Der letzte Tanz im Paradies. Jürgen Petschull
wirkt. Sie wedelt mit einem Palmenfächer Moskitos weg, die ihren Schleier umschwirren. Ein Diamantring blitzt bei jeder Bewegung.
Ohne einen Befehl bekommen zu haben, nehmen die Soldaten einer nach dem anderen Haltung an. Sie präsentieren ihre Gewehre und führen die Hände militärisch grüßend an die Stirn.
»Willkommen Queen Emma!«, ruft der Kommandant. Er nähert sich devot lächelnd der Kutsche, bleibt davor stehen und knallt die Hacken zusammen.
»Aber warum denn so förmlich, mein lieber Herr Hauptmann«, sagt Queen Emma mit einer dunklen vibrierenden Stimme. Sie fingert in einem weißen Handtäschchen herum, legt eine Pistole mit Perlmuttgriff auf das rote Samtpolster neben sich und reicht schließlich einige Umschläge aus dem Fenster. Dann deutet ihre mit einem funkelnden Diamanten geschmückte linke Hand aufs Meer.
»Wenn Sie bitte diese Einladungen dem Herrn Kapitän der Emily Godeffroy geben wollen: Ich erwarte ihn und seine Herren Schiffsoffiziere morgen, eine Stunde vor Sonnenuntergang, zu einem Empfang auf Gunantambu. Und dies hier ist ein persönlicher Brief für den Generalbevollmächtigten der Firma Godeffroy. Richten Sie Herrn Theobald Kolber und seinen Begleitern meine ganz besonderen Grüße aus!«
Der Kommandant der Schutztruppe nimmt wieder Haltung an und präsentiert seinen Degen.
Queen Emma beugt ihren verschleierten Kopf und ihren Oberkörper weit aus der Seitentür heraus und ruft: »Sie sind mir trotz ihres zweifelhaften Rufes ebenfalls willkommen, Herr Hauptmann Schmeile!«
Der Angesprochene starrt wie gebannt in das üppige, schweißglänzende Dekolleté, das in leichte Schwingungen gerät, als die Kutsche sich wieder in Bewegung setzt.
10
An Bord der Emily Godeffroy haben die Passagiere ihr Reisegepäck aus den Kabinen an Deck geholt. Theobald Kolber, Sebastian Kleine und Anna Scharnhorst gehören zur ersten Gruppe, die das Fallreep herunterklettert. Kapitän Tietjen und seine Frau Olga winken ihnen nach. An der Außenwand der Emily Godeffroy haben zwei kleine Dampfboote festgemacht, die von Land gekommen sind. Daneben dümpeln die Kanus der Eingeborenen, die den Ankömmlingen geflochtene Blumen und tellergroße Muscheln und Schildkrötenpanzer verkaufen wollen. Während der kurzen Fahrt zum Ufer starren die Ankömmlinge fasziniert in das glasklare Wasser. Über den hellen, sandigen Meeresgrund huschen große und kleine Fische, ganze Schwärme schwimmen durch Korallenbänke und wogende Algenwälder.
An dem kurzen, ins Meer ragenden Anleger von Herbertshöhe sind inzwischen die Musikanten der Polizeitruppe zusammen mit einem kleinen Empfangskomitee der Kolonialverwaltung, der Mission und der Firma Godeffroy angetreten. Ein Papua-Polizist in deutscher Uniformhose und blankem Oberkörper schwingt einen armdicken Dirigentenstab und lässt das beliebte Stück »Muss i denn, muss i denn zum Städele hinaus ...« intonieren. Und als die weißen Herrschaften im Boot und auf dem Anleger über diesen musikalischen Fehlgriff herzlich lachen und applaudieren, verbeugt der Dirigent sich zweimal, weil er glaubt, seine Sache besonders gut zu machen. Dabei rutscht ihm seine preußische Pickelhaube vom Kopf ins Gesicht, was noch mehr Heiterkeit zur Folge hat.
Nur Anna bleibt ernst. Ihre Augen suchen die lange Reihe der fröhlichen Leute auf dem Anleger ab. Aber niemand winkt ihr gezielt zu. Und keiner der Männer hat Ähnlichkeit mit dem Mann auf ihrem Bild.
Sie erkundigt sich schließlich bei drei katholischen Ordensbrüdern, die am Ende des Anlegers stehen. Aber auch die haben keinen protestantischen Kollegen gesehen. Sie selber erwarten auch niemanden, nur die große Kiste da drüben, sagt einer, und zeigt auf einen Blechbehälter vom Ausmaß mehrer Schränke, der von einem quietschenden, gefährlich wackelnden Kran an Land gehoben wird. »Da ist ein Harmonium für unsere Missionsstation in St. Paul drin. Die soll dort in einigen Wochen zur Einweihung der neuen Kirche gespielt werden. Wenn Sie Lust haben, sind Sie in Gottes Namen herzlich eingeladen!«
Anna lächelt gequält und verunsichert.
