Hart's Bay: Wo unser Herz sich entscheidet. E. P. Davies
Verladung zu unterteilen. Es erlaubte den Geschwistern nach dem großen Streit gemeinsam, aber dennoch getrennt zu arbeiten. Dad und Roy hatten sich auf eine Seite geschlagen und da die Verarbeitung und Verladung ungefähr die Hälfte des Geschäfts ausmachten, hatten sie diesen Teil gern übernommen.
Auf der anderen Seite des Streits – worum auch immer es gegangen war – hatten Onkel Monty und sein Großvater Floyd gestanden, der nach dem Stadtgründer benannt war. Monty – Rains Vater – sollte die zweite Hälfte des Betriebs übernehmen. Aber er war noch jung gewesen und nicht sicher, wie man ein Geschäft führte. Daher hatte Floyd an seinem Teil des Geschäfts festgehalten, um es für Monty zu führen.
Und dann hat er seine Hälfte dichtgemacht, um so viel Geld für sich selbst zu retten, wie irgendwie möglich war, dachte Finn und drängte den schwelenden Zorn über die selbstsüchtige Entscheidung zurück.
Finns Vater und Onkel dagegen hatten lieber die Verarbeitung so lange wie möglich weiterlaufen lassen, als gute Männer und Frauen harten Zeiten auszuliefern. Irgendwann war trotz ihrer Bemühungen alles in sich zusammengebrochen.
Nun arbeitete Finn als Vorarbeiter in Onkel Roys neuer Baufirma – dem einzigen Arbeitsfeld, das ihnen mit einer Bonität wie ihrer offenstand.
Es war gute, ehrliche Arbeit. Finn konnte sich nicht beklagen. Er war gern im Freien, arbeitete mit den Händen und machte innerhalb strenger Zeitvorgaben und eines Budgets Wunder möglich.
Aber die Wunden schmerzten, wenn er ihnen herumstocherte. Unter dem Geflüster und Gemurmel über die eigenen Eltern und Onkel aufzuwachsen, war hart gewesen und auch wenn so etwas Jungen seines Alters nicht viel ausmachte, galt das nicht für deren Eltern. Sie waren diejenigen gewesen, die arbeitslos geworden waren und verzweifelt nach einer Stelle gesucht hatten, als Großvater gierig geworden war.
Da war es besser, sich auf billige Sextreffen zu beschränken, bei denen seine Vergangenheit keine Rolle spielte und niemand etwas von ihm erwartete, das er nicht leisten konnte.
»Klingt, als wärst du es gewohnt, diese Geschichte zu erzählen.« Jesses Bemerkung schnitten durch Finns Gedanken und brachten ihn zurück in die Gegenwart. Seine Hand lag immer noch als fester, warmer Trost auf Finns Knie.
Finn legte die Hand über Jesse und fuhr sanft mit dem Daumen über die glatte Haut bis zu seinem Handgelenk. »Ja. Jeder, der nicht von hier ist, fragt, sobald er herausfindet, dass ich ein Hart bin.«
»Dann tut es mir leid, dass ich so berechenbar bin.« Jesses Augen funkelten. »Ich werde dich auf der Straße ignorieren, wenn das ein Ausgleich für all diesen Ruhm sein sollte.«
Finn grinste Jesse an. Er war ein kleiner Unruhestifter, oder? Verdammt, das gefiel ihm. »Dann hast du mir einen Gefallen getan, als du mit deinen Freunden unterwegs warst. Hast mein Ego im Zaum gehalten. Danke.«
»Wenn du es nicht erwähnst, tu ich es auch nicht.« Jesse zwinkerte. »Was vermutlich das Beste für uns ist, hm?«
Uns?
Das Wort hatte eine seltsame Wirkung auf Finns Blut. Es erhitzte seine Wangen und ließ seine Zehen kribbeln. Es sorgte dafür, dass Finn nachhaken und fragen wollte, was genau damit gemeint war. Dass er jeden Zentimeter von Jesses Körper an jedem Zentimeter der Stadt, die er so gut kannte, erkunden wollte. Dass er ihn zu jedem verborgenen Winkel mitnehmen wollte. Ihn durch die Hintertür hineinschmuggeln – oder sich selbst durch Jesses Hintertür. Wortspiel beabsichtigt.
Finn leckte sich die Lippen, sein Mund war plötzlich trocken. »Oh?«
»Nicht jedem zu erzählen, was wir am Strand gemacht haben.« Jesses Stimme war überraschend fest und höflich, als versuche er, ihn auf Abstand zu halten. Er nahm sogar seine Hand von Finns Knie.
Das plötzliche Fehlen der Berührung weckte in Finn den Wunsch, seine Grenzen abzuklopfen. Er musste herausfinden, was Jesse wirklich wollte; nicht nur das, was er sagte, dass er es wollte.
