Hart's Bay: Wo unser Herz sich entscheidet. E. P. Davies

Hart's Bay: Wo unser Herz sich entscheidet - E. P. Davies


Скачать книгу
aber diese sündigen Lippen bildeten den Fokus bei allem, was Jesse tat. Jede kleine Regung ließ Finn ihn anstarren, als wäre er selbst ein Sterbender und Jesse die Fata Morgana, die über dem Sand schimmerte.

      Unter großen Mühen zwang Finn seine Aufmerksamkeit zurück auf die Frage. Richtig. Er hatte gefragt, wann Jesse seinen Freunden von ihnen erzählen würde, und es klang, als hätte Jesse keine Ahnung. Zu verständlich. Finn hatte nicht erwartet, dass das zwischen ihnen über eine Nacht hinausgehen würde, also hatte Jesse vermutlich auch nicht weiter darüber nachgedacht.

      »Wollen wir ihnen etwas zum Tratschen geben?« Finn zwinkerte und ließ eine Spur die Stimme sinken.

      Er wäre ein verfluchter Idiot gewesen, nicht mit dem großartigen Typ neben ihm zu flirten, der den ganzen Platz mit seinem Lächeln erhellte. Einem Lächeln, das bei seiner Bemerkung nur noch breiter wurde.

      »Ich will nichts Festes.« Die Worte, die über Jesses Lippen kamen, standen im krassen Gegensatz zu seinem Fuß, der immer näher an Finns heranrückte.

      »Tja, das ist gut.« Finns Lippen zuckten und bildeten ein Lächeln. »Ich bin froh, dass wir das geklärt haben.« Wie viel deutlicher konnte er seine Absichten noch machen? Er neigte sich zur Seite. »Aber ich habe überhaupt nichts von etwas Festem gesagt.«

      Die Luft zwischen ihnen erwachte knisternd zum Leben. Genau genommen hatte es nie aufgehört zu knistern. Finn war sich ständig bewusst, wie viel Raum zwischen ihnen lag – oder wie wenig.

      Sich zur Seite und nach unten zu beugen, den schlanken Mann in seinem perfekt sitzenden, gestärkten Hemd und seinen Jeans zu überschatten, betonte die Unterschiede ihres Körperbaus. Und wie ein Blitz, der ihm durch die Sinne toste, erinnerte er sich plötzlich daran, wie Jesse am Felsen gelehnt hatte, während er ihn fickte.

      Himmel, fühlte sich so eine Sucht an? Eine unwiderstehliche Anziehung, obwohl man vom Kopf her wusste, dass es eine furchtbare Idee wäre, ihr nachzugeben?

      »He, ein Hart auf dem Hart's Square. Heißt das, dass bei den Harts was querläuft? Ha ha.«

      Ärger flackerte in Finns Bauch auf. Er versteifte sich und zog sich zurück, drehte den Kopf, bis er Gregory entdeckte.

      Der Mann war harmlos. Er verbrachte den größten Teil seiner Abende im Cher's. Sein breiter irischer Akzent war ein vertrauter Klang im Hintergrundsummen der Bar. Wo er gerade darüber nachdachte: Finn war sich nicht sicher, ob Gregory überhaupt existierte, wenn geschlossen war. Er hatte ihn nie im Laden oder bei einem Spaziergang am Wasser gesehen. Vielleicht war er einfach das Ergebnis einer Masseneinbildung.

      »Sehr witzig.« Finn zeigte Gregory einen Vogel, sein Magen wurde schwer. Tja, nun war die Katze aus dem Sack. Jesse würde herausfinden, wer er war.

      »Jaja, wie auch immer.« Gregory grinste ihm ohne jede Reue zu und machte sich auf den Weg zu seinem Guinness, während Finn sich wieder Jesse zuwandte.

      Das war er – der Moment, vor dem ihm gegraut hatte. Der Grund, aus dem er nach Portland fuhr, um sich mit Männern zu treffen, und warum er das Gefühl hatte, zwei verschiedene Leben zu führen. Denn bei beiden Gelegenheiten, bei denen er versucht hatte, mit jemandem aus der Nähe auszugehen, der wusste, wer er war… Na ja, es war nicht gut ausgegangen.

      Beim letzten Mal, vor ein paar Jahren, hatte er sich einen Klammeraffen angelacht, der an ihm klebte wie ein falscher Fuffziger. Blake hatte Finns Namen noch lange nach Ende der Beziehung eingesetzt. Für alles von einem offenen Deckel im Cher's bis dahin, sich eine Stelle im Millie's zu besorgen, hatte Blake Finns Namen benutzt. Und Finn hatte erst später davon erfahren – dann, wenn ihn jemand sanft darauf hinwies, dass sein Freund seine Rechnung nicht bezahlt oder ein Versprechen nicht gehalten hatte.

      Uffz, es hatte Monate gedauert, das Chaos zu beseitigen. Hoffentlich würde es ihm besser ergehen, wenn er explizit nichts Festes hatte.

