Der neue Sonnenwinkel Box 11 – Familienroman. Michaela Dornberg

Der neue Sonnenwinkel Box 11 – Familienroman - Michaela Dornberg


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was er uns immer in all den Jahren ermöglicht hat.«

      Jörg hätte jetzt am liebsten die Augen verdreht. Seine Mutter konnte es einfach nicht lassen, die Fürsprecherin ihres Ehemannes zu sein, es war eine unendliche Geschichte, auf die Jörg einfach keine Lust mehr hatte. Außerdem verflog die Zeit, und die letzten noch verbleibenden Minuten wollte er lieber dafür nutzen, seiner Mutter von Charlotte, Sven, den er mittlerweile längst liebte wie einen eigenen Sohn, und von der kleinen Lena zu erzählen. Nein, er wollte nicht nur erzählen, er schwärmte regelrecht von seiner kleinen Tochter.

      Inge war begeistert, um Jörg musste sie sich keine Sorgen mehr machen. Er war angekommen in seinem Leben ohne seine frühere Familie. Natürlich würden ihn die Schatten seiner Vergangenheit immer wieder einholen. Doch jetzt war er nicht mehr allein, er hatte Charlotte an seiner Seite, diese liebenswerte, warmherzige Frau, mit der er sich so wunderbar ergänzte. Charlotte war dazu in der Lage, die Schatten zu vertreiben.

      Ganz verschwinden würden sie zwar nie, doch sie würden sich im Laufe der Zeit verflüchtigen, denn eines würde Inge immer wieder unterschreiben, nämlich, dass die Zeit alle Wunden heilte.

      In Stockholm war die Welt weitgehend in Ordnung. Das konnte man von ihrer hier überhaupt nicht behaupten, und einen Vorwurf mussten sie sich machen. Sie und Werner hatten einfach zu sehr geschlampt und aus lauter Bequemlichkeit alle anderen Arten der Kommunikation gewählt. Dabei wusste sie doch, dass persönliche Kontakte das Salz des Lebens waren.

      Sie und Jörg waren sich besonders nahe, sie musste höllisch aufpassen, dass sich da kein Keil zwischen ihre Beziehung schob. Inge glaubte zu spüren, dass Jörg ein Stückchen von ihr abgerückt war, und das durfte sie auf keinen Fall zulassen.

      »Jörg, ich verspreche dir hoch und heilig, dass ich sehr schnell, ob mit oder ohne Papa, zu euch nach Stockholm kommen werde, und diesmal meine ich es wirklich ernst.«

      Jörg war nicht nachtragend, dazu hatte er seine Mutter viel zu gern, die für ihn immer ein Fels in der Brandung gewesen war, und daran hatte sich nichts geändert, weil er wusste, dass er sich auf sie in allen Lebenslagen verlassen konnte.

      »Mama, es würde mich, es würde uns alle sehr freuen. Doch das glaube ich erst, wenn ich dich, ob allein oder mit Papa«, wiederholte er die Worte seiner Mutter, »am Flughafen abholen werde.«

      Es war alles gesagt, seine Mutter musste es nicht noch einmal beteuern. Er wollte die letzte, jetzt noch verbleibende Zeit, lieber dafür nutzen über Charlotte, Sven, den er wie einen eigenen Sohn liebte und vor allem über die kleine Lena sprechen, die sich in die Herzen ihrer Eltern und ihres großen Bruders geschlichen hatte.

      Worüber sie bislang gesprochen hatten, war so ermüdend, weil das alles eh nichts brachte, immer führten sie diese sinnlosen Diskussionen.

      Es sprudelte nur so aus ihm heraus, und er untermauerte seine Worte auch sofort mit neuen Fotos, die Inge noch nicht kannte und die sie natürlich auch sofort haben wollte.

      Als Inge ihren Sohn irgendwann zur Tür begleitete, waren sie wieder ein Herz und eine Seele. »Schön, dass du da warst, mein Junge, grüße Charlotte von mir, umarme Sven, und die kleine Lena knuddele für mich.«

      »Was du hoffentlich sehr bald selbst tun wirst, Mama. Weißt du, wir fühlen uns in Schweden unglaublich wohl, es ist einfach unser Land, das wir gewiss nicht mehr verlassen werden. Den Sonnenwinkel vermisse ich nicht, doch die Großeltern, Pamela, Ricky und ihre große Familie, ganz besonders dich …, und, nun ja, Papa auch. Ricky geht es da auf jeden Fall besser, sie wohnt nicht gleich nebenan, doch sie kann mal kurz vorbeikommen …«, er umarmte seine Mutter. »Ich hab dich lieb, und ich bin stolz auf das, was du tust, das muss ich dir einfach noch einmal sagen, Mama …, pass auf dich auf. Du wirst gebraucht.«

      Als habe er schon zu viel gesagt, drückte er seiner Mutter rasch noch Küsschen auf die Wangen, dann rannte er los, stieg in sein Auto und brauste davon.

