Hart's Bay: Wo unser Herz sich entscheidet. E. P. Davies

Hart's Bay: Wo unser Herz sich entscheidet - E. P. Davies


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vor ihm. Oder anders gesagt stand sie neben der Tischsäge, schwang lässig einen Hammer und sprach mit einem der erfahreneren Jungs ihrer Crew.

      Rainier Hart.

      Es war Jahre her, dass Finn seinen dunkelhaarigen Cousin gesehen hatte, doch er hatte ihn innerhalb eines Herzschlags erkannt. Er hatte das schiefe Lächeln ihres Großvaters und die typische Körperhaltung seiner Familie, die besagte, dass sie etwas Besseres als der Rest der Welt waren.

      Wenig ging Finn so sehr unter die Haut, wie zu sehen, wie sie mit dieser Geisteshaltung in Hart's Bay herumliefen. Und dummerweise konnte er nicht mal schimpfen, dass ihnen die Stadt nicht gehörte, denn das tat sie.

      Verdammt, warum war Rain hier?

      Bevor er fragen konnte, erschien Mike und schleppte ihn zu einer Seite der Baustelle. »Hey, also…«

      »Du hast Rain angeheuert.« Finn hob eine Augenbraue und wartete auf eine Erklärung.

      Mike war in Hart's Bay geboren und aufgewachsen. Er musste wissen, dass es Wahnsinn war, Finns Cousin einzustellen. Um Himmels willen, Mikes Chef war Roy, der dritte der drei Hart-Brüder. Onkel Roy stand zusammen mit Finns Vater auf der guten Seite. Hatte er der Neueinstellung zugestimmt?

      Noch verrückter war es, von Rain zu erwarten, dass er sich von Finn beaufsichtigen ließ. Und Finn würde ihn nicht mit irgendwelchem Murks durchkommen lassen, nur weil er Angst hatte, jemandem vom bösen Zweig der Harts zu sagen, was zu tun war.

      »Ich glaube nicht, dass er dir Schwierigkeiten machen wird.«

      Finn schnaubte beinahe vor Lachen und warf Rain einen neuerlichen Blick zu. Nun lehnte er an der Säge, die Arme verschränkt, und unterhielt sich, als würde er sich bestens mit den anderen Jungs verstehen.

      Sein Auftreten ließ Finn mit den Zähnen knirschen. Das Vermögen der Harts mochte schwinden, aber er war sicher, dass immer noch genug Geld da war, um sicherzustellen, dass das jüngste von Monty Harts Kindern zeit seines Lebens nicht arbeiten musste.

      Hier auf Finn zu treffen, der die Crew von Hart & Hart Construction beaufsichtigte, sollte Rain nicht überraschen. Finn führte seit Monaten die Aufsicht über diese Mannschaft. Es gab genug andere Baustellenjobs, wenn Rain zum Spaß ein bisschen am wahren Leben teilnehmen wollte. Also warum war er hier, wenn nicht, um Ärger zu machen? Vielleicht war dies die neueste Runde in Sachen Familienpolitik. Der letzte große Knall lag bereits ein paar Jahre zurück.

      »Ich weiß«, sagte Mike und klopfte Finn auf die Schulter. »Aber wir haben ein gutes Gespräch geführt. Es ist ihm ernst und er ist bereit, hart zu arbeiten. Gib ihm die Chance, dich zu überraschen. Ich brauchte einen Mann mit seinen Fähigkeiten.«

      »Die wären?« Finn konnte seine abfällige Bemerkung nicht zurückhalten. Er warf dem schlanken Mann auf der Baustelle einen finsteren Blick zu. »Kann er auch nur ein Kantholz heben?«

      Gott, er hasste es, sich wie ein Arsch aufzuführen, aber er hatte noch nie auch nur eine positive Erfahrung mit einem seiner Verwandten gemacht. Die wenigen Harts, die noch in der Stadt lebten, gingen sich aus dem Weg und das war das Beste, was sie tun konnten. Es half, dass außer Finn alle Nachkommen ihrer Generation die Stadt verlassen hatten. Von ihrer Seite waren nur Finn, seine Eltern und Onkel Roy geblieben, auf der anderen Großvater und Rains Eltern.

      »Er kommt schnell die Leitern hoch und runter. Wie eine verflixte Bergziege. Er kann sich in enge Räume quetschen. Man braucht ein ganzes Dorf, um ein Haus zu bauen.« Mike beäugte ihn. »Aber das weißt du ja. Außerdem hat er sich in den letzten ein oder zwei Jahren eine Menge Erfahrung im Bau erworben. Ich glaube, er wäre ein guter Dachdecker.«

      Natürlich. Das war Finns Spezialität gewesen, bevor er die Karriereleiter hochgeklettert war. Nun beaufsichtigte er den Rest des Teams und war die Verbindungsstelle zu den Chefs.

