die den Menschen das Sterben exklusiv zuspricht und damit zugleich andeutet, dass dieses Sterben besonders, womöglich nicht endgültig sei? Wenn es umgekehrt betrachtet stimmen sollte, dass Tiere sterben (und eben nicht „verenden“), dann definieren sich beide Begriffe nahezu gegenseitig. Am sterbenden Tier lernt der moderne Mensch eine der schmerzlichsten Lektionen des Lebens, vor der ihn die Rede vom Verenden der Tiere nach Möglichkeit zu bewahren sucht: Tiere sterben – und was stirbt, ist – so der unaussprechbare Verdacht – vielleicht auch ein Tier? Das Eigenleben der Begriffe, die eine solche Conclusio ermöglichen, rührt an die tiefsten Ebenen des menschlichen Bewusstseins und präsentiert eine schiere Ungeheuerlichkeit: Mit den Tieren sterben immer auch die Menschen. Selbst wir fühlen im Angesicht sterbender Tiere jenes urtümliche Erschrecken: Blickt uns aus den Winkeln der Tieraugen etwa das Nichts an? Erkennt der menschliche Blick in den sterbenden Tieren jenen Mangel an Sein, eine Spur jenes Nichts, aus dem doch letztlich beide hervorgerufen wurden?

      Grund zu einer kritiklosen Naturemphase gibt es wahrlich nicht; der Anblick toter oder sterbender Tiere dürfte die schnellste Kur gegen derart blumige Naturromantizismen sein. Schönheit und Schrecken gehen in dem, was wir „Natur“ nennen, ineinander über. Unsere Wahrnehmung kippt mitunter von einer Sekunde auf die nächste, und was zuvor schön und erhaben schien, gibt sich sogleich als urtümliches Grauen einer alles zermalmenden Wirklichkeit zu erkennen. Oft lassen sich beide Eindrücke aber auch gar nicht voneinander trennen, wie jeder weiß, der nur einmal aufmerksam einen Strand abgeschritten ist. Die sandigen Küstenabschnitte, die so erhaben auf uns wirken, sind doch immer auch die zertretenen Grabstätten von unzähligen Muscheln, deren Kalkhüllen sich hier mit den Gesteinsstückchen feinsten Sandes mischen. Es wäre zumindest nicht falsch zu behaupten, dass jene Küstenstreifen unüberschaubaren Friedhofsarealen gleichen. Ergriffenheit und Erschütterung gehen Hand in Hand in der Erfahrung dessen, was wir landläufig Natur nennen; in ihr scheint die Ambivalenz von Sterben und Lebendigkeit zutiefst verwoben zu sein. In unserer Erfahrung mit den Tieren scheint sich diese irritierende Erfahrung bis ins Unerträgliche zuzuspitzen.

      Eine Reise ins Herz der Finsternis

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