      »Ein Hart?«, fragte Jesse.

      Finns Wangen glühten, als er sich auf der Bank zurücklehnte. Der Moment zwischen ihnen war Geschichte. »Jepp. Deshalb habe ich das Gefühl, dass ich die Stadt nicht verlassen kann.«

      »Hart wie Hart's Bay?«

      Finn konnte sein Seufzen nicht unterdrücken. Er nickte und beobachtete Jesses Reaktion. Er erwartete die übliche Ehrfurcht oder Bemerkungen, die eine Distanz zwischen ihn aufbauen sollten, oder – noch schlimmer – die Erkenntnis, dass sein Name für ehrgeizige Menschen eine Gelegenheit darstellte. Als würde sein Name heute noch irgendetwas bedeuten oder an ein großes Vermögen geknüpft sein.

      Nicht auf seiner Seite der Familie.

      Seine schlimmste Befürchtung war jedoch, dass Jesse schlecht von seiner Familie denken könnte, weil sie die Stadt – verflucht, selbst den Platz, auf dem sie saßen – verkommen ließ.

      Jesse konnte unmöglich verstehen, wie erniedrigend es war, dabei zuzusehen, wie entfernte Verwandte, an die man sich nur von den Weihnachtsessen in der Kindheit erinnerte, die ganze Stadt aufkauften und dann verfallen ließen.

      Aber sosehr Finn sich auch stählte, Jesses Reaktion war… enttäuschend. »Oh. Cool.«

      Es dauerte einen Moment, bis Finn begriff, dass es das war. »Cool?« Er stellte fest, dass er das vernagelte Gebäude auf der anderen Seite des Platzes angestarrt hatte.

      Jesse betrachtete es ebenfalls. »Ich frage mich, wem das gehört.«

      Finn entfuhr ein harsches Auflachen. Er gab sich Mühe, nicht über seine Verwandten herzuziehen, und konnte nur vermuten, dass sie es genauso hielten. Das war Teil des Waffenstillstands gewesen, den sie nach dem letzten Zusammenstoß vor zehn Jahren geschlossen hatten. »Einmal darfst du raten.«

      Jesses Miene wechselte von fragend zu begreifend. »Oh. Es ist also alles nach dir benannt, weil…«

      »Nicht das Gebäude nach mir. Eher andersherum, wenn überhaupt.«

      Finns Kehle fühlte sich merkwürdig rau an, sein Herz nackt. Ihm drohten Gefühle zu entkommen, die er seit Jahren verdrängt hatte, vielleicht sogar seit verdammten Jahrzehnten. Nur weil ein süßer Kerl mit netten Augen unschuldige Fragen stellte. Was zum Teufel ging hier vor sich?

      Aber Jesses Hand, warm und fest, legte sich auf sein Knie und Finn konnte nicht anders, als zu glauben, dass es ihm ernst war. Und es fühlte sich gut an zu reden, alles zu erklären, bevor Jesse sich ein falsches Bild machte.

      »Ich meine einige meiner sogenannten Verwandten. Ihnen gehört fast alles hier. Aber sie fangen nichts damit an.« Sie hatten es nur gekauft, um ihren Namen auf dem Gebäude stehen zu sehen. Sie waren gierig geworden und nun konnten sie sich entweder die Instandhaltung nicht leisten oder gaben einen Scheiß drauf.

      Aber sie sollten. Geld war alles, was sie interessierte, und der Wertverlust der Immobilien war etwas Greifbares. Aber was wusste Finn schon? Er war einer von jenen Harts und würde ganz sicher nie von den anderen Harts zu einer spontanen Weltreise eingeladen oder schon von Geburt an mit einem Fond für die Uni ausgestattet werden.

      »Ich habe gehört, dass die Hart-Fischerei Pleite gemacht hat. Ich bin davon ausgegangen, dass man sie nach der Stadt benannt hat…«

      Finn seufzte. Der Spruch kam fast mechanisch über seine Lippen. »Mein Ur-Ur-Urgroßvater Floyd Hart kam kurz nach Ende des Goldrauschs im Klondike her. Damals war es eine winzige Stadt und Seattle noch ein Handelszentrum.«

      Wenn er die hölzernen Hausfronten betrachtete, konnte er es beinahe vor sich sehen: den Krämerladen, das Hotel, die Station für die Postkutschen. Nun fühlte es sich an, als wäre er der Kurator eines Museums, der auf feuchte, verfallene Ruinen starrte und versuchte, ihren Sinn zu verstehen.

      »Wir wurden zu einer Fischereistadt, die über Generationen florierte, bis die Fischerei am Ende war. Ohne zu wissen, was auf sie zukam, hat meine Familie die Firma in zwei Hälften geteilt. Als die Fische ausblieben, ging die Stadt mit ihnen unter.«

      Im letzten Satz verbarg sich vieles und Finn presste die Lippen aufeinander, um dem Bedürfnis zu widerstehen, weiter ins


Скачать книгу