Der neue Sonnenwinkel Box 11 – Familienroman. Michaela Dornberg
bekommt man da ja nicht mit«, wandte Inge ein. »Damals, als er nach dem Abitur auf Weltreise war, hat er sich mehr gemeldet, obwohl das viel beschwerlicher war, als jetzt von Cornwall Nachrichten zu verschicken.«
Jörg trank etwas von seinem Kaffee, wollte in die Keksschale greifen, ließ es aber bleiben.
»Mama, wundert euch das, warum er nichts über das schreibt, was jetzt sein Leben ausmacht, was ihm wichtig ist? Hannes kann ganz gut wegstecken, doch es hat ihn sehr verletzt, wie abfällig Papa über das gesprochen hat, was er jetzt tut, besonders seine Bemerkung verletzte ihn, dass man, um Kunsttischler zu sein, kein Hirn brauche. Hannes ist glücklich mit dem, was er tut, und er scheint auch außerordentlich begabt dafür zu sein, denn sonst würde er nicht andauernd Preise gewinnen. Übrigens denkt Hannes darüber nach, nach seiner Ausbildung auf eine Kunstakademie zu gehen.«
Jetzt war Inge überrascht.
»Ja? Davon wissen wir nichts, warum teilt er uns das nicht mit, ich denke, es würde Papa sehr freuen.«
Jörg schüttelte den Kopf, er liebte seine Mutter wirklich über alles, aber manchmal konnte er sie nicht verstehen.
»Und genau das ist der Grund, Mama, warum er es nicht tut. Es ist Hannes mittlerweile vollkommen egal, was Papa über ihn denkt oder nicht, ob er sich freut oder sauer ist. Hannes macht sein Ding, und er weiß, was er tut. Ich bin sehr froh, dass unser Verhältnis zueinander im Laufe der Zeit enger geworden ist, dass er mich und Charlotte an seinem Leben teilhaben lässt. Und wir haben ihn in Brenlarrick bereits einige Male besucht, es ist herrlich dort. Und, um es abzuschließen, Hannes kommt hin und wieder zu uns. Sven vergöttert ihn, und Hannes ist übrigens der Patenonkel von Lena.«
»Patenonkel?« Jetzt war Inge mehr als irritiert. »Bedeutet das, dass Lena mittlerweile getauft wurde?«
»Ja, Mama, das bedeutet es«, bestätigte Jörg, »die Taufe hat im engsten Kreis stattgefunden, die Großeltern wussten es, konnten leider nicht kommen, weil die Omi mittlerweile so etwas wie ein Superstar geworden ist, was wir ganz großartig finden. Euch haben wir nicht eingeladen, weil eine Absage uns sehr getroffen hätte.«
Jetzt war Inge erschüttert, aber sie hatte auch ein sehr schlechtes Gewissen, es war unangenehm, den Spiegel vorgehalten zu bekommen. In einer solchen Situation war es am besten, von sich abzulenken.
»Und Ricky und Pamela?«
»Für Ricky war es unmöglich, mit ihren Kindern und Ehemann außerhalb der Ferien anzureisen, und Pamela, die hat für Lena eine ganz wundervolle Geschichte geschrieben. Sie will übrigens die ganzen großen Sommerferien bei uns verbringen, ich weiß nicht, ob sie mit euch bereits darüber geredet hat. Und dann soll auch ein großes Familientreffen stattfinden. Alle haben zugesagt, und ihr, wenn ihr Lust habt, seid natürlich auch herzlich eingeladen. Ihr hättet kurz davor von uns die Einladung bekommen, langfristige Planungen sind mit Papa nicht möglich, und du richtest dich ja nach ihm.«
Das war jetzt wirklich starker Tobak!
Weil sie und Jörg sich so gut verstanden, weil sie so eng miteinander waren, hatte es in der Vergangenheit nie Differenzen zwischen ihnen gegeben, waren die bereits im Ansatz ausgeräumt worden. Diesmal war es anders, Jörg war nicht beleidigt, nein, er war verletzt, und das tat weh.
Sie schwiegen beide, er war es, der irgendwann das Wort ergriff.
»Mama, es tut mir leid, dass unser Gespräch jetzt so ausgeufert ist, dabei ging es doch eigentlich darum, ob und welchen Schaden meine Kinder, die nun ganz ohne mich aufwachsen müssen, davontragen. Ich denke, dass wir uns keine Sorgen machen müssen, denn die Zeit in Brasilien haben sie nicht nur gut überstanden, sondern sie waren glücklich, fühlten sich wohl. Es ist davon auszugehen, dass sie es an jedem anderen Ort der Welt ebenfalls gut haben werden. Kinder besitzen die erstaunliche Gabe, sich jeder Situation anpassen zu können, und sie vergessen auch schnell. Sie wissen, wo sie mich erreichen können, sie wissen, dass ich sie liebe, immer für sie da sein werde. Und sie haben, als Stella und ich noch miteinander verheiratet waren, die Liebe beider Elternteile erlebt. Auch wenn ich viel gearbeitet habe, habe ich mir doch die Zeit für die Kinder genommen, viel Zeit.«
Er blickte seine Mutter an.
