Hart's Bay: Wo unser Herz sich entscheidet. E. P. Davies
er sich. Du bist nicht nach Hart's Bay gezogen, um Männer zu küssen.
Das träge Lächeln, das Aufblitzen perfekter, weißer Zähne schaffte ihn beinahe. »Ich begleite dich«, sagte Finn, als er das Kondom abstreifte und ein Taschentuch hervorholte, um es zu verstauen.
Verflixt, er war süß. Er würde einen großartigen Freund für irgendjemanden abgeben. Nur nicht für Jesse.
»Nein, nein.« Jesse schnappte sich sein Hemd und zog es an. »Ich komme schon klar.« Der Weg war schließlich mehr oder weniger geradeaus gegangen. Doch bevor er davonschoss, hielt er inne, um die Hand auf Finns Schulter zu legen. Als Finn ihn ansah, reckte Jesse sich ihm für einen einzigen frechen Kuss entgegen. »Danke.«
»Nein«, murmelte Finn und legte eine Hand über Jesses. »Ich danke dir.«
Während Jesse den Weg zu dem grasbedeckten Hügel und auf den Marktplatz hinaufstieg, strich er mit den Fingern über das glatte, grüne Glas in seiner Tasche. Er nahm sich einen Moment Zeit, um eine Pause einzulegen und über die Schulter zurück zu der Küste zu schauen, die sich von einer Seite des Horizonts zur anderen erstreckte. Die flache Linie des Meeres dehnte sich vor ihm aus.
Etwas tief in ihm – eine ganz andere Stelle als die, die zuvor so gründlich bearbeitet worden war – sagte ihm, dass es die richtige Entscheidung gewesen, herzuziehen.
Hart's Bay würde gut zu ihm sein.
Kapitel Zwei
Finn
Finn Hart streifte das vertraute Gefühl von Verlegenheit ab, als er aus dem offenen Fenster seines Trucks auf den Hart Square blickte.
Der Platz war nahezu verlassen. Alles, was von der einst lebendigen Innenstadt geblieben war, war der Supermarkt auf einer Seite und die Bar gegenüber, die nur zeitweilig geöffnet war. In der Mitte des Rechtecks aus heruntergekommenen Gebäuden befand sich ein heruntergewirtschafteter Flecken toten Grases mit einer einzelnen Holzbank. Einige der Schaufenster waren vernagelt, die Zu Verkaufen-Schilder schon lange verblasst.
Der Supermarkt war nur bis zum frühen Abend geöffnet und was die Bar anging? Tja, es hatte keinen Sinn, dort anzurufen oder online nach den Öffnungszeiten zu schauen. Cheryl ignorierte stolz das Telefon, öffnete die Bar, wann und wie sie wollte, und hieß jeden willkommen. Am vorherigen Abend war Finn nach einem Drink gewesen, nachdem er den ganzen Tag lang mit Leuten geredet hatte, die doch nie zuhörten. Er war von seinem Haus bis zu dem Marktplatz gelaufen, den er nun aus dem Fenster seines Trucks beobachtete wie ein verlorenes Territorium.
Und zum Glück war Finn am vergangenen Abend ausgegangen. Jesse – seine hinreißenden Augen, sein schlanker Körper und freches Mundwerk – war die ganze Nacht lang durch seine Träume gewandert.
Er konnte sich nicht entsinnen, wann er zum letzten Mal einen so großartigen One-Night-Stand gehabt hatte. Er nahm an, dass Jesse ein Tourist war. Schließlich kamen nur selten neue Bewohner nach Hart's Bay, neue schwule Bewohner waren ungefähr so verbreitet wie Einhörner. Daher machte er sich nicht unbedingt Hoffnungen, dass er Jesse jemals wiedersehen würde.
Die meisten Touristen ließen ihre Fenster oben und fuhren eilig durch Hart's Bay hindurch, sobald sie einen Blick auf die heruntergekommene Innenstadt geworfen hatten. Sie zogen Hotspots wie Cannon Beach vor. Aber zu Cheryl, der Besitzerin des Cher's End Table, kamen manchmal die abenteuerlustigeren Touristen – oder die, die sich eher für ein Bud Light als für Leuchttürme interessierten.
Es kam nur selten vor, dass Finn so nah an der Heimat dazu kam, Dampf abzulassen. Er hatte sich daran gewöhnt, nach Portland fahren zu müssen, um einen One-Night-Stand zu finden. In einer Stadt mit tausend Einwohnern war an eine Schwulenbar nicht zu denken und blieb Grindr ebenso nützlich wie eine Mitgliedskarte einer erloschenen Videothek.
Cheryl scherte es nicht, wer in ihre Bar kam, aber brauchbare Männer waren normalerweise schlicht nicht dabei. Es war das erste Mal, dass Finn in Hart's Bay auf jemanden getroffen war, der so süß, abenteuerlustig und seltsam fesselnd gewesen war.
