Der letzte Tanz im Paradies. Jürgen Petschull

Der letzte Tanz im Paradies - Jürgen Petschull


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in den Morgenhimmel. Seine Pfeife klemmt zwischen seinen Zähnen. Er hat beide Hände in die Außentaschen seiner Tropenjacke versenkt. Breitbeinig steht er mitten auf dem Deck in Höhe des Großmastes, legt seinen Kopf in den Nacken und blickt zur godeffroyschen Reedereiflagge hinauf, die schlapp im nachlassenden Fahrtwind gegen die Rahen schlägt. Während der Überfahrt hat er versucht, die Diamanten-Geschichte zu verdrängen. Doch nun wird ihm wieder klar, dass ihm womöglich der wichtigste Auftrag seines Lebens bevorsteht. Wenn es gelingt, diese Diamantenmine zu erwerben und Queen Emma ihre Plantagenbesitzungen abzukaufen, wird das Haus Godeffroy & Sohn saniert werden können. Wenn nicht ... Daran mag er nicht denken. Er bedauert es, dass er den Glauben an die christliche Kirche und ihren allmächtigen Gott verloren hat. Aber er nimmt sich vor, dennoch bei nächster Gelegenheit in der Missionskirche der Brüder vom Heiligsten Herzen Jesu in Vunapope eine große Kerze anzuzünden. Sicher ist sicher.

      Sebastian Kleine unterbricht Kolbers Gedankengänge.

      »Was meinst du, ob dieser ominöse Klaas van Oranje uns schon am Anleger erwartet?«

      »Das glaube ich kaum. An seiner Stelle würde ich uns erst ein bisschen zappeln lassen«, sagt Kolber. »Mein Gefühl sagt mir: Vielleicht gibt es gar keinen Mann, der so heißt, irgendwie klingt dieser Name erfunden. Wenn er sich nicht meldet, werden wir zunächst möglichst unauffällig nach ihm suchen müssen – oder warten. Schließlich wollen er und seine Hintermänner ja offenbar ein Geschäft mit uns machen. Wir müssen uns also in Geduld üben. Wie sagt der Philosoph: In der Ruhe liegt die Kraft!«

      Anna Scharnhorst steht ein wenig erhöht hinter einem Rettungsboot auf dem Deck, nur ein paar Meter entfernt von Theobald Kolber und Sebastian Kleine, die sich bei ihrem Gespräch über die Reling gelehnt haben. Der Wind hat einige Worte zu Anna herübergetragen. Sie geht unbemerkt davon. Es wäre ihr sehr peinlich, wenn die Herren denken würden, sie habe das Gespräch absichtlich belauscht.

      Am Rande einer kilometerlangen Palmenplantage, zwischen den Orten Herbertshöhe und Vunapope, sitzen zwei Männer versteckt unter den tief herunterhängenden Ästen eines Brotfruchtbaumes.

      »Hast du die neue Ausgabe der Sydney Tribune gelesen, die gestern mit dem Postschiff gekommen ist?« Der Ältere zieht eine dünne, zusammengerollte Zeitung aus einem Leinenbeutel. »Auf dem Weltmarkt sind die Preise für Rohdiamanten im vergangenen Jahr um mehr als zwanzig Prozent gestiegen.«

      »Eine gute Nachricht«, sagt der andere. »Vortrefflich sogar!«

      Sie nehmen ihre Ferngläser und starren wieder durch den Frühdunst auf die offene See hinaus.

      »Das ist sie! Das muss die Emily Godeffroy sein!«

      »Das hast du gestern auch schon gesagt, und es war doch nur ein vorbeilaufender Kohledampfer aus Singapur.«

      »Diesmal ist es ein Windjammer. Er nimmt Kurs auf unsere Bucht«

      »Wo?«

      »Nordöstlich. Etwa bei zwei Uhr nachmittags! Da läuft ein Schiff in die Blanchebai ein. Wenn ich es richtig sehe, ist es ein Drei- oder ein Viermaster.«

      »Ich sehe vor uns nur Möwen. Es ist noch zu dunstig.«

      »Hier, nimm mein neues Glas, das ist stärker und schärfer als deins!«

      »Jetzt sehe ich es auch. Es ist ein Viermaster.«

      »Kannst du die Flagge erkennen?«

      »Nein, noch nicht ... doch ... warte einen Moment. Jetzt dreht der Windjammer. Ein schönes Schiff. Am Heck weht eine rotgoldene Fahne!«

      »Siehst du einen Falken auf der Flagge?«

      »Tatsächlich ...! Sie haben die Falkenflagge gehisst. Gleich zwei sogar! Eine am Heck und eine am Großmast! Es ist die Emily Godeffroy

      »Lass mich auch mal sehen.«

      Die beiden Männer tauschen ihre Ferngläser.