      Sie übernahmen den Rohbau, sorgten dafür, dass Gebäude über feste Innen- und Außenwände verfügten, deckten Dächer und bauten Fenster und Türen ein. Kurz gesagt verwandelten sie einen nackten Betonklotz in ein richtiges Gebäude und Finn liebte es. Sie wurden früh genug Teil des Bauprozesses, dass es nur selten zu kritischen Situationen kam, und es war eine befriedigende Arbeit.

      Doch jeder auf der Baustelle arbeitete. Inklusive Finn. Er hatte nie viel für Aufseher übriggehabt, die ihre Position missbrauchten, um herumzustehen und Befehle zu geben; eine Ausrede, um sich nicht die Hände schmutzig zu machen. Entsprechend verbrachte Finn immer noch viel Zeit damit, über Dächer zu klettern und dafür zu sorgen, dass sie stabil und wasserdicht waren. Im pazifischen Nordwesten gab es nichts Wichtigeres.

      »Gut«, sagte Finn knapp. Solange Rain keinen Unsinn anstellte, konnte Finn sich zivilisiert benehmen. Zweifelsohne würde es ihm bald langweilig werden, Bauarbeiter zu spielen, und er würde kündigen.

      »Das ist mein Junge.« Mike klopfte ihm erneut auf den Arm und schlenderte mit ihm zu dem halb fertigen Gebäude. »Also, wie läuft es? Liegt ihr im Plan?«

      »Wir hoffen, dass wir heute mit dem Dach fertig werden. Wo wir gerade von Rain sprachen… Es soll heute Abend regnen«, sagte Finn zu Mike. Sie hatten keine Zeit zu verschwenden. Der perfekte Zeitpunkt, um die Arbeitsmoral seines Cousins zu testen. »Wenn nicht, dann machen wir das morgen Früh als Allererstes, falls wir die Regenpause bekommen, die wir brauchen.« Wenn ich nur von Rain auch eine Pause bekommen könnte.

      Manchmal lebten und arbeiteten sie nach der Wettervorhersage. Die Innenarbeiten konnten unabhängig vom Wetter fortgesetzt werden, aber sie konnten nicht zulassen, dass Wasser unter das Dach geriet.

      »Super, klasse.« Mike zeigte ihm den erhobenen Daumen. »Ruf an, falls ihr was braucht.«

      Er überließ Finn seiner Arbeit, also rief Finn die Jungs für ihre morgendliche Besprechung zusammen.

      Finn konnte Rains bohrenden Blick spüren, als er ihnen mitteilte, dass die Dachziegel heute angeliefert werden würden, dazu die Ladung Bauholz, die gestern nicht eingetroffen war, all die Einzelheiten, die er klären musste.

      Endlich sprach er das Offensichtliche auf der Baustelle an. »Und wir haben einen weiteren Neuen. Justin ist nicht mehr der Kleine. Rain, willkommen im Team.« Kein Wort über seine Beziehung zu den Firmenbesitzern, wie es sein sollte. Finn hatte sich nie darauf ausgeruht und Rain sollte es ebenfalls lassen.

      »Danke.« Rains Stimme war kräftig und scharf, als er denen, die ihn willkommen hießen, zunickte. »Kann's nicht erwarten anzufangen.«

      Finn erkannte das Getöse und Posieren, mit dem jeder Neue seinen Einstand gab – niemand wollte schikaniert werden und außerdem wollte man zeigen, dass man hart arbeiten konnte. Tja, sie würden abwarten und sehen, wie er sich machte.

      »Worauf warten wir dann? Wir haben heute keine Zeit zu verschwenden«, sagte Finn zu ihm – und zu allen anderen. »Legt los.«

      ***

      Wie sich herausstellte, hatte Mike recht. Was auch immer Rain in die Heimat zurückgebracht hatte, wenigstens arbeitete er sich den Arsch ab, wann immer man ihm eine Aufgabe gab.

      Widerwillig legte Finn sein Misstrauen ab, aber er blieb wachsam. Solange er nicht wusste, was Rain vorhatte, würde er ihm nicht trauen, aber er konnte mit ihm arbeiten, wenn er musste.

      Natürlich würde es kein Picknick werden. Die Holzanlieferung war ein weiteres Mal verschoben worden, sodass die Hälfte der Crew nichts zu tun hatte. Das bedeutete, dass er ein paar Jungs mit sich aufs Dach nehmen konnte, die nicht Rain waren. Sie arbeiteten ohnehin besser zusammen.

      Finn wusste, er hätte den Neuen Erfahrungen sammeln lassen sollen, aber wenn sich eine Regenfront näherte, arbeitete er schneller und besser mit Leuten, die er so gut wie seine Westentasche kannte.

      Bis Tim einen Anruf aus der Schule bekam, dass er seine Tochter früher abholen sollte, und Finn Rain entdeckte, der unten an der Leiter stand und auf eine Aufgabe wartete.

      Finn gefiel das gar nicht. Aber er schätzte, es war klug, die eigenen Freunde in seiner Nähe und die Feinde noch näher bei sich zu behalten. Er ruckte


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