      Sie stand noch im Türrahmen, als von Jörg längst nichts mehr zu sehen war.

      Die Zeit war wieder einmal verflogen, dabei hätte sie ihm noch so viel sagen wollen. Aber wenigstens war er daheim gewesen, und das war gut, nein, es war sehr gut gewesen.

      Kaffee trank sie nun keinen mehr, als sie wieder auf ihrem Stuhl Platz nahm, aber in die neuen Fotos von der kleinen Lena vertiefte sie sich noch einmal. Was war das für ein wonniges kleines Geschöpf. Die Sehnsucht danach, endlich ihre kleine Enkelin in die Arme schließen zu können, wurde übermächtig, und jetzt machte sie wirklich Nägel mit Köpfen. Sie sah nicht im Internet nach, sondern sie rief ihr Reisebüro an und erkundigte sich nach Flügen nach Stockholm.

      Dann suchte sie sich zwei, drei Alternativen aus, und mit denen würde sie Werner konfrontieren, entweder kam er mit, oder er ließ es bleiben. Sie würde sich nicht von ihm vertrösten lassen. Inge wunderte sich selbst darüber, dass sie auf einmal so entschlossen war.

      *

      Manchmal tat sich tagelang nichts, und dann auf einmal gaben sich die Besucher die Türklinke in die Hand.

      Inge war noch immer in die Fotos versunken von Lena, Sven, Charlotte und Jörg, als es an der Haustür klingelte.

      Ihre Eltern konnten es nicht sein, auch nicht Werner oder Pamela, die waren unterwegs. Gemeinsam, und das freute Inge sehr, besonders für Pamela, die zwar ein wenig mehr von der Gegenwart ihres Vaters hatte als die Geschwister, aber längst noch nicht genug.

      Als es erneut klingelte, murmelte sie: »Ja, ja, ich komme schon, eine alte Frau ist schließlich kein Eilzug.«

      Wenig später öffnete sie die Haustür und staunte nicht schlecht, Berthold von Ahnefeld zu sehen.

      »Berthold«, rief sie überrascht.

      »Ich hoffe, ich komme nicht ungelegen, Inge, doch mein Besuch hier im Sonnenwinkel kam ganz überraschend, und ich hatte keine Zeit, mich bei euch anzumelden.«

      So war er, der Berthold, immer auf Höflichkeit und Formen bedacht.

      »Ich bitte dich, du musst dich bei uns nicht anmelden, mein Lieber. Du bist jederzeit herzlich willkommen, das weißt du, doch heute musst du mit mir vorlieb nehmen, es ist sonst niemand daheim.«

      »Weiß ich doch, ich habe mit Werner telefoniert, und der hat mir von dem Ausflug mit Pamela, Teresa und Magnus erzählt.«

      »Ja, dann ist es ja gut, komm herein, ich freue mich über diesen unverhofften Besuch. Wärest du ein wenig früher gekommen, dann hättest du auch noch Jörg begrüßen können.«

      Das bedauerte Berthold, denn er kannte die Auerbach-Sprösslinge von Kindesbeinen an, auch wenn er sie nicht regelmäßig gesehen hatte.

      Inge kochte Kaffee, und während sie damit beschäftigt war, griff Berthold in die Keksschale, die noch immer auf dem Tisch stand, die jedoch ziemlich geräubert war.

      Inge mochte Berthold sehr, sie bedauerte unendlich, was ihm widerfahren war, mehr noch bedauerte sie, dass aus Angela von Bergen und ihm kein Paar geworden war, dabei hatte es so hoffnungsvoll angefangen, und alle hatten sich über das Glück von ihnen gefreut. Es hatte nicht sollen sein, und das war unendlich schade, denn Berthold und Angela waren ein so schönes Paar gewesen.

      Inge servierte den frischen Kaffee und war insgeheim jetzt froh, auch noch einen Grund zu haben, eine weitere Tasse ihres Lieblingsgetränks trinken zu können, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen. Inge konnte auf vieles verzichten, auf Kaffee verzichten zu müssen, würde ihr allerdings unendlich schwerfallen.

      Sie saßen sich gegenüber, und dann platzte es aus Inge auch schon heraus: »Weswegen musstest du so plötzlich in den Sonnenwinkel kommen, Berthold?« Sie verkniff sich, danach zu fragen, ob vielleicht Angela der Grund sei. Auch wenn sie getrennt waren, so waren sie nicht miteinander verfeindet, sondern hatten sich freundschaftlich getrennt, genauer gesagt, war Angela es gewesen. Und so war es nicht verwunderlich, dass sie alle noch die stille Hoffnung in sich trugen, es möge mit ihnen doch noch etwas werden.

      »In erster Linie, um mich von dir zu verabschieden, Inge. Du hast so unendlich viel für


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