Gekonnt leiden. Jürgen Löhle

Gekonnt leiden - Jürgen Löhle


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und nur weil du jetzt eine Schweißerbrille trägst, wirst du auch nicht schlanker.

      3.Trainingssteuerung: Bitte sage uns nicht dauernd, wann wir locker oder volle Lotte zu treten haben. Deine Ansagen haben wenig mit Trainingslehre und viel mit deiner Form zu tun. Wenn du gute Beine hast, fahren wir Mitte Februar Bergsprints, wenn du teigig trittst, im Juli Grundlage. Also: Nächstes Jahr fährt jeder so, wie es ihm passt.

      4.Rad-Etikette: Wir möchten noch einmal darauf hinweisen, dass manche von uns auch weiterhin keine weißen Radschuhe möchten und auch nicht über die Gründe dieser Entscheidung diskutieren wollen. Wenn du selbst aber weiter wie Bettini im Swinger-Club aussehen möchtest – bitte. Wir nicht, zumindest nicht alle. Der alte Hans würde deine weißen Schuhe aber nehmen, falls du wieder schwarze kaufst.

      5.Tacho-Tuning: Wir wissen seit 2001, dass es dir gelungen ist, die Geheimnisse der Reset-Taste deines Radcomputers zu entschlüsseln. Seither stellst du die Jahreskilometer gern mal nach, damit’s besser aussieht. Wir haben uns entschlossen, dir zu sagen, dass wir a) dein schamloses Treiben durchschauen und b) wir es selbst auch tun. Und zwar schon viel länger als du.

      6.Körperpflege: Versuche nie mehr, uns für das Massageöl zu begeistern, das du angeblich aus einem Hochtal des Himalaja importierst. Das Zeug ist klebrig, teuer, zieht Mücken an und riecht, als würde man die Fladen einer magenkranken Kuh auf heißem Stein rösten. Da du im Training meist weit hinten fährst, darfst du gerne stinken wie ein Muli. Aber lass uns damit in Ruhe.

      Und noch was: Wenn du dir künftig die Beine rasierst, dann nimm wenigstens eine Klinge, die nicht schon zum Marschgepäck deines Uropas im Ersten Weltkrieg gehörte. Einige von uns können kein Blut sehen. Das war’s schon. Nix für ungut und Prost,

      Dein Radclub.

      Wir sind zufrieden – in zwei Wochen bekommt er das Papier. Doch was schreiben wir ihm nächstes Jahr, wenn er sich daran hält?

      UM DIE EHRE

      OKAY, MAN MUSS SICH ALS RADLER NICHT ALLES GEFALLEN LASSEN. ABER MIT WELCHEN MITTELN DARF MAN SICH WEHREN? DER RADCLUB GERÄT SCHWER INS GRÜBELN …

       2008 bis 2012

      Heiß ist es draußen. Sommer. So haben wir’s gern. Es rollt doch gleich viel leichter mit Sonne in den Speichen. Brägel aber sitzt griesgrämig auf der Terrasse des Clubheims und schlürft lustlos an seinem Hefe hell. Nachdem wir ihn mit seiner neuen Golfleidenschaft ein wenig beleidigt haben (»Hat der Herr ein Handicap mit dem Handicap?«) erzählt er uns von seiner jüngsten Trainingsrunde (auf dem Rad). Am Ende sind wir uns ausnahmsweise alle mal einig: So geht’s nun wirklich nicht.

      Also, das war so: Brägelchen fuhr entspannt durch leicht welliges Gelände. Von hinten kam einer rasch näher, aber Brägel hat ja mittlerweile das altersmilde Stadium erreicht, in dem er klar Überlegene passieren lässt, ohne sich bis zur Kotzgrenze in deren Windschatten zu quälen. Der andere fährt aber nicht vorbei, sondern klemmt sich grußlos an Brägels Hinterrad. Brägel dreht sich um und sagt: »Hallo.« Der andere schweigt, Brägel taxiert: Gut 15 Jahre jünger, kein Helm, verspiegelte Angeber-Brille, edles Rad und dazu das Klamotten-Arrangement von Caisse d’Epargne und zwar komplett, also mit passenden Handschuhen und Socken, was man auch nicht so oft sieht. Brägel versucht’s noch einmal. »Tach, wo geht’s hin?« Der andere schweigt, zuckt nicht einmal mit dem Mundwinkel. Doch dann setzt sich der Schweiger plötzlich neben Brägel, grinst und sagt: »Hör mal, was machst du hier eigentlich? Radfahren? Nicht wirklich, oder?« Und bevor Brägel ihm seine Pumpe über den Schädel ziehen kann, tritt der Kerl derart brutal an, dass der verdutzte Brägel nicht den Hauch einer Chance hat, seinen Windschatten zu erreichen, was er jetzt schon gern getan hätte.