Schweigend rutschte Finn näher und legte hinter Jesse den Arm auf die rissige Holzlehne. Als er sich Jesse zuwandte, stießen ihre Knie gegeneinander. Dann plötzlich drückten sich ihre Oberschenkel aneinander.
Sein Mund war nur Zentimeter von Jesses entfernt. Ihr Atem war warm und ging schnell, während Jesses Blick zwischen Finns Augen umherhuschte. Er beugte sich nicht nach hinten und stand auch nicht auf, um zu flüchten. Nein, er hielt die Stellung. Selbst wenn er Finn herausfordernd in die Augen sah.
Aber selbst als Finn sich die Lippen leckte, machte Jesse keine Anstalten, ihn zu küssen.
Finn konnte spüren, dass er es wollte. Er nahm die leise Vibration von Jesses Körper und in der Luft zwischen ihnen wahr. Wie Jesses Blick über sein Gesicht tanzte und jedes Detail in sich aufnahm.
Was hielt ihn auf?
»Du hast vorhin gesagt, dass du auch nicht auf etwas Festes aus bist.« Jesses Worte waren leise, beinahe ein Flüstern, das nur Finns Ohren erreichte. »Also vermute ich, dass du nur eines willst.« Selbst hier, mitten in der Stadt, fühlte es sich an, als wären sie ganz allein.
Und zum ersten Mal war Finn froh, dass der Stadtkern verlassen war. Es gab nur sie beide und das leise Gemurmel, das aus der Bar kam, dazu das Flüstern des Ozeans hinter den Häusern.
Was wollte Jesse, wenn er Finn nicht küssen wollte? Ihm wieder in die Arme fallen und noch einmal für Minuten, die sich nach einem ganzen Leben anfühlten, in Ekstase versinken?
»In Versuchung?« Finn atmete die Silben gegen Jesses Lippen und schloss die Distanz zwischen ihnen, bis sich fast ihre Nasen berührten. Er wartete auf ein Zeichen – ein Ja oder Nein, ob laut ausgesprochen oder nicht.
»Mehr als das. Aber ich habe ein Versprechen zu halten.« Jesses Stimme geriet ins Wanken.
Finn kannte das Gefühl nur zu gut. »Anderen oder dir selbst gegenüber?«
»Beides.«
»Warum sollte sich das nicht bewerkstelligen lassen?«, fragte Finn. Seine Hand glitt von seinem Oberschenkel zu Jesses. Er ließ sie ein wenig umherwandern und lauschte auf das Stocken in Jesses Atmung. Wenn er jetzt ein Geräusch ausstieße, wäre es ein leises, lustvolles Wimmern, das durch die kalte Nachtluft schnitt.
Und Finns Selbstbeherrschung würde davongefegt werden wie die Gischt auf den zerklüfteten Felsen, die keine zehn Minuten entfernt lagen.
Jesse schluckte einmal, dann erneut. Seine Hand kam auf Finns zu liegen, bremste ihre Bewegungen und dann schoben sich seine Finger unter Finns und lösten sie von seinem Bein. Er ließ ihre Hände locker ineinander liegen, kein Handschlag, aber auch keine romantische Geste.
»Ich muss gehen«, sagte Jesse schließlich. Er entzog sich und stand auf. »Meine Freunde warten drinnen auf mich.«
Das gilt nur für dich.
Finn versuchte, den Anflug von Eifersucht abzustreifen, aber wie es plötzliche Erkenntnisse an sich hatten, ließ sie sich nur schwer abstreifen, nachdem sie sich gesetzt hatte.
Es war lächerlich. Er kannte jeden in der Bar. Die meisten von ihnen hatten ihn aufwachsen sehen – hatten ihm sogar dabei geholfen. Sie alle grüßten ihn, wenn sie ihn sahen, und er kannte von einigen die Kinder. In den letzten Jahren hatte er sogar an ihren Häusern gearbeitet, wenn ihre Familien gewachsen waren und sie mehr Platz benötigt hatten. Das war mehr, als man von den anderen Harts sagen konnte.
Es war dumm, sich darüber zu ärgern, dass er so viel Aufmerksamkeit von freundlichen Nachbarn bekam. Es ließ ihn klingen wie ein ichbezogenes Arschloch.
»Ja«, murmelte Finn. Er sah zu Jesse auf und nahm jedes Detail seines sehnigen Körpers in sich auf. Besonders die Beule im Schritt seiner Hose, die Finn verriet, dass er nicht der Einzige war, der sich nur mit Mühe beherrschte.
Finn blieb auf der Bank sitzen. Er traute sich nicht über den Weg. Wenn er aufstand, würde er Jesse wieder von den Füßen reißen und ihn an seine Brust drücken, ihn küssen, bis sie nicht mehr richtig denken konnten.
Nimm ihn dieses Mal mit