»Mama, und nun bekomme kein schlechtes Gewissen, vor allem versuche nicht, Papas Verhalten zu rechtfertigen. Er war ein grauenvoller Vater, und auch als Großvater kann man ihm keine Bestnoten geben. Er ist von Kindern halt leicht und schnell genervt, und sein Interesse beginnt erst, wenn es um die spätere Zukunft geht, die Lebensplanung, und da greift er leider daneben, weil er von seinen Kindern erwartet, dass sie seine Erwartungshaltung erfüllen. Wir haben es hinter uns, jetzt hat es nur noch Pamela vor sich. Und da kann man nur froh sein, dass wir miteinander in Verbindung stehen und dass sie dieses besondere Verhältnis zu Hannes hat. Hannes und Pamela sind so eng miteinander, dass zwischen die wirklich kein Blatt Papier passt. Sie vertraut ihm alles an, und das wird immer mehr, je älter Pamela wird.«
Bei Inge gingen sämtliche Alarmglocken an. Ihr war bereits aufgefallen, dass Pamela nicht mehr so redselig war wie früher, und man konnte sie auch nicht mit einem blauen Kleid, einer bunten Bluse oder einem anderen Kleidungsstück, das Inge für ihre Tochter nähte, so wie früher zum Quietschen bringen.
Hatte sie etwas falsch gemacht?
Jörg schien die Gedanken seiner Mutter erraten zu haben, und er beruhigte sie sofort.
»Mama, ab einem gewissen Alter läuft man nicht mehr zu seinen Eltern, wie zuvor, speziell zu seiner Mutter. Pamela liebt dich über alles, und daran wird sich nichts ändern. Wir alle lieben dich, wissen, was wir an dir haben. Eines stört nur, nämlich, dass du immer glaubst, Papa verteidigen zu müssen, sein Verhalten schönreden zu müssen. Du bist nicht Papa, für uns bist du die allerbeste Mutter der Welt, und auch die Großmutter, zumindest kann man das für Rickys Kinder sagen, und wenn du das ebenfalls für Sven und die kleine Lena sein möchtest, dann komm uns öfters besuchen, löse all deine Versprechungen endlich ein, du bist jederzeit herzlich willkommen, ob mit und ohne Papa, über dessen Besuch würden wir uns ebenfalls freuen, er ist unser Vater, wir mögen ihn. Und da glaube ich, auch für meine Geschwister sprechen zu können, er ist, wie er ist, und so akzeptieren wir ihn. Doch davon lass uns jetzt bitte aufhören. Lange kann ich nicht mehr bleiben, und eigentlich hatte ich mir die Zeit, die wir miteinander verbringen können, anders vorgestellt. Wie geht es dir, Mama? Bitte erzähl mir davon, was du so machst.«
Insgeheim atmete Inge auf, denn wenn über Werner gesprochen wurde, dann übernahm sie automatisch die Rolle der Beschützerin, dabei konnte man an der Vergangenheit nichts mehr ändern. Und auch wenn es sie beinahe zerriss, wie sehr Werner unter der derzeitigen Situation litt, nicht mehr so gefragt zu sein wie früher, wie schwer es ihm fiel, in einem Seniorenleben anzukommen; sie konnte ja verstehen, dass Ricky, Jörg, Hannes sich darum keine Gedanken machten, und Pamela bekam nichts davon mit, für sie war ihr Papa wie immer.
Inge war froh, dass sie Jörg von ihren Aktivitäten erzählen konnte, denn sie war schon stolz auf sich, dass sie für sich einen Weg gefunden hatte, aus dem Allerlei ihres Alltags ausgebrochen zu sein. Kurse im Stoffladen gab sie nur noch selten, weil die Arbeit mit den gestrauchelten Jugendlichen, die eine Haftstrafe verbüßten, ihr wichtiger war. Da konnte sie etwas bewirken, sie kam bei den Jugendlichen an, und sie bildete sich ständig weiter, um noch mehr bewirken zu können. Inge strebte keine Festanstellung an, nein, diese Ambition hatte sie wirklich nicht. Ihr ging es einzig und allein darum, diesen gestrauchelten jungen Menschen dabei zu helfen, wieder auf den richtigen Weg zu kommen. Sie würde immer ehrenamtlich diese Arbeit verrichten, doch durch die Fortbildungen, all die Kurse, die sie besuchte, bekam alles eine ganz andere Qualität, vor allem, sie durfte mehr tun als nur mit den Jugendlichen zu reden, sie zu bespaßen. Man mochte sie, das auf beiden Seiten, und Inge genoss diese Wertschätzung. Doch ihr war bewusst, dass sie das alles nur tun konnte, weil Werner gut für sie sorgte. Sie musste sich um Geld keine Sorgen machen, hatte es nie gemusst. Sie hatte immer ein sorgenfreies Leben führen können, was die finanziellen Aspekte betraf, und die durfte man nicht unterschätzen.
Jörg wollte zwar nicht, dass sie darüber redete, ihn daran erinnerte, doch Inge konnte einfach nicht anders. Eines musste sie ihm noch sagen.