Es ging auch gar nicht nur darum, dass das Leben in einer Kleinstadt nach sich zog, dass man all seine Nachbarn kannte und keiner von ihnen schwul war. Finn war ein Hart.
Früher wäre es darauf hinausgelaufen, dass er als junger Hart in den Familienbetrieb eingestiegen wäre: die Hart-Fischerei. Mit seinen neunundzwanzig wäre Finn inzwischen ein respektiertes Mitglied des Betriebs und der Stadt. Aber das hatte sich vor rund zwei Jahrzehnten erledigt, als sowohl die Fischerei als auch die Familie Hart in sich zusammengebrochen waren.
Soweit es ihn anging, unterschätzte jeder, der wegen seines Namens nett zu ihm war, die Peinlichkeit dessen, was die andere Hälfte der Hart-Familie angerichtet hatte. Er war zu jung gewesen, um das volle Ausmaß der Vorgänge zu begreifen, entsprechend hatte er sich auch nichts zuschulden kommen lassen. Nichtsdestotrotz war Finn im Schatten dieser Geschichte groß geworden.
Zum Glück hatte Jesse nicht zu denen gehört, die ihn wegen seines Namens anders behandelt hatten. Sie waren nur zwei Kerle gewesen, die an einem verlassenen Steinstrand einem Bedürfnis nachgekommen waren.
Sosehr Jesse ihn gefesselt hatte, war es vielleicht besser, dass er nicht dazu kommen würde, ihn besser kennenzulernen. Am Ende war niemand der, der er vorgab zu sein.
»Hey, Mann.«
Finn zuckte zusammen und sah zur anderen Seite des Wagens, wo ein Mann auf seinen Beifahrersitz kletterte. »Hey, da bist du ja.«
»Sorry. Ich konnte mein Mittagessen nicht finden.« Justin, der Neue in ihrem Bauarbeiterteam, brauchte jemanden, der ihn mitnahm, und Finn hatte Mitleid gehabt. Bis Justin seinen ersten Gehaltsscheck bekam und sich ein eigenes Auto kaufen konnte, nahm er ihn gern mit auf ihre Baustellen.
Es kam nur selten vor, dass ihr Team hier in der Stadt arbeitete. So dringend die Gebäude auch saniert werden mussten, weigerte sich die andere Hälfte der Hart-Familie, sie instand setzen zu lassen. Was wirklich verrückt war. Finn hätte gedacht, dass sie wenigstens den Wert ihrer Immobilien erhalten wollten, wenn schon nichts anderes.
»Wo war es?« Finn hielt sich mit seiner Belustigung zurück. Justin gehörte zu den Menschen, die ihren eigenen Kopf vergaßen, doch er war bereits einer ihrer fleißigsten Arbeiter.
»Ähm, auf dem Kühlschrank.«
»Nicht im Kühlschrank?«
Justin zuckte die Schultern. »Vermutlich, weil kein Platz war. Der Kühlschrank ist voller Bier für das Spiel am Wochenende.«
Finn verbiss sich ein Seufzen. Er sah aus wie jemand, der Sport mochte. Daher hatte er gelernt, sich darüber zu unterhalten, ohne großartig eine Meinung abzugeben. »Ja? Kommen Freunde vorbei oder sollte jemand ein ernstes Gespräch mit dir führen?«
Justin lachte. »Freunde«, verriet er Finn. »Willst du auch kommen?«
»Nee, ich kann nicht. Ich bin…« Finn griff nach der ersten Ausrede, die ihm in den Sinn kam. »Schwimmen. Grillen. Am Strand grillen und schwimmen. Jepp.«
»Klingt großartig.« Justin grinste ihm zu und Finn verbarg seine Erleichterung. Justin war sowieso nicht der Typ, der sich eine Absage zu Herzen nahm. Er hatte bereits das Thema gewechselt und redete über die Rekorde seines Teams in dieser Saison.
Finn war gut darin, seine Standardbemerkungen einzuwerfen – Das war ein klasse Tor, Ihre Defense ist zermatscht worden und sein Favorit Der Schiri sollte mal zum Augenarzt –, um vorzugeben, dass er mitredete, um welche Sportart es auch ging. Zum Glück musste er nicht oft darauf zurückgreifen. Justin unterhielt sich mit seinem Gerede über Sport während der zwanzigminütigen Fahrt praktisch selbst. Alles, was Finn tun musste, war ab und zu »Hm-hm« zu sagen.
Als sie die Baustelle erreichten, war Finn leicht überrascht, den Wagen des Chefs dort zu sehen. Mike vertraute normalerweise darauf, dass Finn sich um das Tagwerk kümmerte, und es war recht selten, dass er nach dem Rechten sah. Er war selbst ein entspannter Westküsten-Vertreter.
Das bedeutete, dass