Gesicht im blinden Spiegel. Brita Steinwendtner
Bild die unterschiedlichen Regimenter bieten, die sich in der Ebene von Königgrätz in Formation bewegen, Infanterie, Kavallerie und Landwehr: Eine Symphonie in Weiß, Dunkelblau und Mittelblau, Kragen und Manschetten mit Gold, Rot oder Orange verziert, Messingknöpfe und Verschnürungen blitzen auf, Braun und Grau manche Waffenröcke, krapprot die Hosen der Husaren, leuchtend die Federbüsche, Tschakos und Kappen, ruhmreich ausstaffiert zum Sieg, eine hellfröhliche Buntheit alten Standesbewusstseins und gehegter Traditionen, und es scheint ihm, dass es –,
– dass es eine festliche Friedensparade wäre.
Und sie heimgehen könnten.
Nachhause.
Hügelauf sind die Hänge und Hohlwege jedoch übersät mit Toten, Verwundeten und Sterbenden, ihr Schrei schießt in Ohr und Hirn, die Stabs-Damianner hetzen im Ritt über die Felder, um die Verwundeten aufzuspüren, viel zu wenige können von den Sanitätern fortgeschafft werden, Blessierten- und Bandagenträger rufen sich Unverständliches zu, die Verbandsplätze sind überfüllt, die Feldspitäler am Rand ebenso.
Noch ein letzter Angriff, schallt der Befehl durch die Reihen!
Für Kaiser und Vaterland und Sieg!
Wer Chlum erobert, gewinnt die Schlacht!
Von Euch hängt es ab, Soldaten, von Euch!
Stürmt, schießt, kämpft bis zum Letzten!
Und Johannes, Bohumil und Ferdinand marschieren wieder mannhaft in das mörderische Feuer, tatütatütatüüüü-tatámtatara, nur zu, damit es vorbei ist, endlich zu Ende, Kartätschen und Vierpfünder nehmen sie unter Beschuss, Äste, Steine und Splitter fliegen durch die Luft, die Ruthenen zur Linken versuchen zu fliehen, auf der rechten Seite hören sie von der Ebene herauf die Kapelle der Hoch- und Deutschmeister die Hymne „Gott erhalte, Gott beschütze/Unsern Kaiser, unser Land“ spielen, und lauter blasen und trommeln die Drei, tatütatü-tatámtatara, Inferno von Kugeln, Schrapnells und Granaten, der Fahnenträger stürzt, es stürzen die Vielen rundum, jeder schießt und sticht um sich, so viel er kann –
Rausch des Krieges
Irrwitz des Tötens – – – –
Wenn Hunger, böse Seuch und ihre Nöten
Freund, Freund und Feind ins Grab
Versammleten, und mir zu Ehren krähten
Von einer Leich herab?
Was hülf mir Kron und Land und Gold und Ehre?
Die könnten mich nicht freun!
’s ist leider Krieg – und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!
4. Juli, früh am Morgen.
Ein Mann im langen schwarzen Gewand geht langsam über den Höhenrücken von Chlum. Der Regen hat aufgehört, der Nebel sich gelichtet. Das Dorf ist zerstört, der Kirchturm ein Trümmerhaufen, aus dem immer noch Rauch aufsteigt. Die wenigen Häuser sind bis auf die Grundmauern zerschossen, verwüstet die Bauerngärten. Auf den Dorfwegen, Feldern und Wiesen liegen die Leichen. Das Wäldchen ist zerfurcht von Schützengräben, sie sind voll Blut. Und dunkelrot sind die Hohlwege, die zu ihm hinaufführen, keine Erde mehr zu sehen, kein Lehm, kein Gras. „Hohlweg der Toten“ wird in den Büchern stehen. Die Bäume sind kahl vom Beschuss der Artillerie, schwarz stehen sie da im Grauen des Morgens. Die letzten Fackeln der Patrouillen, die nach Überlebenden suchten, sind verlöscht. Die Leichenplünderer sind weg.
Der Mann im langen Habit geht über das Schlachtfeld.
Stunde um Stunde.
Mittag ist vorüber.