      »Jetzt werfen sie Anker. Ich sehe ein, zwei Dutzend Leute an der Reling.«

      »Hoffentlich ist unser Mann dabei.«

      »Darauf wette ich!«

      »Einverstanden. Was setzt du ein?«

      »Mein Fernglas. Beste deutsche Wertarbeit, ein neues Voigtländer Binokular. Das kriegst du von mir, wenn er nicht an Bord ist!«

      »Okay, ich setzte einen Rohdiamanten dagegen. Ich wette, dass der Herr Generalbevollmächtigte höchstpersönlich mitgekommen ist – dieses Geschäft wird sich Godeffroy & Sohn nicht entgehen lassen wollen.«

      Die beiden Männer schütteln sich die Hände, bevor sich an diesem Morgen ihre Wege trennen.

      Am westlichen Ende der Blanchebai leuchtet die Sonne nun wie ein Scheinwerfer durch die Gipfel der beiden rund tausend Meter hohen Vulkane hindurch, die von den Eingeborenen »Vater« und »Mutter« genannt werden. In einem Dorf an der Bucht, das auf der hinteren Seite vom Urwald und auf der Vorderseite vom Meer begrenzt ist, schieben Fischer mit langem, vom Salzwasser verfilztem Haar und nackten, tätowierten Oberkörpern ihre Kanus mit den einseitigen Auslegern vom Strand ins flache Wasser. Einige haben kleine Segel gesetzt. Andere paddeln mit weit ausholenden Schlägen in die Bucht hinaus, in die Richtung, in der das große Segelschiff hinter einem parallel zum Ufer verlaufenden Korallenriff geankert hat. Der grelle Sonnenschein blendet die Frauen und Kinder, die bis zu den Knien ins Wasser gelaufen sind und den Booten mit Palmblättern in den Händen nachwinken.

      Plötzlich mischt sich eine schrille, fremdartige Musik in das rhythmische Rauschen der Brandung, erst leise, dann immer lauter. Nicht einmal der Komponist Johann Gottfried Piefke selbst hätte aus diesen Tönen seinen berühmten Defiliermarsch »Preußens Gloria« heraushören können. Die bizarren Klänge kommen aus dem Urwald näher, bis sie mit einem gewaltigen Paukenschlag beendet werden.

      Eine Kommandostimme brüllt: »Aaaachtung! – Geeweeeehr über! – Voooorwärts marsch, Kameraden ...!«

      Aus dem schattigen Dschungel taucht ein seltsamer Trupp auf und marschiert in holprigem Gleichschritt über einen Trampelpfad bis ans Ufer der Blanchebai. Die Parade wird von einem Papua-Mann mit wilhelminischer Pickelhaube angeführt. Sein bloßer Oberkörper glänzt schweißgebadet in der feuchten Morgenluft. Eine Art Lendenschurz ist um seine Hüfte geschlungen. Seine dünnen Beine stecken in viel zu großen Knobelbechern. In seinen waagerecht vorgestreckten Händen trägt er eine Reichskriegsflagge mit Balkenkreuz und Adler. Hinter dem Standartenträger tauchen in Zweierreihen drei Dutzend Polizeisoldaten der Schutztruppe von Deutsch-Neuguinea auf, einige mit Pickelhauben, andere mit Mützen, einige mit Stiefeln, die meisten barfuß. Sie haben Gewehre mit und ohne Bajonett geschultert. Die Musikanten trotten mit einigem Abstand hinter der Truppe her, vier Leute mit Querpfeifen, zwei mit Trommeln, einer mit einer großen Pauke.

      Nebenher marschiert ein stattlicher weißer Mann in preußischer Offiziersuniform. Schweiß läuft ihm übers Gesicht in seinen hochgezwirbelten Bart. Als die Kolonne den Strand erreicht, ruft er: »Aaaachtung! – Stillgestaaanden! – Geeweeehr ab! – Die Aaaaugen geeeraaadeaussss!«

      Die braunen Soldaten der deutschen Polizeitruppe blicken auf das Meer hinaus, einige mit ernsten Gesichtern, andere mit breitem Grinsen, manche kauen Betelnüsse. Sie beobachten, wie am Heck des in der Bucht ankernden Segelschiffes ein Beiboot zu Wasser gelassen wird. Ein paar Matrosen klettern ein Fallreep herunter und steigen dabei über den Namen des Schiffes, der mit mannshohen Lettern auf die Außenwand gemalt ist:

      Emily Godeffroy Hamburg

      Vom Ufer aus beobachten die Schutztruppensoldaten, wie sich das Ruderboot auf den auslaufenden Wellen sprungartig dem Ufer nähert. Dann wenden sie ihre Köpfe, alle zur selben Zeit. Hinter ihnen sind Pferdegetrappel und quietschende Räder zu hören. Über den sandigen Urwaldpfad rollt eine überdachte weiße Kutsche heran. Auf dem Bock zieht ein livrierter, dunkelhäutiger Kutscher die Zügel des Pferdes an. Das Gefährt hält.

      In der Fensteröffnung der Seitentür sehen die Soldaten und ihr Kommandant den Kopf und den Oberkörper einer Dame mittleren Alters. Ein elegantes weißes


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