Wo ist ihr Verlobter? Heinrich Althoff hat doch versprochen, sie persönlich abzuholen ...
Theobald Kolber wird von seinem Prokuristen Wigbert Elbertzhagen, dem stellvertretenden Leiter der Godeffroy-Faktorei in Herbertshöhe, in Empfang genommen. »Ein neuer Mitarbeiter des Museums Godeffroy wird wohl für längere Zeit bei uns wohnen«, sagt Kolber und stellt dabei Sebastian Kleine vor. »Herr Kleine wird mit mir zusammen einen besonderen Auftrag für unser Haus durchführen. Sagen Sie das auch den anderen Mitarbeitern und behandeln Sie ihn besonders zuvorkommend.«
Kleine lächelt ein wenig geschmeichelt, als sich der offenbar ältere Prokurist vor ihm verbeugt.
Ein dunkelhäutiger Polizeisoldat hat im Hintergrund gewartet. Er tritt vor und nimmt eine stramme Haltung an.
»Ein Brief für Herrn Theobald Kolber«, sagt er in gutem Deutsch und überreicht die Einladung zum Empfangsfest bei Queen Emma. Auch der Herr Kommandant Schmeile lasse Grüße ausrichten. Kolber dankt gequält, als er diesen Namen hört.
Die Emily Godeffroy lässt ihr Signalhorn ertönen, als nach zwei Stunden auch die letzten für Neuguinea bestimmten Passagiere von den Beibooten an Land gesetzt werden. Auf dem Anleger und auf dem kleinen Platz oberhalb der Anlegestelle, auf dem die Waren für den An- und Abtransport zwischengelagert werden, drängen die Ankömmlinge und die Leute, die auf sie gewartet haben, durcheinander. Kaufleute, Kolonialbeamte, Offiziere und Missionare, viele Männer und wenige Frauen sind gekommen. Es wird gelacht und vor Freude geweint. Kolber wird von vielen Leuten begrüßt und angesprochen – ein Mijnher Klaas van Oranje meldet sich nicht. Und doch wird er das Gefühl nicht los, dass dieser Mann in der Menge oder in der Nähe ist. Er fühlt sich beobachtet.
Anna Scharnhorst sitzt indessen verloren am Rande des Geschehens auf ihrer Reisekiste. Die Sonne scheint heiß vom Himmel. Die Luft dampft vor Feuchtigkeit. Ihre Hände zerknüllen das Taschentuch, mit dem sie sich Schweiß und Tränen aus den Augen gewischt hat.
Als sie eine Hand auf ihrer Schulter spürt, zuckt sie erschreckt zusammen.
»Ich bin’s nur«, sagt Sebastian Kleine.
»Mein Verlobter ist nicht erschienen.« Ihre geröteten Augen blinzeln gegen das Sonnenlicht zu ihm auf.
»Er wird schon noch kommen. Wenn Sie wollen, bleibe ich so lange bei Ihnen.«
Kurz darauf hastet ein Mann über den staubigen Uferweg zum Anlegeplatz, ein gut aussehender Mann mit gestutztem Bart, Ende dreißig, Anfang vierzig. Er spricht ein paar Leute an und nähert sich dann zögernd Anna Scharnhorst und Sebastian Kleine. Seine helle Hose ist verschmutzt, sein Hemd verschwitzt. An seinem Hals hängt ein silbernes Jesuskreuz. Er sieht erschöpft und verlegen aus.
»Sind Sie Fräulein Anna Scharnhorst, die Verlobte des protestantischen Missionars Heinrich Althoff?«, fragt der Mann.
Anna sieht ihn an. »Sind sie nicht ...?«
»Nein«, sagt er, »ich bin nicht Heinrich Althoff. Ich bin ein katholischer Bruder von ihm, meine Station liegt nicht allzu weit von seiner entfernt. Er hat mich gebeten, Ihnen auszurichten, dass er nicht selber kommen kann, weil ...«
Enttäuscht blickt Anna den Überbringer der schlechten Nachricht an.
»Was ist ..., ist etwas passiert?«
»Er hat Malaria ..., nichts Schlimmes ..., einer der üblichen Fieberschübe. Das dauert nur ein paar Tage, dann wird er wieder auf den Beinen sein und nach Herbertshöhe kommen und Sie abholen.«
Anna setzt sich. Sie sieht aus, als sei ihr schwindelig geworden. Sie verbirgt ihr Gesicht in beiden Hände. Sebastian Kleine weiß nicht, wie er sich verhalten soll.
Was denn los sei? Warum so traurig? Theobald Kolber steht plötzlich neben ihnen. Kleine erklärt die Situation.
»Nun ja, das ist zwar nicht schön für Sie, Fräulein Scharnhorst, aber offen gesagt, auch nicht so dramatisch, wie es vielleicht für Sie klingt. Malaria hat hier beinahe jeder von uns. Das Fieber kommt und geht auch nach ein paar Tagen wieder. Chininpulver und ein paar Glas Gin helfen gewöhnlich schnell. Bis ihr Künftiger höchstpersönlich