Der König von Preußen, Wilhelm I., kommt mit seiner Entourage das hügelige Schlachtfeld heraufgeritten. Am späten Abend zuvor hat er seiner Gemahlin nach Berlin noch ein Telegramm geschickt: „Vollständiger Sieg über die österreichische Armee … Ich preise Gott für seine Gnade; wir sind alle wohl.“ In der hereinbrechenden Dunkelheit war rings der Feuerschein der brennenden Dörfer zu sehen und aus einem der Lager war ferne Musik zu hören gewesen, Märsche vergangener Siege, der Dessauermarsch, der Hohenfriedbergermarsch … Und als der Zapfenstreich erklungen wäre, so wurde berichtet, hätte sich der feierliche Choral „Nun danket alle Gott“ von Bataillon zu Bataillon fortgepflanzt über die nächtliche Ebene.
„Ein bisschen viel Gott“, wird Karl, Johannes’ mittlerer Bruder, der Karel genannt werden will, später zu seinem Vater sagen. „Und praktisch ist es auch: Man bedankt sich für eine Gnade, die einem geschenkt worden ist, somit ist das, was man getan hat, richtig und gottgefällig und somit müssen sich Kaiser-König-General nicht schuldig fühlen. Bravo!“
Der Mann im langen, weiten Gewand geht über das Schlachtfeld.
Langsam, konzentriert und suchend.
Der König von Preußen erweist auf der Höhe von Chlum zwei hier gefallenen Kommandeuren die letzte Ehre. Die Trompeter blasen einen Trauermarsch. Sonst liegt Totenstille über den Wäldern, niedergebrannten Dörfern und dem zertrampelten Korn.
Die Pontonbrücken über die Elbe sind zerstört.
Der Sieger hat das Vorrecht, einer Schlacht den Namen für immer zu geben. Viele Dörfer im Umkreis hätten diesen zweifelhaften Ruhm verdient: Sadowa, Lipa oder Rosberitz, Langenhof, Problus oder sogar ein Wald, der zur Gruft für Tausende wurde, der Swibwald. Am meisten wohl Chlum, wo die erbittertsten und verlustreichsten Kämpfe stattgefunden hatten. Eine „Schlacht von Chlum“ jedoch hätte keinen Klang gehabt, kein Ansehen für die Nachwelt. In ungefähr zwölf Kilometern Entfernung liegt eine fürstliche, eine blühende, stolze Stadt: Königgrätz. Und der König nannte das blutige Geschehen vom 3. Juli des Jahres 1866:
„Die Schlacht von Königgrätz“
In den Geschichtsbüchern wird später zu lesen sein, dass die Schlacht von Königgrätz die größte Schlacht des 19. Jahrhunderts auf böhmischem Boden war. Zwischen 350 000 und 400 000 Mann wären sich gegenübergestanden. Man wird die Zahl der Toten, Verwundeten, Vermissten und Gefangenen auflisten, sogar die Anzahl der toten Pferde und verlorenen oder gewonnenen Geschütze. Wer jedoch hat die toten und verwundeten Männer, Frauen und Kinder in den Dörfern gezählt? Wer berichtete vom Elend der Überlebenden, deren Häuser und Scheunen verbrannt und deren Ernte, Werkstätten und Lebensgrundlagen vernichtet waren? Wer kann sagen, wessen ganzes Leben zerstört wurde, das Leben selbst, wenn über die Jahre hin in der Erinnerung nur der Krieg bleibt?
Vorboten nur des Kommenden.
Vorhölle – –
Noch ist der Tag des 4. Juli 1866 nicht zu Ende.
Von Johannes ist nichts zu berichten.
Auch nicht von Bohumil und Ferdinand.
Sie sind verschollen.
Auf dem Hügel von Chlum sucht der Mann im langen Habit nach Überlebenden.
Benedeks geschlagene Restarmee zieht inzwischen in Eilmärschen Richtung Südwesten mit dem Ziel Olmütz, wo man auf Verstärkung aus Wien hofft. Durch die heldenmütige Reiterschlacht bei Stresetitz-Langenhof und den langen, erbitterten Kampf um den Hügel von Chlum waren die Preußen an schneller Verfolgung gehindert worden. Einige der zurückflutenden Einheiten jedoch, die in der noch von den Österreichern gehaltenen Stadt Königgrätz Zuflucht suchen wollten, fanden sich zu ihrem Entsetzen vor verschlossenen Toren: Der Kommandant hatte sie in der Dunkelheit und Verwirrung für feindliche Preußen gehalten, hatte die Tore schließen, die Schleusen öffnen und das Gebiet vor dem Glacis durch das Wasser der Elbe überfluten lassen, so dass hunderte Soldaten ertranken oder in den Sümpfen erstickten.
Resümierend wird die Nachwelt dennoch festhalten, dass Benedek große Umsicht und Tatkraft bewiesen hätte,