      »Waren wir früher auch so respektlose Rüpel?«, fragt der Präsident. Wir nicken alle, und dann überfällt uns die Erkenntnis, dass bei unseren Leistungen irgendwie die Luft raus ist. Das fängt damit an, dass wir uns kaum noch für Radrennen interessieren, dass der alte Hans den »Eschborn-Frankfurt City-Loop« für eine Flugschule gehalten hat und endet damit, dass wir immer milder in die Pedale treten. Kurz: So geht’s nicht weiter. Der ganze Mist mit In-Würde-altern muss aufhören. Radfahren muss ein Härtebeweis bleiben, sonst können wir gleich alle in Brägels Golfclub wechseln. Brägel regt an, künftig mit Pfefferspray auf Tour zu gehen und freche Wadenschnösel einfach aus dem Sattel zu pusten. Klingt gut, wird aber wegen der Probleme bei Gegenwind verworfen. Elektroschocker und Gaspistolen verstoßen gegen den Ethik-Code des Radclubs und sind daher auch keine Lösung.

      Der Präsi berichtet von einem neuartigen Zusatzantrieb, der unsichtbar ins Sattelrohr eingebaut wird und auf Knopfdruck 100 Watt zusätzlich bringt, die zur Abwehr einer Jugend-forscht-Attacke allemal reichen müssten. Das hellt unsere Laune spürbar auf. Unsichtbare 100 Watt – bis auf den alten Hans würde uns das alle für ein paar Minuten in den 300-Watt-Bereich blasen und den Gegner ins Sauerstoffzelt. Geil. Wir wollen gerade den Präsident mit der Klärung der Frage beauftragen, ob es dieses für Mountainbikes entwickelte Wunderding auch für Rennräder gibt, als Brägel plötzlich sagt: »Hey Leute, das ist doch Betrug.« Da schau her. Jetzt redet plötzlich ein Kerl von Moral, der alle Internet-Apotheken dieser Welt nach EPO absucht, bei jeder Ausfahrt »gaaaaanz locker« ruft, bevor er antritt und kein Problem damit hat, 19,8 der letzten 20 Kilometer am Hinterrad zu lutschen, um dann vorbeizuziehen. »Wo ist das Problem?«, ölt der alte Hans, »du bescheißt doch eh immer.«

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      So schnell gibt Brägel aber nicht auf. »Ich habe kein Problem, diesen bornierten Schnösel mithilfe eines High-Tech-Motörchens abzuledern, aber wir wissen dann ja auch intern nicht mehr, warum einer so schnell ist, wie er ist. Kapiert?« Schweigen. Abgesehen davon, dass man sich bei uns nie wirklich sicher sein kann, dass einer nichts genommen hat, hat so ein unsichtbarer Watt-Booster schon eine neue Qualität. »Wenn ich schneller als irgendeiner von euch am Berg bin, glaubt mir das keiner mehr«, sagt Brägel. »Das kann ja auch gar nicht sein«, kontert der Präsi, »dazu brauchst du schon ein Golfwägelchen.« Wir lachen herzlich, aber Brägels nächstes Argument sitzt dann doch. »Das gilt für alle und vor allem immer. Egal, wie hart ihr trainiert, jeder Sieg wird angezweifelt, wie bei den Profis auch. Wollt ihr das?«

      Natürlich nicht. Wir einigen uns darauf, den Kampf gegen den weichen Tritt mannhaft aufzunehmen. Also endlich mehr zu trainieren, vor allem härter und konsequenter. Jungschnösel werden sich spätestens in vier Wochen wieder warm anziehen müssen, wenn sie attackieren. Drei Tage später stand dann übrigens auch Brägels Bilanz gegen Caisse d’Epargne 1:1. Er hat das Rad des Schwätzers vor einem Biergarten entdeckt, die Ventile rausgeschraubt und ihm einen abgestandenen Rest Hefe hell auf den Sattel gekippt. Alles wird gut.

      ALTER SCHÜTZT … VOR GAR NIX

      MIT DEN JAHREN MAL EIN PAAR TRITTE LOCKER LASSEN? UIUIUI, GANZ SCHWIERIG …

       2008 bis 2012

      »Nachlassen ist das Schlimmste«, sagte der ehemalige Radprofi Erik Zabel an seinem 30. Geburtstag im Jahre 2000 und schaute dabei so traurig wie ein hungriger Beagle vor dem leeren Futternapf. Danach ist er noch acht Jahre Rennen gefahren, und das nicht schlecht. Im Juli 2010 will Jens Voigt noch einmal die Tour de France unter die Räder nehmen. Im September wird er 39 Jahre alt. Und da gibt es noch den Herrn Armstrong aus Amerika, der die Tour in diesem Sommer sogar gewinnen will, was zumindest nicht ganz ausgeschlossen ist. Und der Texaner ist genau einen Tag jünger als »Vogte«. Warum das hier steht? Weil es eine Entwicklung ist, die dem Radclub mehr und mehr Sorgen macht. An Jahren sind die Herren Berufsfahrer gar nicht so weit entfernt von uns (den alten Hans ausgenommen). Aber während wir bei langen Steigungen mittlerweile oft auf 39x28 runterschalten, fahren diese Profi-Geronten noch die Tour im 40er-Schnitt. Zwar haben die mutmaßlich ganz andere Drogen in der Blutbahn als wir, aber trotzdem.

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      »Diese


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